Green & Generation „NulIeinspeisung“: Neubauten mit Solarpanelen werden in Reutlingen nicht mehr ans Netz angeschlossen

„NulIeinspeisung“: Neubauten mit Solarpanelen werden in Reutlingen nicht mehr ans Netz angeschlossen

Heute ist BürokratieFREItag: In unsere Serie berichten wir aus einer Schwäbischen Stadt, wo bei Neubauten die Pflicht besteht, Solaranlagen aufs Dach zu schrauben. Nur angeschlossen werden sie nicht, weil der Netzbetreiber nicht weiß, wohin mit dem Strom.

Wenn die eine Hand nicht weiß, was die andere tut, entsteht im Falle von staatlichem Handeln meist Chaos für den Bürger. Im Bereich der Förderung der erneuerbaren Energien wird die Diskrepanz zwischen hehren Zielen und realen Bedingungen besonders schmerzlich sichtbar. Der Staat setzt ambitionierte Klimaziele, schafft aber nicht die passenden Rahmenbedingungen. Gesetze, die isoliert in einzelnen Ressorts entstehen, blockieren einander. Bürger und Unternehmen werden zu Versuchskaninchen im Verwaltungsdickicht.

Etwa beim Thema privater Stromerzeugung per Photovoltaik (PV) mit Hilfe von Solaranlagen auf heimischen Dächern. Hier offenbart sich zum Beispiel im Flächenland Baden-Württemberg, aber auch in Berlin die raue Wirklichkeit bei Neubauten. Denn: Die Errichtung von Solardächern ist hier Vorschrift. Diese Pflicht gilt seit 2022/23, und die ersten, die danach bauen mussten, haben vielleicht noch gut lachen und verdienen an der Stromeinspeisung. Inzwischen aber schießt sich der ebenso fürsorgliche wie vorsorgliche Staat selbst ins Knie, denn vielerorts lehnen Netzbetreiber die Einspeisung weiteren Sonnenstroms in ihre Netze ab. Die sind schlicht und einfach überlastet. Rien ne va plus.

Da stehen die Konzerne EnBW oder auch Netze BW gegen das Land, das im Falle von EnBW über eine Beteiligungsgesellschaft mit 46,75 Prozent einer der beiden größten Anteilseigner ist. Jedenfalls bestimmt § 8a Klima- und Energiegesetz Baden-Württemberg (Klimaschutz- und Klimawandelanpassungsgesetz, KSG BW), dass Kollektoren aufs Dach müssen, basta. Was mit ihnen dann geschieht, interessiert nicht. Und damit befinden wir uns in Reutlingen.

Dort wird, wie überall, natürlich hin und wieder neu gebaut, aber Netzbetreiber „FairNetz” will in einigen Gebieten keine neue Einspeisung von Solarstrom mehr erlauben. Der gehört indirekt der Großstadt Reutlingen, die malerisch gelegen am Rande der Schwäbischen Alb nicht nur über rund 120.000 Einwohner, sondern auch über die “engste Straße der Welt” verfügt (so das Guinness-Buch der Rekorde). Möglicherweise gesellt sich bald ein weiterer Rekord dazu, nämlich der mit den meisten PV-Anlagen ohne Anschluss. Wie die „Zeitung für Kommunale Wirtschaft (ZfK)” dieser Tage vermeldet, muss FairNetz aus Rücksicht auf die Netzstabilität den Stecker ziehen. „Unser Netz wurde bekanntermaßen für eine zentrale Stromversorgung durch Großkraftwerke konzipiert und nicht für zehntausend Erzeugerinnen und Erzeuger, die zur gleichen Zeit Strom einspeisen möchten“, erklärte FairNetz-Geschäftsführer Thorsten Jansing in einer Mitteilung des Strom- und Gasnetzbetreibers, der zur Stadtwerke Reutlingen Gruppe gehört. Im Klartext: Der Sonnenboom auf dem Privatdach stellt die Netze vor ernsthafte Probleme. An Tagen mit wenig Bedarf durch gewerbliche Großverbraucher, also vor allem an Feiertagen und Wochenenden, gibt es sogenannte Solarspitzen, die das Netz überlasten und weder aufgenommen noch “sinnvoll weitergeleitet werden können”.

Unterdessen bemüht man sich in Reutlingen redlich, den Netzausbau voranzutreiben. Hier aber sieht sich nun sogar der Netzbetreiber einer undurchsichtigen Bürokratie gegenüber. „Dazu gehörten aufwändige Planungs- und Genehmigungsverfahren, knappe Ressourcen an Fachkräften und Material sowie eine bislang ungenügende Finanzierungsperspektive für Verteilnetze”, so die ZfK. Hinzu kommt, dass die Stadt nicht genügend Standorte für Ortsnetzstationen anbieten kann. Da sollen nun Bürger und Unternehmen einspringen, wenn es nach FairNetz geht. Wer also ein Plätzchen für so eine Station auf seinem Grundstück freimacht, gerne melden. Bis das Ensemble dann steht, vergeht mutmaßlich sowieso noch reichlich Zeit, wie gesagt, langwierige Genehmigungsverfahren. Wer rund zehn Quadratmeter übrig hat und diverse Bauvorschriften und Abstandsregeln nicht fürchtet noch verletzt, könnte also gut ins Geschäft kommen. Dann wird es auch was mit dem Netzanschluss der eigenen PV-Anlage. Vermutlich. Für alle anderen hat FairNetz einen Trost und einen neuen Begriff parat: Die „Nulleinspeisung“. Klingt ein wenig nach „Kurzarbeit Null“, aber: Die ermöglicht es Kunden, ihre Anlage schon mal genehmigen zu lassen, den Strom hingegen zunächst selbst zu verbrauchen oder zu speichern, falls dies im Budget der PV-Anlage beim Neubau drin ist. Ohne Speicher ist die Pflichtanlage dann eben ein eigenes finanzielles Risiko. Die Einspeisegenehmigung, so FairNetz, komme aber anschließend und unverzüglich mit dem Netzausbau. Das Ergebnis dürfte in jedem Fall nachhaltiger sein als der Versuch der Bürger zu Schilda, ihr versehentlich ohne Fenster erbautes neues Rathaus zu beleuchten – für das sie in ihrer Ratlosigkeit bekanntlich Sonnenlicht in allerlei Gefäßen, Säcken und Kübeln auffingen, um es dann hineinzutragen