Haarsträubendes Wachstum: Wie ein Friseur die Branche neu denkt
Die Großstadt in die Kleinstadt holen
Filser ist ein interessanter Prototyp einer jungen Gattung Unternehmer:innen, die sich der Werkzeuge der großen Stadt bedienen, um in einer kleineren Metropolregion richtig zu glänzen. Vernetzung ist Key – die funktioniert einerseits natürlich in der Stadt selbst, wo er es geschafft hat, sich ein zentrales Standing aufzubauen. Dank bester Kontakte kann er auf die Einrichtung für neue Salons zurückgreifen oder schafft es tatsächlich, eine eigene Kaffeebohnensorte ranzuschaffen.
Andererseits läuft das auch alles bestens dezentral ab, Social Media sei dank. Wachsen, größer werden, über die eigene Region hinaus bekannt und wahrgenommen werden funktionieren, wenn man wie Filser konsequent auf die Tools der Gegenwart setzt. Auf dem eigenen Youtube-Kanal sieht man überraschend hochwertig produzierte Videos. Auch wenn die Views noch etwas hinken, wer sich als Bewerber:in einen ersten Eindruck verschaffen will, sieht hier einen digital aufgestellten und unpeinlichen Arbeitgeber.
Auch die Sache mit dem Intranet ist eine gute Anekdote. Das hat er von einem Hotelier übernommen, den er – Achtung, 2021-Flashback – in einem Talk auf der Audio-App Clubhouse kennenlernte. Filser legt zudem immer wieder das Geschäftskonto offen, um die Kostenstruktur für alle im Team verständlich zu machen – was für die radikalen New-Work-Vordenker von Einhorn 2017 schon funktionierte, warum soll das nicht auch im Alpenvorland taugen?

„Mein Traum wäre ja, System-Friseursalons mit unfassbar hohem Niveau in ganz Deutschland zu eröffnen“, sagt Filser, was schwieriger ist als in der Gastronomie. „Es hängt beim Friseur viel mehr vom Menschen ab.“ Doch zumindest der nächste Salon soll in der Großstadt eröffnet werden: „Wenn man sieht, welcher Friseur in Deutschland berühmt wurde, lag das oft leider nicht an den betriebswirtschaftlichen Fähigkeiten. Sondern einzig daran, dass die Kundschaft prominent ist. Und die gibt es nur in Großstädten.“
Filser schafft es immerhin trotzdem schon jetzt, CEOs und Selbstständige aus der Region in die Läden zu holen. So kommt er an den Wohnraum für die nächsten Azubi:nen-WGs, an die Kaffeebohnen und die Einrichtung. Das nötige Mindset ist vorhanden.
Filser ist dabei bestimmt nicht der einzige Friseur in Deutschland, der seine Branche neu denkt und den Wert des richtigen Networkings versteht. Er sieht auch für sich selber den Weg nach vorn und oben: „Als Chef heute werde ich natürlich viel mehr akzeptiert als als männlicher Friseur-Azubi.“
Es ist reizvoll, den Weg zu verfolgen. War es noch vor ein paar Jahren unabdingbar, nach Berlin oder München zu gehen und aus einer Digitalkarriere heraus eine bestehende Branche neu zu denken, zeigt Filser, dass es auch anders gehen kann: die Disruption von der Basis aus – und zwar im leicht Verborgenen. Schaut man sich die letzten Monate von Filser an, hat man den Eindruck, als würde man jemanden beim Sich-Warmlaufen beobachten. Sicher ist: Beim nächsten Move schauen sehr viel mehr Leute hin.

Dies ist ein Text aus unserer Ausgabe 1/2022: In unserem Dossier beschäftigen wir uns mit dem Comeback des luxuriösen Lifestyles: reisen, speisen, residieren. Wir haben außerdem die Königsklasse der Fin-Meme-Bubble Papas Kreditkarte und Hedgefonds Henning zum Doppelinterview getroffen. Und mit Sony Musics GSA-CEO über seine Wurzeln gesprochen, über Dante Alighieri und darüber was ein Plattenlabel ausmacht, wenn es gar keine Platten mehr gibt. Hier gibt es das Magazin zum Bestellen.