Tech & Trends Hightech am Fels: Blatten als Musterfall für moderne Gefahrenprävention

Hightech am Fels: Blatten als Musterfall für moderne Gefahrenprävention

Als eine Million Tonnen Gestein das Schweizer Dorf Blatten unter sich begrub, war kein Mensch mehr dort. Präzise Technik, vernetzte Daten und punktgenaue Prognosen machten den ersten „geplanten“ Bergsturz Europas möglich.

Von Hightech-Radar bis zur Starlink-Antenne: Wie ein Schweizer Bergdorf dank digitaler Frühwarnsysteme rechtzeitig vor dem Kollaps gerettet wurde.

Als am 28. Mai 2025 gegen Mittag eine Millionen-Tonnen-Schlammlawine das Schweizer Dorf Blatten im Lötschental unter sich begrub, war das Dorf leer. Kein einziges Menschenleben ging verloren. Die Evakuierung? War seit neun Tagen abgeschlossen. Die Prognose? Punktgenau. Was nach einem Wunder klingt, war das Ergebnis jahrzehntelanger Forschung, smarter Datenvernetzung und dem Zusammenspiel von Radar, Satelliten und guter alter geologischer Erfahrung. Es war der erste „geplante“ Bergsturz dieser Größenordnung in Europa – und ein Musterbeispiel dafür, was Technologie heute leisten kann, wenn man sie ernst nimmt.

Hightech statt Hoffnung: Das digitale Ohr am Berg

Schon Wochen vor dem eigentlichen Abbruch meldeten sich die Sensoren. Risse in der Bergflanke des Kleinen Nesthorns – oberhalb von Blatten – weiteten sich täglich. Kleine Felsstürze, Mikro-Erdbeben, beschleunigte Gletscherbewegungen. Ein Puzzle aus Warnzeichen, das nicht jedem sofort klar wäre. Doch Blatten ist kein Ort, an dem man Risiken ignoriert.

Hier kam eine dreistufige Monitoring-Strategie zum Einsatz, die in ihrer Konsequenz weltweit Beachtung finden dürfte:

  1. Satellitengestützte Radardaten (InSAR) lieferten aus dem All millimetergenaue Verformungsmuster der Bergflanke. Dank ESA-Sentinel-Missionen wurde klar: Die Bewegung ist real, und sie beschleunigt sich.
  2. Drohnen und Helikopter mit Lidar- und Fotogrammetrie-Systemen kartierten den Hang in 3D, vermassen Risse und Volumina der Gefahrenzone.
  3. Bodenbasierte Radar- und GPS-Systeme, installiert von der Schweizer Firma Geopraevent AG, lieferten Echtzeitdaten. Bewegungsänderungen im Minutentakt. Inklusive Kameras, Neigungssensoren und einem stabilen Datenübertragungssystem – unter anderem mit Starlink als Backup.

Diese redundante, vielschichtige Datenlage ließ keine Ausreden zu: Am 19. Mai wurde das Dorf geräumt. Neun Tage später traf die Prognose ein.

Künstliche Intelligenz? Noch nicht. Menschliches Know-how? Absolut.

So beeindruckend die Sensorik ist: Am Ende war es menschliches Wissen, das die Entscheidung auslöste. Die Prognose war keine Blackbox-KI, sondern die Arbeit von Experten aus Geologie, Geoinformatik und Fernerkundung. Besonders hervorzuheben ist hier die WSL/SLF (Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft), deren Team um Dr. Yves Bühler die Daten interpretierte. Bühler äußerte laut SRF: „In der Schweiz haben wir eine einzigartige Zusammenarbeit zwischen den Behörden, die die Entscheidungen fällen müssen, den privaten Firmen, die High-Tech-Überwachungssysteme entwickelt haben und anbieten und der Forschung, die neue Geräte testen und validieren“.

Unterstützt wurde das Team durch Jan Beutel, Sensorikexperte an der Universität Innsbruck (ehemals ETH Zürich). Sein Team hatte bereits vor über einem Jahrzehnt GPS-Prototypen in der Region installiert. Dieses historische Datenwissen erlaubte es, das aktuelle Verhalten mit langfristigen Trends abzugleichen.

Die Geopraevent AG übernahm den technischen Part: Installation, Wartung und Analyse der Radar- und Kamerasysteme. Und der Kantonale Führungsstab Wallis sorgte dafür, dass auf Basis dieser Erkenntnisse gehandelt wurde. Kommunikation, Evakuierung, Sperrzonen. Alles lief reibungslos – zumindest nach außen.

Daten stören. Außer sie retten.

Ein Detail, das fast untergeht, aber entscheidend war: die Datenübertragung. Die Sensoren lieferten riesige Datenmengen. In einem abgelegenen Alpental wie dem Lötschental ist Bandbreite jedoch Mangelware. Die temporäre Antwort? Richtfunk, optimierte Mobilfunkantennen – und schließlich eine Starlink-Satellitenschüssel als Notfall-Backup.

Hier zeigt sich: Selbst das beste Monitoring-System scheitert, wenn die Daten nicht in Echtzeit ankommen. Diese Erkenntnis könnte auch für andere Anwendungen relevant sein – von Katastrophenmanagement bis militärischer Aufklärung.

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