Tech & Trends „Fitness, Feeds, Faschismus – Wie rechte Influencer TikTok unterwandern und unsere Demokratie unter Druck setzen“

„Fitness, Feeds, Faschismus – Wie rechte Influencer TikTok unterwandern und unsere Demokratie unter Druck setzen“

Sie nennen sich „patriotisch“, geben Ratschläge zum Männerbild oder posten Selfies mit Bibel, Bankdrücken und „Systemkritik“. Doch hinter dem durchtrainierten Story-Charme und den nachdenklichen Blicken in die Kamera steckt ein kalkuliertes Spiel mit rechter Ideologie. Rechter Populismus ist heute Influencer-gestylt – und performt besser denn je.

Von der Glatze zur Gymwear: Der neue rechte Stil

Rechte Ideologie war selten so anschlussfähig wie heute – und selten so gut verpackt. Während der klassische Neonazi-Style auf Demos längst stigmatisiert ist, kommt die neue Rechte als Wellness-Coach, Männlichkeitsberater oder ästhetischer TikToker daher. Ihre Strategie? Tarnung, Nähe und Algorithmus.

Ein Beispiel: Philipp Huemer, selbsternannter „konservativer Aktivist“ aus Österreich, dessen TikTok-Videos millionenfach geklickt werden. In seinen Clips: viel Ironie, Muskelshirts, „Witze“ über Flüchtlinge – und subtile Aufstachelung gegen Medien, Wissenschaft und die „woken Eliten“. Unter dem Hashtag #EuropaErwache promotet er die Vision eines „homogenen Europas“ – hinter einem Lächeln, das von Weitem wie ein Gymbro-Content Creator wirken soll.

Oder Tim K., besser bekannt als @der_rechte_Tim auf Instagram und TikTok. Er gibt Alltagstipps, „entlarvt“ die Medien, stellt sich als „besorgter Bürger“ dar – und droppt regelmäßig Desinformationen zur Kriminalität von Migranten, inklusive Quellen aus dubiosen Telegram-Kanälen. Seine Nähe zur AfD? Kein Geheimnis. Seine Reichweite? Weit über die der meisten Bundestagsabgeordneten hinaus.

Warum funktioniert das so gut?

Weil sie wissen, wie TikTok funktioniert. Polarisierung = Reichweite. Engagement = Algorithmus-Liebe. Rechte Influencer sind nicht „irgendwie schlauer“ – sie spielen das Spiel einfach besser. Sie posten pointierter, emotionaler, öfter. Sie bauen parasoziale Beziehungen auf. Teilen Storys über ihre Kindheit, Unsicherheiten, Fitness-Fortschritte. Wer ihnen folgt, hat das Gefühl, sie zu „kennen“. Wenn solche Influencer dann über „Systemversagen“, „Genderwahnsinn“ oder „Umvolkung“ sprechen, wird das nicht mehr als Ideologie erkannt – sondern als ehrliche Meinung eines Freundes. Sie tarnen ihre Agenda mit Popkultur, Memes und Humor. „Echte Männer sind rechts“ klingt auf den ersten Blick wie ein schlechter Spruch aus einem Satire-Account – ist aber Teil einer strukturierten Rhetorik. Auf TikTok performt diese Mischung exzellent.

Das Problem: Die Plattformen belohnen genau das

TikToks Algorithmus bevorzugt Inhalte, die Interaktion auslösen – und das tun rechte Inhalte mit Bravour. Die AfD hat mittlerweile deutlich mehr Follower auf TikTok als jede andere deutsche Partei. Studien zeigen: Rechte Inhalte verbreiten sich auf der Plattform schneller und nachhaltiger. Gleichzeitig tun Plattformen wie Meta und TikTok zu wenig, um die Radikalisierung zu stoppen. Warum? Weil ihr Geschäftsmodell auf Werbegeldern basiert – und diese hängen von Verweildauer und Engagement ab. Polarisierung bringt beides.

Und: Die Moderationssysteme sind nicht für Codierung gemacht. Der Duschkopf-Emoji, der als Referenz auf Gaskammern verwendet wird? Er fällt durch jeden Algorithmus. Die Zahlen „14“ und „88“? Zu generisch. Humorvolle, scheinbar „witzige“ Clips über Gewaltfantasien? Zu subtil für Contentfilter.

Was passiert, wenn nichts passiert?

Die Folgen sind real:

  • Desinformation verbreitet sich schneller als jeder Faktencheck.
  • Junge Menschen verlieren das Vertrauen in Medien, Politik, Demokratie.
  • Rechte Narrative werden Teil des Mainstreams.
  • Gewalt wird normalisiert, Hassverbrechen nehmen zu.
  • Und in den Kommentarspalten entsteht eine digitale Echokammer, in der radikale Meinungen plötzlich mehr Likes als Widerspruch bekommen.

Ein Beispiel: Der rechtsextreme Attentäter von Halle 2019 nutzte Memes und Gaming-Kultur zur Radikalisierung. Die Attentäter von Buffalo und Christchurch streamten ihre Morde wie Let’s-Plays. Und viele ihrer Fans verehren sie bis heute – auf denselben Plattformen, auf denen Kinder tanzen oder Make-up-Tutorials schauen.

Was muss sich ändern?

Einfach gesagt: Fast alles.

1. Plattformverantwortung durchsetzen.
Der Digital Services Act der EU gibt erste Hebel, aber seine Umsetzung ist zu lasch. Plattformen müssen verpflichtet werden, ihre Algorithmen transparent zu machen und auch indirekten Hass konsequent zu entfernen.

2. Medienbildung statt Mediennaivität.
Kinder und Jugendliche müssen lernen, was ein Algorithmus ist, wie Desinformation aussieht – und warum „Authentizität“ kein Wahrheitsbeweis ist.

3. Rechte Influencer entzaubern – durch Fakten und Haltung.
Es reicht nicht, ihnen die Reichweite zu neiden. Sie müssen analysiert, benannt, und – wo nötig – rechtlich belangt werden. Aber auch durch bessere Narrative ersetzt werden: Emotional, ehrlich, demokratisch.

4. Zivilgesellschaft stärken.
Initiativen wie HateAid oder CeMAS brauchen mehr Sichtbarkeit – und politischen Rückhalt. Denn Gegenrede wirkt – wenn sie sichtbar ist.

Fazit: Die neue Rechte ist digital, durchtrainiert und algorithmisch erfolgreich.

Rechte Influencer haben verstanden, wie man junge Menschen erreicht – nicht mit Parolen, sondern mit Personality. Mit TikTokschnitt statt Parteitagsrede. Mit Duschkopf-Emoji statt Pamphlet. Wenn wir weiter zusehen, machen sie das Netz zur Bühne für ihre Ideologie – und die Plattformen zum Verstärker. Es geht hier nicht um Meinungsfreiheit. Es geht um die schleichende Verschiebung dessen, was wir sagen, denken und glauben dürfen – ohne es zu merken. Und genau deshalb ist es höchste Zeit, das digitale Spielfeld zurückzuerobern.