Tech & Trends Wird OpenAI das neue Google und die KI-Welt dominieren? Drei Antworten

Wird OpenAI das neue Google und die KI-Welt dominieren? Drei Antworten

Ich ließ ChatGPT, Gemini und Claude dieselbe Frage beantworten – die Ergebnisse könnten unterschiedlicher nicht sein

Die größte Frage der Tech-Dekade lautet: Wer wird die KI-Welt beherrschen? Wird OpenAI das neue Google? Oder endet der Hype in Fragmentierung und der Rückkehr der alten Platzhirsche?

Um das herauszufinden, stellte ich drei führenden KI-Systemen dieselbe Frage: ChatGPT von OpenAI sollte bewerten, ob sein eigenes Unternehmen gewinnen wird. Gemini von Google sollte aus Konkurrenten-Sicht analysieren, ob OpenAI zur Bedrohung wird. Und Claude von Anthropic sollte als neutraler Referee die Aussagen gegen historische Marktverschiebungen prüfen.

Das Ergebnis ist verblüffend: Alle drei kommen zu fundamental unterschiedlichen Antworten.

Antwort 1: ChatGPT – „Ja, wir gewinnen – aber anders“

ChatGPT beantwortet die Gewinner-Frage mit einem entschiedenen Ja, formuliert es aber geschickt um: OpenAI schaffe eine völlig neue Kategorie. Die KI beschreibt ihr Unternehmen als „Meta-Schicht über allen Verticals“ und „Betriebssystem für Denken“. Google sei das Fenster zur Welt gewesen, OpenAI werde der Spiegel.

Die Argumentation: OpenAI konkurriere gar nicht direkt mit Google oder Microsoft. Es schaffe eine Ebene darüber, die alle bestehenden Dienste orchestriert. Zwischen 30 und 40 Prozent Marktanteil bei APIs, 25 bis 35 Prozent bei Developer Tools, 20 bis 30 Prozent bei Enterprise AI. Die Begründung: Markenvertrauen, fallende Wechselkosten, offenes Ökosystem.

ChatGPT verweist auf eine zentrale Stärke: „Wir liefern Gehirne für alle – wie Nvidia Chips für alle liefert.“ Das Geschäftsmodell sei Infrastruktur, nicht Verdrängung. OpenAI werde zum unverzichtbaren Layer in jedem Tech-Stack.

Das Problem: ChatGPT erklärt nicht, warum Google oder Microsoft nicht binnen Monaten dasselbe Feature gratis ausrollen können. Es ignoriert, dass Meta-Schichten historisch selten dominieren. Der Browser demokratisierte das Web, aber Microsoft blieb mächtig. Slack modernisierte Office – bis Teams es gratis bundelte.

Antwort 2: Gemini – „Ja, aber nur als Teil des Oligopols“

Googles KI überrascht mit Fairness. Statt OpenAI kleinzureden, prognostiziert Gemini eine „massive Markteroberung“ mit 25 bis 30 Prozent Marktanteil. Es beschreibt detailliert die Angriffe: Sora bedroht TikTok, ChatGPT Connectors kommodifizieren Google Workspace, der Record Mode umgeht Microsoft Teams.

Aber niemand wird verdrängt. Es entsteht ein „KI-Oligopol der Koexistenz“. Die Begründung: Microsoft kontrolliert die Governance-Schicht mit Compliance und Sicherheit. Googles Ecosystem macht Switching brutal teuer. Funktionale Spezialisierung sorgt dafür, dass jede KI ihre Stärken behält.

Gemini zitiert historische Lehren von Nokia über MySpace bis Yahoo und kommt zum Schluss: Die Tech-Giganten haben diesmal rechtzeitig investiert und strukturelle Moats („Burggräben“) gebaut.

Die Antwort: Ja, OpenAI gewinnt einen signifikanten Teil – aber alle gewinnen. Es gibt mehrere Gewinner, keinen alleinigen Herrscher.

Antwort 3: Claude – „Nein, die Historie sagt etwas anderes“

Claude prüfte beide Aussagen gegen historische Marktverschiebungen. Die Analyse war ernüchternd. Google hatte 1999 nur 7,8 Prozent Marktanteil und erreichte bis 2001 bereits 80 Prozent. Facebook startete mit einer Million Nutzern gegen MySpace mit fünf Millionen und hatte vier Jahre später gewonnen. Chrome launchte 2008 mit 0,3 Prozent und führte bis 2013.

Das brutale Muster: Wenn du einen 10x-Vorteil hast, gewinnst du den ganzen Markt. Der Gegenbeispiel ist Bing: Microsoft launchte 2009 mit Milliarden-Budget und erreichte bis heute nur 4 bis 8 Prozent. Warum? Bing war „auch gut“, aber nicht „10x besser“.

Genau hier liegt OpenAIs Problem: ChatGPT verarbeitet 373-mal weniger Anfragen als Google. Microsoft baut bereits eigene Modelle. Google, Meta und RunwayML haben vergleichbare Technologie. OpenAI hat eventuell einen 2-3x-Vorteil, keinen 10x-Vorteil. Und solche Vorsprünge verschwinden oftmals binnen in 12 bis 18 Monaten.

Claude prüfte auch die Oligopol-These und fand: Tech kennt keine „freundlichen Oligopole“. Google kontrolliert 90 Prozent der Suche, Meta 70 Prozent Social Media, iOS und Android 99 Prozent mobiler Betriebssysteme. Tech-Märkte tendieren zu Monopolen, weil Netzwerkeffekte zu extremer Konzentration führen.

Und dann das Profitabilitätsproblem: OpenAI verlor 2024 fünf Milliarden Dollar bei 3,7 Milliarden Umsatz. Bis 2028 könnten sich 44 Milliarden Dollar Verluste auftürmen. Microsoft und Google können das aushalten. OpenAI nicht.

Die Antwort von Claude: Nein, OpenAI wird nicht gewinnen im Sinne von Marktdominanz. Es wird zu 12 bis 18 Prozent kommen – wichtig, aber nicht Mainstream. Das neue Firefox, nicht das neue Google.

Das Zeitfenster schließt sich

Claude zeigte: MySpace brauchte vier Jahre vom Peak zur Irrelevanz. Google vs. Yahoo: drei Jahre. Chrome vs. Internet Explorer: fünf Jahre. Disruption ist exponentiell – oder gar nicht.

OpenAI hat 24 bis 36 Monate, um uneinholbar zu werden. Warum so kurz? Google brauchte sechs Monate von ChatGPTs Launch bis Gemini. Microsoft integrierte GPT-4 in Office binnen neun Monaten. Meta open-sourced Llama und kommodifizierte den Modell-Markt. Das Zeitfenster für echte Disruption schließt sich schneller, als beide KIs glauben wollen.

Die 15-Prozent-Realität

Nach Claudes Analyse: OpenAI wird 2030 bei 12 bis 18 Prozent Gesamtmarktanteil liegen. Bei der Suche 8 bis 15 Prozent, im Enterprise 20 bis 25 Prozent als Premium-Option, bei Social Video nur 3 bis 8 Prozent, Browser 2 bis 6 Prozent. Einzig bei Developer Tools sind 25 bis 30 Prozent realistisch.

Bei einem prognostizierten Markt von 200 bis 300 Milliarden Dollar wären 15 Prozent immer noch 30 bis 45 Milliarden Jahresumsatz. Das ist keine Niederlage, aber keine Dominanz. Es ist strategische Nischenführerschaft. Zumindest in der B2C-getriebenen Nutzerwelt.

Die eigentliche Disruption

Beide KIs denken in Marktanteilen. Aber die eigentliche Geschichte: OpenAI zwingt die Industrie, Preise zu senken. ChatGPT Plus kostet 20 Euro, Microsoft Copilot 30 Euro. Die OpenAI API ist (aktuell) 70 Prozent billiger als Google Vertex AI. Das ist die wahre Disruption: der Preiskrieg.

Und Preiskriege gewinnen die mit der tiefsten Kapitalbasis. Microsoft quersubventioniert mit Cloud, Google mit Ads, Meta mit Social Ads. OpenAI verbrennt 14 Milliarden Dollar pro Jahr. Der unsichtbare Gewinner? Die Nutzer. Und die Hyperscaler, die am Ende günstiger KI für alle anbieten.

Mein Fazit: Die Macht der Trägheit

ChatGPT glaubt an Neudefinition des Spiels. Gemini an friedliche Koexistenz. Claude an historische Muster.

Die Wahrheit? OpenAI wird ein bedeutender Player mit 15 bis 20 Prozent Marktanteil. Aber die Trägheit der Nutzer wird OpenAI einen schnellen Durchbruch versagen. Nicht Unternehmen sind das Problem – es sind die Milliarden Menschen, die jeden Tag Google Search öffnen, YouTube schauen, Gmail nutzen, auf Google Maps navigieren, mit Android telefonieren, in Google Drive speichern und im Play Store einkaufen.

Google hat sieben Verticals mit jeweils über einer Milliarde Nutzern. Das ist kein Moat – das ist ein Ozean. Nutzer wechseln nicht, weil eine neue KI etwas besser ist. Sie bleiben, weil der Wechsel Arbeit bedeutet, weil ihre Daten dort liegen, weil ihre Gewohnheiten dort verankert sind.

OpenAI wird daher eher das Amazon der KI-Welt als ein Apple oder Google – dominant in der Cloud-Infrastruktur und bei APIs, aber nicht im direkten Kundenkontakt. Ein gigantisches B2B-Geschäft, kein Consumer-Monopol.

Die Tech-Geschichte kennt keine friedlichen Oligopole. Der Moment der Verdrängung liegt zwischen 2026 und 2028. Nur: Diesmal wird nicht OpenAI verdrängen. Sondern Google und Microsoft werden OpenAI in die Infrastruktur-Nische drängen, während sie selbst die Endkunden behalten – einfach weil diese träge genug sind, nirgendwo hingehen.