Work & Winning Kann ich Dir trauen? Oder auch: „Erlebnisse, die im Hirn haften bleiben“

Kann ich Dir trauen? Oder auch: „Erlebnisse, die im Hirn haften bleiben“

Ist ja so ´ne Sache damit: Manchmal hat man es, dann fehlt es einem und ab und zu war es nie da. Die Rede ist vom Vertrauen. Wir haben da mal mit Gesa Lischka darüber gesprochen. Die macht seit mehr als 20 Jahren in Neuromarketing.

Wie hat sich das Vertrauen der Verbraucher in Marken in den letzten Jahren verändert?

Das Thema Vertrauen ist heute relevanter denn je – aber nicht, weil wir mehr davon haben, sondern weil wir es zunehmend vermissen. Die Welt, in der Marken heute agieren, hat sich radikal verändert. Klassische Autoritäten wie Staat, Kirche, Familie verlieren immer stärker ihre verbindende Kraft. Menschen suchen nach neuen Ankern, nach Zugehörigkeit, nach psychologischer Sicherheit – und genau hier rücken Marken ins Zentrum eines neuen sozialen Vertrauenssystems. Marken sind nicht mehr nur Anbieter von Produkten, sondern bieten Orientierung in unserer fragmentierten Welt. Das Vertrauen hat sich verschoben – weg von den Institutionen, hin zu den Marken, die Nähe, Konsistenz und Bedeutung glaubhaft vermitteln können. 

Welche Faktoren entscheiden heute darüber, ob eine Marke als glaubwürdig wahrgenommen wird? 

Glaubwürdigkeit ist kein rein kognitives Urteil, sondern ein neuropsychologisches Konstrukt. Anders gesagt: Vertrauen ist nicht gleich Vertrauen. Hier gibt es zwei parallele Bahnen, eine rationale und eine emotionale. Wir sprechen auch vom kognitiven Vertrauen, das sich auf Logik, Fakten und Nutzenversprechen stützt – und vom affektiven Vertrauen, das emotional geprägt ist, durch Nähe, Wiedererkennung, Bindung. Während Produktmarken vom Gehirn eher als Objekte oder abstraktes Konzept wahrgenommen werden und primär Nutzen und Verlässlichkeit vermitteln – können Arbeitgebermarken auch das affektive Vertrauen aktivieren. 

Weshalb?

Weil sie über echte Menschen, reale Begegnungen und soziale Interaktion erlebt werden. All das aktiviert neuronale Netzwerke, die für tieferes, nachhaltigeres Vertrauen verantwortlich sind. Deshalb meine These – und ich meine sie ganz bewusst provokant: In Zukunft wird die Arbeitgebermarke das stärkste Vehikel für Markenvertrauen sein. Nicht, weil Produkte unwichtig geworden sind. Sondern weil Vertrauen heute dort entsteht, wo Marken als menschlich, nahbar und sinnstiftend erlebt werden.. 

Reicht es heute noch, einfach nur ein gutes Produkt anzubieten? 

Ganz klar: Nein, ein gutes Produkt ist heute lediglich die Eintrittskarte.
Vertrauen entsteht dort, wo ein Produkt über sich hinausweist. Wo es nicht nur funktioniert, sondern für etwas steht. Themen wie Nachhaltigkeit, Vielfalt oder gesellschaftliche Verantwortung sind heute keine Imageverstärker mehr – sie sind Bestandteil der erweiterten neuronalen Markenwahrnehmung.Allerdings hat auch hier eine Verschiebung stattgefunden: Immer mehr Marken besetzen diese „Purpose-Themen“. Das führt dazu, dass auch gesellschaftliches Engagement zunehmend kommodifiziert wird. Was früher als klare Haltung galt, wird heute schnell als strategisches Kalkül gelesen – und das Gehirn erkennt diesen Unterschied. Misstrauen entsteht nicht durch den Inhalt, sondern durch die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit.

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