Work & Winning Rufbereitschaft: Die Nacht-und-Nebel-Vergütung, die keiner kennt

Rufbereitschaft: Die Nacht-und-Nebel-Vergütung, die keiner kennt

Wer nachts um drei für den Job erreichbar sein muss, will wissen, was das wert ist. Die Vergütung von Rufbereitschaft schwankt zwischen 0 und 1.050 Euro pro Woche – je nach Branche, Vertrag und Einsatzzeit.

Es ist 2 Uhr morgens, der Server brennt, und der Techniker muss aus dem Bett. Während er hektisch den Systemausfall behebt, stellt sich die Frage: Was ist diese Bereitschaft eigentlich wert?

Zwischen unbezahlter Erreichbarkeit und satten Wochenpauschalen von bis zu 1.050 Euro bei Tech-Unternehmen wie SumUp klafft eine gewaltige Lücke. Zeit für einen Realitätscheck, was Rufbereitschaft bedeutet, wann sie vergütet werden muss und welche Modelle in der modernen Arbeitswelt funktionieren.

Was ist Rufbereitschaft überhaupt?

Rufbereitschaft bedeutet, außerhalb der regulären Arbeitszeit erreichbar zu sein, ohne an einem bestimmten Ort sein zu müssen. Anders als beim Bereitschaftsdienst, bei dem Mitarbeiter am Arbeitsplatz präsent sein müssen, können Beschäftigte in Rufbereitschaft theoretisch überall sein – solange sie innerhalb einer festgelegten Zeit einsatzbereit sind.

Laut „arbeitsrechte.de“ liegt die vom Europäischen Gerichtshof als angemessen betrachtete Reaktionszeit bei etwa 45 Minuten. Der entscheidende Unterschied: Beim Bereitschaftsdienst gilt die gesamte Zeit als Arbeitszeit und wird entsprechend vergütet. Bei der Rufbereitschaft zählt nur die tatsächliche Einsatzzeit als Arbeitszeit. Das bloße Erreichbarsein wird separat – und oft deutlich geringer – vergütet.

Arbeitszeit oder nicht? Das sagt das Gesetz

Nach einem wegweisenden EuGH-Urteil vom März 2021 gilt Rufbereitschaft rechtlich nicht als Arbeitszeit – zumindest solange kein tatsächlicher Einsatz stattfindet. Erst wenn der Mitarbeiter aktiv wird, beginnt die Arbeitszeit zu laufen. Diese Unterscheidung hat massive Auswirkungen auf Vergütung und Ruhezeiten.

Die gesetzlich vorgeschriebene Ruhezeit von elf Stunden beginnt laut „timo24.de“ erst nach Ende eines nächtlichen Einsatzes neu zu laufen. Wird ein IT-Administrator um 1 Uhr nachts für zwei Stunden aktiv, startet seine Ruhezeit erst um 3 Uhr – theoretisch dürfte er also frühestens um 14 Uhr wieder arbeiten. In der Praxis werden solche Regelungen jedoch oft flexibel gehandhabt.

Vergütungsmodelle: Von null bis tausend

Die Bezahlung für Rufbereitschaft variiert extrem. Während manche Unternehmen wie Apple oder Airbnb angeblich gar nicht für passive Rufbereitschaft zahlen, bieten andere großzügige Pauschalen. Wie „ilert.com“ berichtet, zahlen Tech-Unternehmen in Deutschland zwischen 800 und 1.050 Euro pro Woche für Rufbereitschaft. Bei Zalando liegt die wöchentliche Vergütung bei etwa 1.050 Euro, HelloFresh zahlt rund 1.000 Euro, und Amazon Deutschland etwa 800 Euro. In der Praxis haben sich drei Vergütungsmodelle etabliert: 1.

Pauschale pro Stunde oder Tag (unabhängig von tatsächlichen Einsätzen) 2. Zuschlag auf den regulären Stundenlohn (meist 12,5% laut TVöD) 3. Freizeitausgleich (z.\s*B. acht Stunden Rufbereitschaft = vier Stunden bezahlter Urlaub) Besonders interessant: Bei Bereitschaftsdiensten ab 12 Stunden sieht der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) die Vergütung mit dem zweifachen des Stundenlohns an Wochentagen und dem vierfachen an Wochenenden und Feiertagen vor.

Branchenunterschiede und Tarifverträge

Die Vergütungspraxis unterscheidet sich nicht nur zwischen Unternehmen, sondern auch zwischen Branchen erheblich. Während in der IT-Branche oft großzügige Pauschalen gezahlt werden, sieht es in anderen Bereichen anders aus. Laut „arbeitsrechte.de“ regeln Tarifverträge wie der TVöD die Rufbereitschaft oft detaillierter als das Gesetz.

Im Finanzsektor zeigt sich ein ähnliches Bild wie in der Tech-Branche: N26 zahlt etwa 880 Euro pro Woche, während PayPal in Deutschland mit 350 Dollar deutlich weniger bietet. Besonders spannend: Bei Google werden laut „ilert.com“ je nach Reaktionszeit-Anforderung unterschiedliche Prozentsätze des Basisstundenlohns vergütet – 66% bei fünf Minuten Reaktionszeit, 33% bei 30 Minuten.

Wann kann man Rufbereitschaft ablehnen?

Nicht jeder Mitarbeiter muss automatisch Rufbereitschaft leisten. Wie „arbeitsrechte.de“ erklärt, kann Rufbereitschaft nur verlangt werden, wenn sie im Arbeitsvertrag oder einer Betriebsvereinbarung festgelegt ist.

Ohne diese vertragliche Grundlage oder bei berechtigten Gründen – etwa gesundheitlichen Einschränkungen – darf der Arbeitgeber keine Rufbereitschaft anordnen. In Betrieben mit Betriebsrat ist die Einführung von Rufbereitschaft zudem mitbestimmungspflichtig. Der Betriebsrat muss bei der Einführung oder Änderung zustimmen, was Arbeitnehmern zusätzlichen Schutz bietet.

Mehr als Geld: Gesundheit und Work-Life-Balance

Rufbereitschaft belastet nicht nur den Geldbeutel des Arbeitgebers, sondern auch die Gesundheit und das Privatleben der Mitarbeiter. Der IT-Branchenverband Bitkom empfiehlt laut „ilert.com“, Rufbereitschaft auf maximal 56 Tage pro Kalenderjahr zu begrenzen und pro Schicht mindestens acht Stunden ununterbrochene Ruhezeit zu garantieren.

Fortschrittliche Unternehmen setzen auf klare Erwartungen, faire Rotation der Bereitschaftsdienste und intelligente Tools zur Reduzierung von Alarmflut. Automatisierte Bereitschaftspläne sorgen für Transparenz, und regelmäßige Trainings halten Teams einsatzbereit für den Notfall.

Business Punk Check

Die Realität der Rufbereitschaft ist ernüchternd: Während Tech-Giganten wie Google ausgeklügelte Vergütungsmodelle entwickeln, hangeln sich viele Unternehmen von einem rechtlichen Minimum zum nächsten. Die wahren Kosten tragen oft die Mitarbeiter – in Form von Schlafmangel, Stress und eingeschränkter Freizeit. Besonders problematisch: Der Trend zu Always-on-Kulturen verschwimmt die Grenze zwischen bezahlter Rufbereitschaft und unbezahlter ständiger Erreichbarkeit.

Wer als Arbeitnehmer nicht klare Grenzen zieht und faire Vergütung fordert, wird systematisch ausgenutzt. Progressive Unternehmen erkennen dagegen, dass großzügige Rufbereitschaftsvergütungen und klare Rotationssysteme langfristig günstiger sind als Burnout und Fluktuation. Der nächste Karriereschritt? Rufbereitschaft im Arbeitsvertrag konkret regeln und bei Gehaltsverhandlungen aktiv einbeziehen – denn verfügbar sein hat einen Preis.

Häufig gestellte Fragen

  • Wie verhandelt man faire Rufbereitschaftsvergütung?
    Recherchieren Sie Branchenstandards (in der Tech-Branche 800-1.050€/Woche) und fordern Sie entweder eine Pauschale oder einen prozentualen Aufschlag auf Ihren Stundenlohn. Bestehen Sie auf schriftliche Fixierung im Arbeitsvertrag und klare Definition der erwarteten Reaktionszeit.
  • Wie lässt sich Rufbereitschaft mit Work-Life-Balance vereinbaren?
    Setzen Sie auf Rotationssysteme mit maximal einer Woche Rufbereitschaft pro Monat. Nutzen Sie Tools zur Alarmfilterung und vereinbaren Sie Ausgleichstage nach intensiven Einsatznächten. Wichtig: Definieren Sie „Notfälle“ präzise, um triviale Anfragen außerhalb der Arbeitszeit zu vermeiden.
  • Welche Future Skills brauchen Führungskräfte für effektive Rufbereitschaftssysteme?
    Entscheidend sind Kompetenz in datengestützter Personalplanung, Verständnis für psychische Belastungsfaktoren und die Fähigkeit, klare Eskalationspfade zu definieren. Zukunftsorientierte Manager entwickeln zudem automatisierte Incident-Response-Systeme, die menschliche Eingriffe minimieren.
  • Wie wirkt sich regelmäßige Rufbereitschaft auf die Karriereentwicklung aus?
    Strategisch eingesetzt kann Rufbereitschaft die Karriere beschleunigen: Sie demonstriert Verantwortungsbereitschaft, baut tiefes Systemverständnis auf und schafft Sichtbarkeit bei Entscheidern. Gleichzeitig besteht die Gefahr, in eine „Always-on“-Falle zu tappen, die langfristig zu Burnout führt. Balance ist entscheidend.

Quellen: „timo24.de“, „ilert.com“, „arbeitsrechte.de“