Work & Winning Was passieren kann, wenn man ein „ss“ im Nachnamen trägt

Was passieren kann, wenn man ein „ss“ im Nachnamen trägt

Einige Wochen nach der Beantragung wollte Bürger Weiss nun seine Dokumente abholen, bei welcher Gelegenheit dem Sachbearbeiter auffiel, dass der Name in der alten Geburtsurkunde mit „ß“ geschrieben stand. Da ist dem Behördenvertreter guter Rat teuer. Jedenfalls – aushändigen könne man Reisepass und Ausweis unter diesen Umständen nicht. Die müssten neu beantragt werden, und zwar für Weiß und nicht für Weiss. Den Antragsteller befielen virtuelle Schweißausbrüche beim Gedanken, wo überall nun sein Name infolge der Einwohner-Behördenaktivität geändert werden müsste – das US-Visum nur eine besonders augenfällige Notwendigkeit. Diesen Ausweg wies das Einwohnermeldeamt als einzige Möglichkeit zur Abhilfe: Einen offiziellen Antrag auf Namensänderung beim Standesamt des Geburtsortes. Eine längliche und auch nicht gerade kostenlose Unternehmung. Nur um hinterher Weiss zu heißen statt Weiß. Nicht ausgeschlossen, dass das Standesamt eine solche Anfrage für einen der früher mal beliebten Scherze zu Lasten einer Behörde halten könnte, eingereicht von einem Witzbold, um sich auf Kosten der Beamten über selbige lustig zu machen. Wer weiß das schon.

Es gelang schließlich, die Kuh vom Eis zu bekommen – mit Plädoyers beim Amtsleiter und der Vorlage zahlreicher Urkunden, die das Weiss als Name eindeutig bezeugten, sowie einiger historischer Aufklärung in sprachwissenschaftlicher Hinsicht. Die Fülle des Materials überwältigte offenbar die Behörde, und man ließ sozusagen Gnade vor Recht ergehen. Damit dürfte auch eine Verlängerung in einigen Jahren kein Problem mehr werden. Allerdings – ein Umzug in die Regentschaft eines anderen Einwohnermeldeamts wäre nicht ratsam, dann nämlich wartet wieder der Rückgriff auf die im Archiv schlummernde toxische Geburtsurkunde.

Warum man bei der letzten Rechtschreibreform 1996 zwar den Gebrauch des „ß“ veränderte und festschrieb, sich aber nicht zur Angleichung an die Schweizer Regelung – vulgo Abschaffung des Ausnahmebuchstabens – durchringen konnte, bleibt ein Geheimnis der damaligen Reformer. 1996 und oftmals zuvor gab es Debatten um das ß; so recht gefallen wollte es partout nicht, aber in manchen Fällen dient es doch der Eindeutigkeit. Und: die Schreibweise geht sogar bis auf das Mittelalter zurück. Genaueres weiß die Gesellschaft für Deutsche Sprache (GfDS): „In der Frakturschrift formte er sich aus der Verbindung von langem ſ mit einem geschwänzten z (ſʒ oder sz), in der Antiqua aus der Verbindung von ſ und rundem s“. Die Optik wäre damit erklärt. Und es änderte sich 1996 auch offiziell der Gebrauch – statt der automatischen Verwandlung des kleinen ß in ein Doppel-S bei Großschreibung gibt es den Buchstaben längst auch in Versalien. Seit 2008 ist eine “Großbuchstabenform “ẞ” (Unicode U+1E9E) standardisiert, und 2017 wurde „ẞ“ (groß) in das amtliche Regelwerk aufgenommen”. Dagegen, weiß der „Duden”, kann in Eigennamen oder Geografien die Schreibweise abweichen (z.B. Theodor Heuss, Keßler, Neuss). Womit der Duden auf der Seite von Giselher Weiss steht, dies nur nebenbei: „Familiennamen mit ß können in Großschreibung falsch gedeutet werden (z.B. ist GROSSMANN der Passform nicht eindeutig Großmann oder Grossmann)”, so erklärt es die GfDS. Ebenso gründlich wie verwirrend. Da hilft nur eines: Man fragt einfach den Träger des Namens. Der sollte es schließlich wissen.

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