Work & Winning Zwischen Ansage und Wohlfühlkurs: Warum Führungskräfte besser steuern müssen

Zwischen Ansage und Wohlfühlkurs: Warum Führungskräfte besser steuern müssen

Wir erleben gerade eine Führungskrise – in der Wirtschaft und Gesellschaft. Zwischen dem Ruf nach starken Männern und dem Druck der Cancel Culture, verliert Deutschland seine Fähigkeit zu steuern. Doch echte Führung ist weder Macht noch Kuschelkurs. Sie ist die Kunst, Komplexität auszuhalten, Paradoxien zu managen – und trotzdem machbare Optionen aufzuzeigen.

Die aktuellen Modeworte des Managements drehen sich wieder um „Ordnung“, von „Durchgreifen“ und „klarer Linie“. Auf der anderen Seite wird an Empathie, Diversität und Achtsamkeit appelliert. Zwei Haltungen, die gegensätzlicher kaum sein könnten – und doch haben sie eines gemeinsam: Sie funktionieren nicht. Zumindest nicht in ihrer jeweiligen Reinform.

Das erlebe ich täglich in Unternehmen. Führungskräfte wollen heute alles richtig machen, haben in den letzten Jahren erlebt, dass sie ihre Werte und Normen weiterentwickeln müssen – und steuern am Ende gar nichts mehr. Aus Angst, zu hart zu wirken, flüchten sie in Harmonie. Aus dem Bedürfnis nach Klarheit werden Kontrollschleifen. Und die Folge ist dieselbe: Projekte kommen nicht ins Ziel, Entscheidungen werden vertagt, Energie versickert. „Die Themen werden komplexer“, sage ich meinen Kunden oft, „aber die Werkzeuge bleiben einfach und die Anforderungen paradox.“

Das Missverständnis der Steuerung

In vielen Organisationen ist Steuerung gleichbedeutend mit Kontrolle. Wenn etwas schiefläuft, wird ein neues Reporting aufgesetzt, eine weitere Zielvereinbarung formuliert oder ein KPI verschärft. Doch diese alte Logik – Abweichungsmanagement, Zielkontrolle, Korrektur – funktioniert nur bei stabilen, einfachen Aufgaben. In dynamischen Umfeldern dagegen führt sie ins Leere. Denn Komplexität lässt sich nicht mit einfachen Regeln einfangen.

Führung in der Transformation heißt deshalb nicht, mehr Druck auf die Mitarbeiter und das System zu machen, sondern besser zu verstehen, was Menschen antreibt. Steuerung wird zur Sinnkopplung: die Fähigkeit, Unternehmensziele mit individueller Motivation zu verbinden. Nur wenn Führungskräfte das hinbekommen, entsteht echte Wirksamkeit.

Die Rückkehr der alten Männer

Gleichzeitig erleben wir eine erstaunliche Renaissance alter Führungsbilder. Disziplin, Klartext und Autorität sind wieder gefragt. Nach außen Härte, nach innen Anpassung (Ergebnis: Stillstand) – diese Ambivalenz ist kein Zufall, sondern Symptom. Manager, die Durchsetzungsstärke als Mittel der Wahl einsetzen, aber keine Wirksamkeit erzeugen.

Das ist die Great-Man-Theory in Reinform – ein längst überholtes Führungsmodell aus dem 19. Jahrhundert, das davon ausgeht, dass große Männer Geschichte und Organisationen allein durch ihre Persönlichkeit lenken. Doch das ist ein Trugschluss. Wir leben in vernetzten Strukturen, in denen Autorität nur funktioniert, wenn sie Resonanz erzeugt (die Rolle der Medien tut hier ihr übriges, doch darum soll es hier nicht gehen). Wer heute einfach „führt“, ohne Sinn zu stiften, wird folgenlos bleiben – ganz gleich, wie laut er ruft.

Die Wohlfühlfalle

Das Gegenmodell ist genauso problematisch: eine weichgespülte Führungswelt, in der jede Entscheidung erst einmal „abgeholt“ und auf jede Befindlichkeit Rücksicht genommen werden muss. Feedback-Kultur als Selbstzweck. Viele Führungskräfte landen in dem, was ich „Nichtangriffspakte“ nenne – kleine Wohlfühloasen, in denen man sich gegenseitig versichert, wie wichtig Teamgeist ist, während die Ergebnisse ausbleiben. Auch das ist Steuerungsversagen – nur eben mit freundlichem Gesicht.

Zwischen diesen beiden Polen – autoritäre Kontrolle und überzogene Einbindung – entsteht das eigentliche Dilemma unserer Zeit: Wir haben verlernt, differenziert zu steuern. Heute, in Zeiten von Disruption, Künstlicher Intelligenz, geopolitischer Unruhe und einem Europa, das international um Wettbewerbsfähigkeit ringt, reicht Kontrolle und Bewahrung der Stabilität aber nicht aus. Wer Komplexität vermeiden will, verliert sie. Wer sie führen will, muss lernen, sie auszuhalten.

Führen heißt, Widerspruch auszuhalten

Das verlangt eine neue Steuerungsintelligenz: adaptiv, reflektiert, widerspruchstolerant. Gute Führung heißt, flexibel zwischen Klarheit und Offenheit zu wechseln – je nach Situation. Bei einfachen Aufgaben helfen Ziele, Rollen und Strukturen. Bei komplexen Herausforderungen zählen Sinn, Dialog und Prioritäten.

Doch genau das lernen die wenigsten. Noch immer wird Führung als Handwerk verstanden, nicht als Zusammenspiel von Struktur und Beziehung. Das Ergebnis sind zwei Extreme: Politik übersteuert mit Regeln, Unternehmen untersteuern mit Rücksicht. Die einen reagieren auf jede Krise mit Kontrolle, die anderen auf jede Unsicherheit mit Konsens. Beides lähmt.

Was fehlt, ist Vertrauen in die eigene Steuerungsfähigkeit – die innere Klarheit, warum man handelt. Denn Steuerung ist keine Frage der Methode, sondern der Haltung. Wer Resonanz schafft, kann Konflikte zulassen, ohne sie zu fürchten. Führung heißt nicht, alles zu kontrollieren, sondern Orientierung zu geben.

Deutschland braucht keine starken Männer – sondern starke Steuerung

Der Weg aus der Krise führt nicht zurück in die Vergangenheit und auch nicht in die Komfortzone. Er führt dahin, wo Führung wieder Verantwortung übernimmt: klar, empathisch, widerspruchstolerant. Führung bedeutet, die Balance zwischen Klarheit und Empathie zu finden – und dabei die Komplexität der heutigen Welt auszuhalten.