Leadership & Karriere Die Bedeutung von Jobtiteln: Verbrennt die Visitenkarten!

Die Bedeutung von Jobtiteln: Verbrennt die Visitenkarten!

Intern alles informell

Das wissen erfahrene Recruiter natürlich. Deswegen achten sie auf völlig andere Dinge im Lebenslauf. Etwa auf die Größe und das Gewicht der Projekte, an denen der Bewerber in der Vergangenheit beteiligt war, auf die Anzahl der ihm unterstellten Mitarbeiter in seiner Abteilung sowie auf die konkreten Beschreibungen der geleisteten Aufgaben.

Ries sagt, dass die Titel bei SAP zwar nach außen hin ganz offiziell noch existieren, aber intern laufen Projekte auch immer interdisziplinärer und unabhängig von Abteilungen und Jobtiteln. Vor allem bei der Softwareentwicklung würden klassische Hierarchien mittlerweile komplett abgeschafft, Jobtitel hätten kaum noch Bedeutung. Und das scheint erfolgreich zu laufen, denn SAP will dieses Modell in Zukunft auch auf andere Abteilungen und Projekte übertragen.

Titel im Kundenkontakt

Es gibt aber Situationen, in denen man weder bei SAP noch bei Kuehlhaus komplett auf Titel verzichtet, egal wie locker die Strukturen intern inzwischen aussehen mögen: beim Umgang mit Kunden und potenziellen Firmenpartnern. „Die Außenwelt hat solche Titel ganz gern“, sagt Reschke. Nicht jeder hält das No-Title-Konzept für sinnvoll. Resch­ke sagt, dass er schon alles an Feedback bekommen hätte: von „Ich wünschte, wir wären auch schon so weit, dass wir diese bescheuerten Titel abschaffen könnten“ bis hin zu „Wer macht denn jetzt bei euch bitte was?“. Deshalb schreiben er und seine Mitarbeiter gelegentlich mal einen Titel in die E-Mail-Signatur. Dabei ist man sehr flexibel: je nachdem, welche Rolle der Kunde gerade verlangt. Auch für Arbeitszeugnisse macht Kuehlhaus eine Ausnahme, denn man hat verstanden, dass außerhalb des eigenen Betriebs darauf weiterhin Wert gelegt wird.

Das sieht Stefan Ries ähnlich. „Bei SAP wird vor allem in Customer-Facing-Rollen, etwa im Vertrieb, weiterhin mit Titeln gearbeitet.“ Auch hier seien es die Kunden, die häufig nach außen hin sichtbare Jobtitel verlangten. Dabei spielt eine Rolle, dass sich SAP als international agierendes Unternehmen oftmals in kulturellen Kontexten bewegt, in denen die Wirtschaft konservativer aufgestellt ist. Ries sagt: „Es gibt durchaus noch Länder, in denen Jobtitel immer noch eine höhere Bedeutung haben als in Deutschland.“

©VIDAM

Und das eingangs erwähnte Berliner Tech-Startup, das dem Titelwahn verfallen war? Dort war nach anderthalb Jahren aber auch Schluss mit der Titelinflation. Die Gründer mussten einsehen, dass sie sich mit der Taktik der preisgünstigen Aufwertung in eine Sackgasse manövriert hatten. Also Neuanfang und intern neu strukturieren. Dazu wurden dort zwei verschiedene Projektgruppen gegründet, denen man die Mitarbeiter zu gleichen Teilen zugewiesen hat. Anschließend hat man innerhalb der Gruppe einheitliche Positionen für alle verordnet. Die alten Visitenkarten wurden entsorgt, E-Mail-Signaturen angepasst, und „der Titelwahn hatte endlich ein Ende“, erinnert sich die Mitarbeiterin des Startups.

Gefühlt entmachtet

Aber wie reagieren Angestellte darauf, dass ihnen von heute auf morgen der fancy klingende Titel einfach so weggenommen wird? Bestenfalls so wie bei Reschke und Kuehlhaus. Dort war die Abschaffung kein Problem. Das lag aber daran, dass es den meisten schon vorher „ziemlich egal war, was auf der Visitenkarte steht“. Anderswo läuft es nicht ganz so kuschelig ab: Beim Tech-Startup nämlich wurde die flächendeckende Degradierung durchaus mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Zwar konnten die meisten die Motive der Gründer nachempfinden, aber enttäuschend war es für den einen oder anderen dann doch, die Wörter „Chief“ oder „Head of“ von der Visitenkarte verschwinden zu sehen.

Ein Mitarbeiter, der zwei Jahre lang einen solchen Titel innehatte, fühlte sich durch die Entmachtung derart angegriffen, dass er sich dazu entschied, seinen Posten ganz zu räumen. Sein Grund? Fehlende Aufstiegschancen, die mit der Vereinheitlichung aller Titel einhergingen. Bloß: Was hätte er, der Logik der alten Verhältnisse folgend, nach Chief oder Head of noch werden können?

Für die ehemalige Praktikantin, die sofort den Titel Business Developer erhielt, obwohl sie an Meriten lediglich einen einzigen Arbeitstag Berufserfahrung und ein gutes Bewerbungsgespräch vorzuweisen hatte, hat sich die Restrukturierung der Titel am Ende trotzdem gelohnt. Obwohl sie dann als feste Mitarbeiterin übernommen wurde, war der Titel erst einmal weg. Im Gegenzug hat man aber ihre Kompetenzen im Unternehmen erhöht, sie bekam außerdem mehr Entscheidungsgewalt. Und noch etwas änderte sich: „Ich bekam endlich mehr Geld.“

Und siehe da: Dass sie dafür ihren Titel opfern musste, hat sie dann gar nicht sonderlich gestört.

 

Der Beitrag stammt aus unserer aktuellen Ausgabe 05/18. Im Titel erzählen wir von Bitcoin-Wunderkind Marco Streng, der den globalen Krypotowährungsgiganten Genesis Mining aufgebaut hat. Außerdem: In unserem Dossier „Streaming“ widmen wir uns der Technologie, die die Entertainment-Branche einmal komplett umgekrempelt hat. Weitere Infos gibt es hier.

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