Female Entrepreneurship Tabea Mewes: “Menschen mit Behinderung werden vom Staat bevormundet“

Tabea Mewes: “Menschen mit Behinderung werden vom Staat bevormundet“

Und was sagt Marian dazu?

Mari ist von vornherein integriert gewesen. Nichts wurde bisher ohne ihn beschlossen. Er weiß über alles Bescheid, was ich poste. Und es ist ganz spannend zu beobachten, was diese Öffentlichkeit mit ihm gemacht hat in den letzten Monaten. Mari hat einen riesigen Schub an Selbstbewusstsein bekommen durch das Projekt.

Inwiefern?

Mari wurde schon immer von Leuten gemocht. Aber dadurch, dass er nicht so sprechen kann wie du und ich, würde er eben nie von sich aus eine Geschichte erzählen, sondern ist eher im Hintergrund. Und plötzlich bekommen Leute mit, was in seinem Leben passiert, und fragen ihn aktiv. Er fühlt sich total wahrgenommen dadurch. Er ist wirklich ein anderer Mensch geworden in den letzten Monaten, weil er plötzlich eine Relevanz gewonnen hat.

Marian hat ja mal in einem Interview gesagt, er möchte Maler oder Pizzabäcker werden. Jetzt ist er ja gerade mit der Schule fertig geworden. Steht der Plan noch? Weiß er inzwischen, wie es weitergeht?

Leider gar nicht. Diese Etappe ist gerade sehr schwierig. Mari ist in einer Qualifikationsphase. Das geht über zwei Jahre, und man kann verschiedene Bereiche ausprobieren. Er versauert im Prinzip 40 Stunden in der Woche in einer Werkstatt und bekommt dafür 80 Euro im Monat. Die Betreuer sind zwar nett und wollen nur das Beste, aber meine Familie fragt sich, wo das hinführen soll. Wir kämpfen gerade dafür, dass er nur Teilzeit dort arbeiten muss, damit er noch ein bisschen Energie für andere Sachen hat, als nur Schrauben zu sortieren. Inklusion ist in Richtung Arbeitsmarkt einfach nicht zu spüren. Menschen mit Behinderung werden vom Staat total bevormundet.

Also du hast das Gefühl, es ist eher ein staatliches Problem und weniger eins der Unternehmen?

Das geht Hand in Hand. Gerade wenn du über größere Firmen sprichst, kannst du das nicht ohne Richtlinien vom Staat hinkriegen. Eigentlich hat jedes Unternehmen die Auflage, fünf Prozent ihrer Arbeitnehmer mit Behinderung einzustellen. Aber die meisten kaufen sich davon frei und zahlen die Strafe von 320 Euro im Monat pro unbesetzten Pflichtarbeitsplatz. Das ist einfach viel zu wenig, weil sie sich damit aus einer gesellschaftlichen Verantwortung freikaufen können. Das ist ein Armutszeugnis für Deutschland, obwohl es sich mit der UN-Behindertenrechtskonvention vor zehn Jahren zur Inklusion verpflichtet hat.

Was könnte man konkret ändern?

Tatsächlich einfach die Strafe erhöhen. So, dass Unternehmen sich aufgrund der finanziellen Hürde mal aufraffen und was ausprobieren. Aber das Allerwichtigste ist, dass man nicht schon im Kindergarten separiert. Gerade in diesen ersten Jahren, in denen wir die ersten Freundschaften knüpfen, kann man ganz viel in diesen kleinen Köpfen verändern. Wenn du da schon Vielfalt lebst und da schon klar machst, nicht jeder kann laufen oder sehen oder im ersten Schuljahr von A bis Z schreiben, dann würde Inklusion auch später besser funktionieren.

Viele Menschen haben ja wenig Kontakt zu Menschen mit Down-Syndrom, da kann es verunsichern, auf jemanden wie Marian zu treffen. Was würdest du dir wünschen, wie andere reagieren, wenn sie ihn treffen?

Ich würde mir wünschen, dass es nicht mehr irritiert. Diese Irritation zeigt die Nicht-Sichtbarkeit von Andersartigkeit in unserer Gesellschaft. Ich würde mir einfach wünschen, dass die Gesellschaft mal versteht, dass wir keine homogene Masse sind. Dass wir verschieden sind und dass die Verschiedenheit uns gut tut. Und dass es jedem gut tut, Kontakt zu Menschen zu haben, die in irgendeiner Art und Weise anders sind – äußerlich, innerlich, whatever. Das Feedback auf unser kleines Mikro-Projekt zeigt mir, dass Hopfen und Malz vielleicht nicht völlig verloren sind.

Was sind eure Pläne für die Zukunft?

Ich habe auf jeden Fall Lust, das Ganze etwas mehr offline zu machen. Ich möchte mehr Menschen in echt kennenlernen. Aber ansonsten ist auch der Shop noch in den Kinderschuhen. Deswegen bin ich erst einmal froh, wenn das in einigermaßen geregelten Formen weiterläuft und ich meinen normalen Job weitermachen kann.

Seite 2 / 2
Vorherige Seite Zur Startseite

Das könnte dich auch interessieren