Leadership & Karriere Die unfreiwillige Oberflächlichkeit des Anzugträgers

Die unfreiwillige Oberflächlichkeit des Anzugträgers

Große Weihnachtsfeier eines IT-Dienstleisters, um die 3000 geladenen Gäste. Die Halle voll, Blicke nach vorn. Schließlich soll der Chef des Unternehmens jetzt seine Rede halten. Nicht alle schick, viele leger. Aber der CEO wird doch wohl im Anzug auftreten? Nichts da. Mit einer Stunde Verspätung kommt er auf die Bühne, ein entschuldigendes Grinsen im Gesicht. Er wirkt locker, entspannt, fast so als käme er von einem langen Spaziergang nach Hause. Woher der Eindruck? Er trägt Jeans, ein weißes Shirt und darüber einen bordeauxroten Sweater.

Manch einer könnte jetzt einwerfen, dass es in der IT-Branche schon längst lockerer zugeht. Die Nerds sitzen schließlich vorm PC – warum dann also Business Dress. Doch die Krawattenlose-Anzugverschmähende-Bewegung zieht weitere Kreise als nur das Büro des Informatikers. Um nicht gleich die Apokalypse herbeizurufen, der Anzug wird uns sicherlich noch auf lange Zeit erhalten bleiben, nur zwei kleine Details verändern sich: der Schlips bleibt im Schrank und der Business Look wird individueller.

Von schick zu altbacken

Georgio Armani, der bekannteste Fashiondesigner Italiens, sagte einst: „Ein Mann muss keine Krawatte tragen, um elegant auszusehen. Sie ist nicht mehr als ein dekoratives Detail.“ Und damit trifft er die Meinung vieler, die dem Binder den Kampf angesagt haben. Elon Musk, Steve Jobs oder Mark Zuckerberg sind nur ein paar bekannte Beispiele, die sich dem Dresscode wider- und stattdessen auf Simplicity setzen. Nur im äußersten Notfall wird sich noch mit Vollmontur-Anzug und Schlips gezeigt. Und zwar zu solchen Meetings, die als besonders spießig empfunden werden.

Irgendwann hat der alte Business Look also einen Wandel erlebt. Vom verpflichtenden Auftritt für Seriosität zum Ruf von Alteingesessenem. Vom Zeichen für Reife und Erwachsensein zum Merkmal für Vergangenes. Wer heute hipp und jung wirken will, der braucht scheinbar nicht einmal daran denken, sich den Binder umzulegen. Da helfen auch keine bunten Farben oder fancy Aufdrucke. Die aufgezwungene Pflicht zur Krawatte wird mehr und mehr zur Verkleidung.

Mehr Personality

Unfreiwillig drängt bei dem Wort Personality die Stimme von Heidi Klum in den Kopf, die ihre Nachwuchs-Influencer dazu aufruft, sich noch ein bisschen mehr für die Kamera zu blamieren. Doch fernab dieser Negativ-Behaftung wünschen sich viele, dass auf Arbeit der eigenen Persönlichkeit und damit verbunden dem Kleidungsstil höhere Priorität zugeschrieben wird. Knallharter Business Look passt da natürlich gar nicht ins Bild. Denn häufig wird so die Generation der Eltern – wenn nicht gar Großeltern – in Verbindung gebracht. Büroräume im Kastenstil, ein Meer aus schwarzen Anzügen.

Der junge Mensch von heute will sich abgrenzen, Vorurteilen entgegentreten und Schubladendenken abschaffen. Schließlich ist man mehr als nur seine äußere Hülle. Doch widerspricht nicht genau dem der strenge Arbeitslook? Penibel schick mit Krawatte. Seriosität und Macht oder Gier, Arbeitswut und Strenge. Klischeebehaftet – Typus Mann im Anzug. Kompetenz nach außen tragen, der Leitfaden des Business Looks.

Die freie Wahl

Ein Glück, dass wir in einem Land leben, in dem wir frei über unser Dasein entscheiden können. Wäre es da nicht eine logische Schlussfolgerung, sich auch im Job nach Belieben kleiden zu dürfen? Halt Stopp, bevor die Aufregung beginnt: Alles hat seine Grenzen. Natürlich soll einem Unternehmen nicht untersagt werden, Rahmenbedingungen für eine gewisse Kleiderordnung zu stellen. Besonders, wenn die Firma seit Jahren statt casual auf chic setzt. Da wäre vermutlich die Chino mit buntem Hawaii-Hemd für’s Erste unangebracht.

Wie gut also, dass selbst kleine Schritte irgendwann zum Ziel führen: Einer Welt, die Kompetenz nicht nach Alter, Kleidung oder Herkunft festlegt, sondern allein nach dem Können des jeweiligen Menschen.

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