Innovation & Future Kolumne: Wird es im Sommer 2021 noch E-Scooter geben?

Kolumne: Wird es im Sommer 2021 noch E-Scooter geben?

Einmal im Monat versorgt euch unsere Kolumnistin Céline Flores Willers mit hilfreichen Tools und wichtigen Learnings aus dem Innovations-, Entrepreneurship- und Tech-Bereich.

An meinen ersten Ride mit einem E-Scooter kann ich mich noch genau erinnern: April 2019, ich war als Moderatorin der NOAH Konferenz in Tel Aviv, es gab eine Spritztour zwischen Palmenpanorama und Start-up-Büros – ich war begeistert. Vor allem von der reibungslosen User-Experience, denn das Entriegeln, das einfache Zahlen und Fahren haben auf Anhieb funktioniert. So sieht also die Micro-Mobilität der Zukunft aus, dachte ich mir damals: stressfrei von A nach B mit dem E-Scooter flitzen.

Zu dem Zeitpunkt war das Konzept in Europa noch nicht gelauncht. Auch an den stolzen Preisen habe ich mich nicht gestört. Der Spaßfaktor hat es wettgemacht und ich war ja schließlich im Urlaub. Als die Tretroller dann auch in immer mehr deutschen Städten eingeführt wurden, präsentierten sich die verschiedenen Anbieter vor allem als neue, nachhaltige Lösung.

Heute frage ich mich: Tragen sie wirklich zur nachhaltigen Fortbewegung bei? Wer bewegt sich überhaupt mit den Rollern fort, wenn keine zahlungswilligen Urlauber*innen in der Stadt sind? Wer sind die Player*innen, die mit dem vagen Geschäftsmodell Geld verdienen? Die Antworten auf die Fragen lässt die Zukunft für die City-Flitzer düster aussehen.

Was bisher geschah

Als im Juni 2019 der gesetzliche Weg für die E-Scooter geebnet wurde, brach das große Wetteifern der Anbieter aus. Mittlerweile sind in Deutschland sieben große Anbieter in 38 Städten vertreten. Darunter Lime, Dott, Bird, Voi Technology – ihr werdet sie kennen. Den Wettkampf haben viele nicht mal ein Jahr überlebt: Der deutsche Anbieter Circ wurde von Bird aufgekauft, Jump – die E-Scooter Marke von Uber – wurde vom Lime geschluckt.

Es ist ein Markt, in dem nicht unendlich viele Player Platz haben und ich schätze, weitere Übernahmen werden folgen. Lime und Bird scheinen im Augenblick die besten Ausgangsbedingungen zu haben, um sich gegen die Konkurrenz durchzusetzen. Warum? Sie haben die höchsten Investorengelder eingesackt. Lime beispielsweise hat 935 Millionen US-Dollar eingesammelt. Expansion kostet Geld, und zwar viel Geld. Auszahlen tut sich das für die Anbieter noch lange nicht. Die Profitabilität bleibt bis jetzt bei allen im wahrsten Sinne des Wortes auf der Strecke.

Wo wollen die Anbieter eigentlich hin?

„Wir gehen davon aus, dass fast keine Autofahrten durch E-Scooter eingespart werden“, bilanziert ein ADAC-Verkehrsexperte Anfang Juni. Wenn also die Autofahrer*innen keine E-Scooter nutzen, wer fährt denn dann?

User*innen nutzen den Roller zwar als „Zubringer“ zum ÖPNV und für den letzten Kilometer nach Hause, aber viele Fahrten sind einfache Spaßfahrten. Für mich waren die Roller auch immer eine großartige Abhilfe, wenn ich spät dran war ;-). Das ist wahrscheinlich aber auch kein Use-Case, auf den sich die Anbieter verlassen sollten.

Aber schauen wir auf einen anderen Faktor, dem sich die Anbieter stellen müssen: Die Verbesserung der CO2 Bilanz.

Grafik von adac.de

Die Grafik spricht Bände. Im Vergleich zum Fahrrad schneidet der E-Scooter verdammt schlecht ab. Das Hauptproblem: die Herstellung der Akkus. Eine Studie der University of North Carolina hat die Emissionsbilanz von Leih-E-Scootern in den USA untersucht und kam zu dem Ergebnis, dass bei der Materialgewinnung und Herstellung bis zu 50 Prozent der Gesamtemissionen entstehen. Besonders viel Energie benötigt die Herstellung der Lithium-Ionen-Akku und der Aluminiumrahmen. Da die meisten Scooter in China produziert werden und der Storm hier hauptsächlich aus Kohlekraftwerken stammt, ist auch der CO2-Ausstoß entsprechend hoch.

Und was passiert mit beschädigten Rollern? Was passiert, wenn ein Anbieter aufgekauft wird? Wird auch die Flotte übernommen? Dem scheint nicht so. Für die industrielle Vernichtung der Roller wurde zuletzt vor allem Jump kritisiert – während Tier-Mobility-Gründer Lawrence Leuschner punktete. Er bot an, die Flotte im Zeichen der Nachhaltigkeit aufzukaufen. Cleverer Move. Allgemein macht Tier einen guten Job. Sie setzen auf Partnerschaften mit Städten und binden neben Scootern jetzt auch Motoroller mit ein.

Screenshot von LinkedIn

Versteht mich bitte nicht falsch: Ich bin ein großer Fan von ebensolchen Innovationen! Die vielen Meckereien bezüglich der E-Scooter auf den Gehwegen habe ich nie verstanden. Das sind Probleme, für die sich Lösungen finden lassen. Für ein allgemein zweifelhaftes Produkt gibt es allerdings keine. Und so langsam erlischt meine Hoffnung, dass die E-Scooter, wie sie heute betrieben werden, nachhaltig und gewinnbringend eingesetzt werden können.

Zu schnell zu viel wollen

Trotzdem halten die Anbieter und ihre Investoren eisern an der Überzeugung fest, die Scooter brächten für den öffentlichen Nahverehr einen Mehrwert. Meine Prognose: Ja, 2021 wird es noch E-Scooter geben, aber bis dahin wird es weitere Übernahmen geben. Die Frage ist: Wer hat den längsten Atem? Diejenigen mit den höchsten Investitionsgeldern, um standzuhalten?

Eine Chance sehe ich auch für die Anbieter, die es schaffen, den E-Scooter in unser bestehendes Mobilitätsökosystem einzubinden. Mit dem Monatsticket der Bahn auch die E-Scooter nutzen zu können – das wäre was! An der Stelle sind starke Partnerschaften mit den Verkehrsgesellschaften der Stadt gefragt.

Die anfängliche Euphorie für die Scooter hat nachgelassen und Fragen über die Sinnhaftigkeit werden lauter. Wir lernen daraus nicht nur, dass wir auch einfach wieder öfter auf unser Fahrrad steigen können (übrigens ein klarer Gewinner der Corona-Krise!), sondern auch, dass das gesamte Business eine große Wette unter Investoren ist, die viele Verluste mit sich bringt. Die schlechte Umweltbilanz ist eine Enttäuschung, der unklare Use-Case eine traurige Einsicht.

Ich bin gespannt, wie es weitergeht und hoffe auf eine Wende! Vielleicht wird es die geben, ich halte euch auf dem Laufenden.

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