Leadership & Karriere Kolumne: Warum Gründer*innen erwachsen werden müssen – und das weh tut

Kolumne: Warum Gründer*innen erwachsen werden müssen – und das weh tut

von Nico Rose

Unser Kolumnist weiß: Irgendwann braucht es im Unternehmen den*die erste*n Controller*in. Auch Gründer*innen müssen wachsen, damit das Unternehmen gedeihen kann – aber wie macht man das?

Nur wenige Gründerinnen und Gründer haben das Glück, mit ihrem Startup in Businessgalaxien vorzudringen, die noch nie ein Mensch zuvor gesehen hat. Meist hatte schon einer ungefähr die gleiche Idee, manchmal ein Jahr früher, oft schon Äonen zuvor. Und somit sind viele Gründer*innen vom Wunsch beseelt, es den Großen zu zeigen, den Markt von unten aufzurollen, der Welt zu beweisen, dass man schneller, agiler und einfach besser ist als die Konzern-Heinis. So läuft auch das Erwachsenwerden: Wer den Eltern nicht wenigstens ein Mal „Ich möchte nie so werden wie ihr!“ entgegengeschmettert hat, der weiß nicht, was eine Pubertät ist.

Umso größer kann der Schock sein, wenn man als Gründer*in an diesen besonderen Punkt gelangt, an dem man kapiert: Wenn wir nicht viel Geld auf dem Ikea-Tisch liegen lassen wollen, müssen wir langsam, aber sicher ein bisschen mehr werden wie der Feind: professioneller, vernünftiger und, Gott bewahre: konzerniger. Dabei wollten gerade die doch eben noch wahnsinnig gerne anders sein – eben mehr wie ein Startup.

Gerade noch hat der CEO persönlich mit dem dicken Edding einen Zettel geschrieben, ein jede*r möge verdammt noch mal seine dreckige Mottotasse selbst in den Geschirrspüler räumen – und im nächsten Moment wundert man sich, warum ein DSGVO-Beauftragter und eine Compliance-Managerin auf der outgesourcten Gehaltsabrechnung stehen.

Schwelle zum Erfolg

So unsexy das alles klingt, so normal ist es auch – zumindest, wenn man wirklich, wie Pinky und der Brain, die Weltmarktherrschaft erobern will. In der Praxis und übrigens auch der Forschung zeigt sich, dass praktisch alle wachsenden Organisationen vorhersagbar in Krisen geraten. Diese wiederum treten an gut vorhersagbaren Schwellen der Mitarbeiter*innenzahl auf. Oft haben sie etwas mit dem Konzept zu tun, das in der BWL als Transaktionskosten bekannt ist: Wenn das dreckige Dutzend Mitarbeiter*innen voll ist, bemerkt plötzlich jemand, dass die teure Software langfristig effektiver ist als kostenloser Excel-Murks. Beim zweiten, spätestens dritten Dutzend macht sich der Wunsch nach Führung oder wenigstens Koordination bemerkbar, weil immer häufiger jemand „Nicht meine Baustelle!“ in den Slack-Chat tippt.

Irgendwann zwischen 80 und 120 Mitarbeitenden geht es dann ans Eingemachte. Man erkennt die Notwendigkeit dessen, was man nie haben wollte: Ein echter HRler (w/m/d) muss her und – auch wenn man es kaum laut aussprechen mag: jemand, der*die etwas von Controlling versteht. Herzlich willkommen im Mittelstand!

Wer bin ich, wenn ich führe?

Irgendwann um die 100 Leute bemerken Gründer*innen Folgendes: Hat man zu Beginn noch jeden Prakti persönlich ausgewählt, so kommt doch unweigerlich der Tag, an dem man zum ersten Mal mit jemandem in der Kaffeeküche steht und weiß, dass man nichts weiß – konkret: den Namen. Alles wird anonymer, nicht mehr jeder kennt jeden. Am Anfang war man noch die Steffi oder der Benni, als Nächstes sagen die Leute Chef*in zu einem, zunächst noch augenzwinkernd, später ernst gemeint. Irgendwann existiert man für einen Teil der Leute primär als eine*r von „denen da oben“, als ein Symbol, mehr Vorstellung im Kopf einer anderen Person denn als realer Mensch. Dies ist unausweichlich, wenn man weiterwachsen will.

So, wie das Wesen der Unternehmung sich wandelt, so müssen auch Gründer*innen regelmäßig ihre berufliche Identität neu erfinden. Die Sorglosigkeit der Anfangstage mag verloren gehen, man hat wachsende Verpflichtungen gegenüber Kund*innen, Mitarbeiter*innen, Investor*innen. Aus großer Kraft folgt große Verantwortung, wie Spider-Mans Onkel so treffend sagte. Erfahrungsgemäß fühlen sich diese Übergänge merkwürdig an. Man steckt nicht mehr ganz in der alten Rolle und noch nicht wirklich in der neuen. Vielleicht kommt man sich unauthentisch vor, wie ein*e schlechte*r Schauspieler*in. Aber nach und nach wird man besser. „Fake it till you become it“, nennt das die Psychologieprofessorin Amy Cuddy. Und das ist okay.

Dieser Text stammt aus unserer aktuellen Ausgabe 1/21. 132 druckfrische Seiten mit acht Storys über die Zukunft der weltweiten Gesundheitsindustrie. Außerdem: Start unserer neuen Serie Personal Finance, ein Besuch im ehrgeizigen Gründer-Hotspot Ostwestfalen-Lippe und die Geschichte von zwei Gründerinnen in Kolumbien, die ein weltweit agierendes Fashionlabel aufbauen. Also ab zum Kiosk oder zum Aboshop.

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