Leadership & Karriere Imposter-Syndrom: Über die Tugend unterqualifiziert zu sein und die Last, sich so zu fühlen

Imposter-Syndrom: Über die Tugend unterqualifiziert zu sein und die Last, sich so zu fühlen

Ich bin eine Hochstaplerin. Dachte ich zumindest selbst lange Zeit. Mit Mitte 20 bereits arbeitete ich als Strategin in einer internationalen Unternehmensberatung und erzählte meinen meist männlichen Kunden mitte 50, wie sie ihren Job zu machen hatten. Oder beriet große Unternehmen bei ihrer digitalen Transformation.

Oft dachte ich dabei in Präsentationen: „Bitte fragt jetzt nicht nach“, denn viele der Themen kannte ich nur aus der Theorie und hatte sie selbst noch nie in der Praxis erfahren. Ein typischer Fall des Imposter-Syndroms.

Was ist das Imposter-Syndrom?

Das Imposter-Syndrom ist auch als „Hochstapler:innen-Syndrom“ bekannt und wird oft im Zusammenhang mit Frauen genannt – dabei sind Studien zufolge fast genauso viele Männer davon betroffen. Gemeint ist, ein Gefühl der Unzulänglichkeit im Job, verbunden mit der Angst, irgendwann in seiner Inkompetenz entlarvt zu werden. 70 Prozent aller Menschen sollen mindestens einmal im Leben vom Imposter-Syndrom betroffen sein – oft Persönlichkeiten mit der Neigung zu Perfektionismus.

Obwohl sowohl Männer als auch Frauen vom Imposter-Syndrom betroffen sein können, gibt es einer Studie von Rebecca Badawy und Kolleg:innen zufolge Unterschiede beim Umgang mit dem Gefühl der Unzulänglichkeit zwischen den Geschlechtern. So ließen sich Frauen durch das gefühlte Kompetenz-Gap eher zu besseren Leistungen anspornen als Männer, während Männer bei Aussicht auf negatives Feedback eher resignierten und sich weniger anstrengten.

„Bitte nicht nachfragen“, denken sich „Imposter“ oft. Dabei kann das Imposter-Syndrom Flügel verleihen, wenn man es denn richtig für sich nutzt. Bild: privat.

Die Forscher:innen erklärten das mit den vorherrschenden Geschlechterrollen der Gesellschaft, wonach Männer traditionell mit einem höheren Erwartungsdruck konfrontiert werden als Frauen – die in dem Zusammenhang zitierte Studie stammt allerdings von 1983.

Chance und Gefahr des Imposter-Syndroms

Ob Mann oder Frau, zwei Coping-Mechanismen scheinen sich beim Imposter-Syndrom immer wieder zu zeigen: Die einen werden fleißiger und sorgfältiger, bereiten alles akribisch vor und überlassen nichts dem Zufall. Sie werden immer besser und können am Ende von ihrem Mangel-Gefühl profitieren.

Die anderen prokrastinieren zunehmend und lassen sich von ihrem Imposter-Syndrom lähmen. Sie malen sich aus, wie sie bloßgestellt werden und versagen. Oft machen sie sich kleiner als sie sind, um der zwangsläufigen Enttäuschung aktiv zuvorzukommen – und ziehen so im Worst Case das Versagen an wie eine „self-fulfilling prophecy“.

Imposter-Syndrom – so kann man es überkommen

  1. Austauschen: Leidet man unter dem Imposter-Syndrom, so ist man nicht allein, wie die Zahlen zeigen. Es hilft, sich mit anderen auszutauschen. Man wird merken, dass auch andere Menschen, die man für höchst kompetent hält, oft an dem Syndrom leiden. Selbst Albert Einstein soll das Imposter-Syndrom gehabt haben.
  2. Aufschreiben: Ein Erfolgstagebuch kann dabei helfen, den Selbstwert zu unterstützen und das Imposter-Syndrom zu entlarven. In ihm kann man Erfolge, Feedbacks und Komplimente festhalten. So lernt man, sich und seine Leistung objektiver zu betrachten, denn schließlich ist man selbst oft sein:e größte:r Kritiker:in.
  3. Reinlehnen: Durch Akzeptanz statt Verdrängen und Überspielen kann man das Imposter-Syndrom zu seinem Freund und Helfer machen. Basima Tewfik, Assistant Professor am MIT im Bereich Arbeits- und Organisationsforschung sagt, dass genau diejenigen Eigenschaften, die man selbst am wenigsten an sich mag, zu potenten Motivatoren und Karriere-Boostern werden können. Nutzt man seine (gefühlten) Schwächen für statt gegen sich, können „Imposters“ also auf Dauer ihre Kolleg:innen outperformen.

Wer immer noch glaubt, ein:e Hochstapler:in zu sein, den kann Melody Wilding, Coach für High-Achiever, beruhigen. „Wer am Hochstapler-Syndrom leidet, wird nie wirklich ein Hochstapler sein. Das liegt in der Natur des Phänomens“, sagt sie gegenüber Emotion.

Ich konnte mein Hochstapler:innen-Syndrom inzwischen auch gut in den Griff bekommen. Geholfen hat mir dabei vor allem die Zeit. Denn mit zunehmender Berufserfahrung komme ich immer weniger in Situationen, in denen ich mich inkompetent oder „nackt“ fühle.

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