Life & Style „Wir wollen mit dem Film einen Teil deutscher Geschichte erzählen“

„Wir wollen mit dem Film einen Teil deutscher Geschichte erzählen“

Wie hat sich die Hackerkultur des Chaos Computer Clubs im Verlauf der Zeit verändert?

Maeck: Das ist keine einfache Frage, da seit der Gründung des Chaos Computer Clubs 1981 mehrere Generationswechsel stattgefunden haben. Durch die Maueröffnung 1989 beispielsweise kam ja auf einmal ein neues halbes Deutschland hinzu, wodurch die ganze Organisation des CCC infrage gestellt wurde und eine neue Generation den Vorstand übernahm. Diese neue Riege übernahm mehr und mehr Funktionen als Ratgeber für die Bundesregierung, die Wirtschaft und die Medien, ganz anders als am Anfang, als das noch die verruchten Hacker:innen waren. Inzwischen haben zumindest die guten Hacker:innen, auch „weiße Hacker:innen“ genannt, keinen schlechten Ruf mehr.

Hat sich auch die Motivation der Hacker:innen verändert?

Maeck: Früher war es das Ziel der Hacker:innen rund um Wau Holland, Technologie zu verstehen und zu beherrschen, um eventuell eingreifen zu können. Doch das geht längst nicht mehr. Wer versteht heute noch seinen Computer? Die Technologie beherrscht uns inzwischen. Und da kann man nur noch für Aufklärung sorgen, wenn man nicht total kontrolliert und manipuliert werden will. Das wollen wir mit dem Film erreichen. Und das will auch der Chaos Computer Club mit seinen Aktivitäten erreichen, zum Beispiel mit seinem „Chaos Communication Congress“, zu dem inzwischen jährlich 17.000 Menschen aus aller Welt pilgern, um sich mit verschiedenen Themen unserer Gegenwart und Zukunft auseinanderzusetzen.

Was sollen die Zuschauer:innen aus dem Film mitnehmen?

Schwerdorf: Einerseits wollen wir mit dem Film einen Teil deutscher Geschichte erzählen, der auch Klaus und mir gar nicht so bewusst war. Zum Beispiel, welche Rolle der Geheimdienst damals gespielt hat und inwiefern der CCC damit zu tun hatte. Andererseits wollten wir mit dem Film zeigen, wie visionär die Arbeit von Wau Holland damals schon war. Er hat in einer Zeit über den Schutz privater Daten gesprochen, als es noch gar nicht die Masse an privaten Daten gab, die irgendwo gesammelt wurden. Auch vor der Macht von Information und Desinformation haben Holland und seine Kolleg:innen bereits gewarnt – Jahrzehnte vor der Diskussion um Fake News.

Maeck: Tatsächlich waren diese Themen damals lange nicht so präsent wie heute – und jetzt scheint es fast zu spät. Diese Dringlichkeit wollten wir darstellen. Damit endlich über Lösungen gesprochen wird.

Gilt das auch für Sie selbst? Hat Sie Ihr eigener Film verändert?

Schwerdorf: Seit der Arbeit an dem Film versuche ich, die Technik, die ich benutze, zumindest ein bisschen zu verstehen. Man muss dafür nur seine innere Faulheit überwinden. Das fängt bei Fragen an, wie: Wie richte ich mein Smartphone am besten ein? Wenn man das Gefühl hat, die Technik etwas mehr zu verstehen und gestalten zu können, dann nimmt das einem auch die Angst davor. Bei Informationen finde ich es wichtig, sehr genau die Quellen zu überprüfen und zu objektivieren. Das war auch Holland sehr wichtig – er hatte ständig einen Jutebeutel mit Zeitungen dabei und hat gelesen.

Maeck: Ich finde auch wichtig, was die Whistleblowerin und Programmiererin Chelsea Manning, die Ehrenmitglied des CCC ist, im Film sagt. Es geht ja nicht nur um den Endverbraucher:innen mit ihren Endgeräten. Es beginnt eine Stufe höher. Es muss ethische Standards für Programmierer:innen geben, die es bisher noch nicht gibt. Darüber müssen wir uns Gedanken machen, um uns alle zu schützen.

Filmprotagonist Peter Glaser, Tanja Schwerdorf und Klaus Maeck (v. l. n. r.). Quelle: Neue Visionen Filmverleih.

Nach der Beschäftigung mit dem CCC und der technischen Entwicklung: Fürchten Sie sich nun vor der digitalen Zukunft? Oder freuen Sie sich darauf?

Maeck: Ich würde sagen: freuen. Es gibt so viele tolle Sachen, die man mit der Technik machen kann. Auf einmal treffen wir uns im Cyberspace, wie es früher hieß, über Zoom statt persönlich. Nur dürfen wir uns da nicht unterbuttern lassen von den Großkonzernen, die das ja leider alles beherrschen. Das ist eine andere Geschichte, die man vom Chaos Computer Club lernen kann: Durch seine dezentrale Organisation ist der CCC sehr demokratisch. Sie misstrauen Autoritäten. Es gibt nicht den einen Chef oder die eine Chefin, das Ganze ist dezentral aufgebaut. Auch für Social Media könnte das nachahmenswert sein. Meine Hoffnung ist groß, dass auf diesem Gebiet bald noch mehr passiert.

Was denn?

Maeck: Zum Beispiel arbeitet Tim Ber­ners-­Lee, der ja auch das World Wide Web begründet hat, an einer Alternative zu den zentralen Social-Network-Strukturen von heute. Sein Startup heißt Inrupt. Wie dem CCC geht es ihm um Dezentralisierung und darum, den Nutzer:innen mehr Macht über ihre Daten zu geben. Und auch hierzulande gibt es inzwischen erste Ansätze, sicherere Browser, Messenger und Netzwerke zu erschaffen.

Wie ist das bei Ihnen, Frau Schwerdorf: Sie haben zwei kleine Kinder, sollen die programmieren lernen?

Schwerdorf: Ich würde mir auf jeden Fall wünschen, dass meine Kinder das lernen, ja. Ich finde, dass man Kindern den Umgang mit Technik so früh wie möglich beibringen sollte. Vom CCC gibt es auch die Initiative „Chaos macht Schule“, die Medienkompetenztraining in Schulen anbietet. Dazu kommt, dass ich zwei Mädchen habe, daher würde ich mich auch freuen, mehr Frauen im Bereich der Computertechnik zu sehen. Traditionell ist das ja eine sehr starke Männerdomäne.

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