Life & Style „Frankfurter Hauptschule“: Hass auf die Scheinheiligkeit der Kunst

„Frankfurter Hauptschule“: Hass auf die Scheinheiligkeit der Kunst

Ein bisschen Böhmermann, ein bisschen Schlingensief, ein bisschen Kippenberger: Eigentlich müsste die Frankfurter Hauptschule das Kunstkollektiv der Stunde sein. Was fehlt da noch?

Natürlich geht es bei Kunst immer auch um Gefühle. Liebe! Angst! Mut! Begeisterung! Oder eben auch: um Wut. „Polizeipräsident empört über Ausstellung von Städelschülern“, berichtete die Frankfurter Rundschau im Februar 2018. Mit dem ausgebrannten Polizeiauto und den beiden dazugehörigen Videos sei die Grenze des Erträglichen überschritten, beklagte der Frankfurter Polizeipräsident allen Ernstes. Die Frankfurter Hauptschule hatte ihr Ziel erreicht – wieder einmal.

Während deutsche Kunstschaffende in den vergangenen Jahren entweder für Konzern-Meetingräume oder den Instagram-Algorithmus arbeiteten, hat die aus Frankfurt am Main stammende Frankfurter Hauptschule ein Genre besetzt, das für die Kunstwelt fast schon verloren geglaubt war: die Aktion, über die alle sprechen. Die Intervention. Wie einst Christoph Schlingensief.

Im Frankfurter Bahnhofsviertel wurde diese Ruine von einem Polizeiwagen recht bald als Einladung verstanden. Männer pinkelten am helllichten Tag an und in das Auto. Zur gleichen Zeit tauchte auf Youtube ein Video auf. Es trug den Titel „Visionäre Ruinen – Trailer“ und war gemacht wie eine Parodie von Harald Schmidt auf einen 3sat-Beitrag. Eine Frau mit französischem Akzent erklärt gleich zu Beginn: „Wir haben euch was mitgebracht: Spaß, Spaß, Spaß.“ Eindeutigkeit: ade.

Unignorierbar Aggro

Genau dieses Unklare, Changierende und trotzdem unignorierbar Aggressive macht die Kunst der Frankfurter Hauptschule aus, eines Kunstkollektivs mit zehn bis 20 Künstlerinnen und Künstlern, meist ehemalige Studierende der Frankfurter Städelschule, die seit 2013 gemeinsam arbeiten.

„Am Anfang waren da 50 000 gefälschte Eintrittskarten für die Wagnerfestspiele in Bayreuth“, sagen Marie Meyer und Nicholas Warburg, zwei von der Hauptschule, bei einem Bier im Schwarzen Café in Berlin-Charlottenburg. Meyer und Warburg sind nach Berlin gekommen, weil sie an der Universität der Künste in einer Bühnenbildklasse einen Lehrauftrag innehaben. Beide fallen im arg studentischen Schwarzen Café nicht weiter auf. „Wir versuchen, Ambivalenzen zu stiften – und machen auch vieles, was sich eigentlich widerspricht“, sagt Meyer.

Dabei kann die Frankfurter Hauptschule auf eine Reihe von hübschen Kommunikationserfolgen verweisen:

2015: Die FHS behauptet, im Rahmen eines Happenings vor dem Frankfurter Rathaus würde live Heroin gespritzt. Mit staatlichen Fördergeldern! Empörung.

2016: Die FHS schmilzt Zehntausende Liebesschlösser ein und gießt daraus eine Wanne, aus der Bier und Champagner gereicht werden – Titel: „Stahlbad ist 1 Fun.“

2018: das bereits erwähnte ausgebrannte Polizeiauto.

2020: Die Gruppe um Meyer entwendet ein Exemplar der Capri-Batterie, ein Werk des Esoterikkünstlers Joseph Beuys.

Überhaupt die Titel, Slogans, Namen: Avantgarde für die Massen steht auf der Linktree-Seite der FHS, Fake ist the new Real auf Facebook. Das Gesamtwerk des ausgebrannten Polizeiautos hieß: „242 Titel besser als Martin Kippenberger“ – als wäre die Frankfurter Hauptschule kein Kunstkollektiv. Sondern eine Band.

Namedrop and Pop

Womit schon das erste Puzzleteil der Frankfurter Hauptschule umrissen wäre: Sie ist Pop. Mit ihrem kollektiven Auftritt, der Ästhetik, der PR und ihren T-Shirts im Onlineshop.

Zweites Puzzleteil: das Namedropping. Immer wieder arbeitet sich die Frankfurter Hauptschule im Positiven wie Negativen an den großen Namen der deutschen Kunst ab, Schlingensief und Kippenberger, klar, aber im Speziellen an Kippenbergers Titel „Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz entdecken“. Dann natürlich Joseph Beuys, der esoterische Fürst der Fettklötze. Drittes Puzzleteil: der Eventcharakter. Der Aufschrei ist die Kunst! „Wir haben vor ein paar Jahren zurückgeschaut, was denn eigentlich der Motor für die Sachen war, die wir gemacht haben“, sagt Warburg im Schwarzen Café. „Und da haben wir gemerkt, dass es oft der Hass auf Scheinheiligkeit ist.“

Bloß: Genau das ist eben nicht exklusiv Angelegenheit der Kunst, fast im Gegenteil: Bei einem guten Teil der Aktionen der Frankfurter Hauptschule könnte man sich vorstellen, dass er auch für Jan Böhmermann gut funktionierte. Nicholas Warburg will das nicht gelten lassen, auch wenn er das Problem sieht: „Wir benutzen Politik eher als Material denn als eindeutige Linie.“

Das Problem der FHS ist die Monetarisierung

Das Problem der Frankfurter Hauptschule ist ohnehin ein anderes: Fast zehn Jahre hat das Kunstkollektiv immer wieder gezeigt, Skandale und Provokation zu beherrschen. Doch dann? Die Ironie: Während Kunstdeutschland ein ödes Werk nach dem anderen in die Galerien bringt, ohne dass es jemanden interessiert, hat die FHS jahrelang alle Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Aber zu kaufen gab es kaum mehr als ein lousy Shirt.

Weshalb die Frankfurter Hauptschule derzeit eine wichtige Häutung vollzieht: Erst vor Kurzem war die erste Gruppenausstellung im Neuen Kunstverein Aachen zu sehen, eine Jonathan-Meese-hafte Ansammlung von kryptofaschistoiden Symboliken. Bald beginnt die erste Zusammenarbeit mit dem Museumsquartier in Wien. Und Warburg zumindest hat als Solokünstler den Schritt Richtung Markt gemacht und bietet nun klassische Flachware und galerietaugliche Readymades an. Bereits 2019 war ein Bild von ihm mit dem Namen Titelbild 1 in der Ausstellung BRDigung zu sehen. Es ist fast eine Art Programm, ein schwarzes Bild mit weißen Buchstaben. Darauf steht: „Schleef Brinkmann Fassbinder Alles Nazis.“


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