Life & Style So funktioniert die Logistik von Berlins Kunst-Wunderladen

So funktioniert die Logistik von Berlins Kunst-Wunderladen

Überall nur noch NFTs und Kryptokunst? Zeit für einen Besuch im Wir-haben-alles-Laden des physischen Kunstbetriebs, Modulor am Berliner Moritzplatz. Logistik-Mastermind Yusuf Islamoglu erklärt hier, warum es bei seinem Job um mehr als nur Lagerfach-Nummern geht und warum er nicht bei Amazon arbeiten würde.

Das Beste an meiner Arbeit ist, dass wir zum Kreislauf der Kunstwelt gehören. Sicher, wir arbeiten nicht selbst kreativ, aber wir ermöglichen das, wir liefern die Materialien. Hier kannst du ja sogar ein einzelnes Ei aus Styropor kaufen. Deshalb kommen die Künstler zu uns, glaube ich. Weil du hier einfach alles findest. In dem Fach zum Beispiel sind Acrylblöcke, daraus kann man Bilderrahmen machen. Hier ist Holzfurnier, dort sind Trockenblumen. Und hier ein Beutel Hirsespelz. Ich weiß gar nicht, wofür der gut sein soll. Kissen füllen vielleicht? Man kommt schon auf Ideen, wenn man hier durchgeht.

Alle, die bei Modulor anfangen, machen Station im Lager. Damit sie verstehen, wie das läuft. Unten im Hof kommen die Lieferungen aus der ganzen Welt an. Farben aus Frankreich, Metallklammern aus Hongkong. Dann fahren wir die Pakete mit dem großen Lastenaufzug nach oben. Das Besondere an meiner Arbeit: Ich soll die Produkte selbst auch erkennen können.

Mausgrau, Steingrau, dieses Grau, jenes Grau

Man muss da echt aufpassen. Manche Waren sehen sich sehr ähnlich. Ist der Farbton jetzt Mausgrau, Steingrau, dieses Grau, jenes Grau? Das muss man schon auseinanderhalten können. Ein bisschen wie der Künstler. Wir haben ein eigenes Regal für Klärungsfälle. Wenn wir zum Beispiel 0,5er-Dicke bestellt haben, aber es ist 0,3er-Pappe geliefert worden.

Foto: Modulor

Wir arbeiten hier noch mit Warenlisten aus Papier. Auf denen wird jede Lieferung abgeglichen. Drei Stück stehen auf dem Lieferschein, aber sind auch wirklich drei da? Dann setze ich einen Haken. Die Sachen werden direkt verteilt: Entweder sie kommen in den Laden unten. Oder in den Versand. Onlinebestellungen verschicken wir nämlich auch von hier, außer Möbel. Die Regale und Fächer sind mit Buchstaben und Zahlen organisiert. Wenn man einen Artikel nicht zuordnen kann, scannen wir den Code. Dann zeigt uns das Computersystem die Position. Sperrholz Buche, zweimal 245 x 495 mm: Fach G2K oder so ähnlich.

Für mich geht es einfach auch um das physische Werk, wenn wir von Kunst reden. NFT, das habe ich schon mal gehört. Interessiert hat es mich aber nicht. Ich will das Kunstwerk vor mir sehen, es anfassen können, theoretisch zumindest. Wenn irgendwelche Firmen NFTs für ihre Werbung einsetzen, dann sollen sie das tun. Ich kann damit nichts anfangen.

Man hört natürlich ab und zu im Team, dass berühmte Künstler hier bei uns waren. Ich erinnere mich daran, dass der türkische Außenminister mal kam. Er wollte sich umschauen. Am Ende hat er dann nur einen Kugelschreiber mitgenommen.

Selbstkontrolle statt Überwachung

Bei Amazon allerdings wollte ich nicht arbeiten, in der Logistik. Was man da hört, über die Überwachung der Menschen – das ist Demütigung. Bei uns passiert ja noch viel mehr analog. Es gibt keine Überwachung der Arbeitsschritte. Wir sind für uns selbst verantwortlich. Müssen uns alle fragen: Arbeite ich hier gerade korrekt? Und ehrlich sein zu sich selbst. Das bringt allen am meisten.

Einen Betriebsrat haben wir auch. Der Job bedeutet für mich Sicherheit. Ich habe drei Kinder, muss bisschen realistisch sein. Meine Freundin ist beim Theater, reist viel. Ich habe auch früher als Schauspieler gearbeitet. Deshalb passt mir das gut, hier in einem künstlerischen Laden zu arbeiten.

Wenn ich meine Anfangszeit 2011 mit heute vergleiche, dann hat sich der Fokus etwas verschoben. Früher kamen hier noch mehr Menschen, die Architekturmodelle gebaut haben. Das ist heute weniger, die machen das jetzt digital. Dafür haben wir mehr fertige Produkte. Geschenkartikel zum Beispiel. Die Zukunft sehe ich optimistisch. Basteln werden die Leute immer. Und wir sind auch ein bisschen mehr als die klassische Bastelecke von Karstadt.“


Das ist ein Text aus unserer Ausgabe 2/22. Außerdem zu lesen: Krypto-Art-Dossier. Big-Wave-Surfen in Portugal. Der CEO der Online-Uni Coursera. Und Cannabis aus Sachsen. Am Kiosk oder hier.

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