Life & Style Wir haben mit einem K-Pop-Experten über BTS und Adorno gesprochen

Wir haben mit einem K-Pop-Experten über BTS und Adorno gesprochen

Kultphänomen, Milliardengeschäft oder PR-Plan der Regierung: Am Siegeszug der koreanischen Popkultur scheiden sich die Geister. Wir fragen Inkyu Kang, der den Begriff K-Pop mitprägte

Interview: Siems Luckwaldt

Herr Kang, wann haben Sie zum ersten Mal bemerkt, wie erfolgreich Südkoreas Popkultur im Ausland geworden ist?

Das war 1999. Ich war als Student in die USA gekommen und traf auf dem Campus mehrere Kommiliton:innen aus China, die leidenschaftlich über die koreanische TV-Serie „What Is Love?“ diskutierten. Die war 1997 im chinesischen Zentralfernsehen ausgestrahlt und von über 150 Millionen Menschen verfolgt worden. Bald wollten die Zuschauer:innen auch besitzen, was sie bei ihren Lieblingscharakteren auf dem Bildschirm sahen, und so wurden Mode, Musik, Make-up, Lebensmittel und Elektronik aus meiner Heimat sehr beliebt. Das führte damals in China zum Begriff „Hallyu“, der „koreanischen Welle“.

Wie ging es weiter?

2004 wurde dann „Winter Sonata“ in Japan ausgestrahlt und löste dort einen Boom koreanischer Serien aus. Auch als Urlaubsziel wurde Südkorea äußerst beliebt, vor allem bei Frauen. Gleichzeitig begannen koreanische Popgrößen wie BoA und TVXQ!, regelmäßig in China und Japan aufzutreten und millionenfach verkaufte Alben zu veröffentlichen. Bis zum Ende der Nullerjahre blieb die „Korean Wave“ allerdings auf asiatische Länder beschränkt.

Heute erobern TV-Formate aus Ihrer Heimat die Streamingcharts, jüngstes Beispiel „Squid Game“.

Das stimmt, doch ursprünglich waren weder die Serien noch die Musik für den Export geschaffen worden, sondern dem heimischen Publikum vorbehalten. Südkorea verfügte einfach lange schon über eine hochgradig kreative und professionelle Unterhaltungsindustrie, die erst durch Untertitel, Synchronisation sowie neue Medientechnologien und Plattformen vom Ausland entdeckt wurde. Und gerade im Internet finden sich Tausende Fans, die Songtexte und Star-News übersetzen und so für die weltweite Szene verständlich machen. Das alles war aber ein jahrzehntelanger Prozess, kein Erfolg über Nacht.

Was reizt westliche Märkte am Pop aus Südkorea – ohne Lyrics oder kulturellen Kontext zu verstehen?

Man sagt nicht umsonst, dass Musik eine universelle Sprache ist. Ich selbst bin beispielsweise ein großer Klassikliebhaber, und eines meiner liebsten Alben ist Franz Schuberts „Winterreise“, interpretiert vom Bariton Dietrich Fischer-Dieskau. Dass ich kein Wort Deutsch verstehe, schmälert nicht meinen Spaß. Ebenso wenig bei italienischen oder russischen Opern.

So geht es mir mit der koreanischen Boygroup B.A.P.

Was K-Pop-Fans noch mehr fasziniert als die Songs selbst ist ihre Umsetzung in Musikvideos. Lange bevor es Youtube gab, haben koreanische Künstler:innen und ihre Agenturen bereits reichlich Geld in immer spektakulärere Inszenierungen gesteckt. Als das globale Publikum darauf zugreifen konnte, war es vom hohen Niveau schwer beeindruckt.

Welche weiteren Erkenntnisse haben Sie bisher aus Ihrer Forschung gezogen?

Einerseits ist K-Pop ein Kulturprodukt, das sich durch eingängige Rhythmen und atemberaubende Tanzeinlagen attraktiver Popkünstler:innen auszeichnet. Gleichzeitig aber finden Anhänger:innen Trost in sozialkritischen Botschaften und genießen die Interaktion mit Interpret:innen, die ihnen zuvor unbekannte Identitäten ausleben.

Was genau meinen Sie damit?

Nehmen wir das Image männlicher K-Pop-Idole. Es unterscheidet sich stark von der rauen Schale einer Männlichkeit, wie sie in der westlichen Kultur vorherrscht. Viele K-Pop-Stars fühlen sich wohl als „Kkonminam“ oder „Flower Boy“, sie schminken sich, färben sich die Haare, tragen auffallend bunte Outfits und scheuen sich nicht vor Gesten, die Geschlechtergrenzen überschreiten. Diese geschlechtliche Flexibilität stellt für junge Generationen geradezu ein Kaufargument dar.

K-Pop fängt passend das Lebensgefühl einer jungen Generation ein?

Der Aufstieg der koreanischen Kultur hat maßgeblich damit zu tun, dass Gen Y und Gen Z zur dominierenden Konsument:innengruppe werden. Eine Zielgruppe, die in der fortschrittlichsten und dynamischsten Phase der Menschheitsgeschichte aufwuchs: die Finanzkrise von 2007, der erste Schwarze US-Präsident, Occupy Wall Street, Klimawandel, #MeToo, Black Lives Matter und Stop Asian Hate. Ganz nebenbei führten Samsung-Smartphones und in China hergestellte iPads sie quasi hautnah an die asiatische Kultur heran.

In Filmen und Songs geht es neben aller Ästhetik auch um Probleme.

Oh ja, das ist ein weiterer Faktor, mit dem südkoreanische Kultur einer ganzen Generation aus dem Herzen spricht. Einer Jugend, deren Perspektive von ökonomischer Ungleichheit getrübt wird, von Wachstum ohne Beschäftigung und dem Zwang zur Flexibilität im Job, der in ungeregelter, oft prekärer Arbeit gipfelt. Solche Themen finden sich in Filmen wie „Snowpiercer“ oder „Parasite“. Auch in mancher Liedzeile von BTS oder Blackpink geht es um Zukunftsangst, Liebeskummer, Cybermobbing und Selbsthass.

Woher kommt diese Sozialkritik?

Viele Drehbuchautor:innen, Regisseur:innen und Musikproduzent:innen wurden im Aktivismus der 80er-Jahre sozialisiert und erlebten später den anhaltenden Wohlstand im hoch industrialisierten Südkorea, das sogenannte „Wunder des Han-Flusses“. Diese Kreativen profitierten von einer guten Ausbildung, der Möglichkeit von Auslandsreisen und dem Kontakt mit anderen Kulturen. Das trug dazu bei, den Kultursektor zu einem begehrten Berufsumfeld zu machen, ein weiterer Grund für den Boom von K-Pop und „Squid Game“.

BTS wird oft und gern mit den Beatles verglichen. Passt das? -> Seite 2

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