Leadership & Karriere „Wer nicht relevant ist, findet nicht statt“ – Autor Oliver Pott im Interview

„Wer nicht relevant ist, findet nicht statt“ – Autor Oliver Pott im Interview

Lautstärkekriege auf Linkedin? Bitte nicht, sagt Autor, Gründer, Unternehmer und Professor Oliver Pott. Ein Gespräch über den Erfolg der Leisen.

Herr Pott, in Ihrem neuen Buch geht es um das Thema Sichtbarkeit. In welchem Kontext?

Sichtbarkeit als erste Stufe von Marketing, also der Werbung eines Produkts. Marketing umfasst alles, was zum Umsatz beiträgt. Wenn du nicht sichtbar bist, brauchst du keinen Verkaufsprozess, keine Verkaufsabteilung und auch keine Digitalstrategie. Du existierst nicht. Und deswegen steht ganz am Anfang immer die Sichtbarkeit. Und diese Sichtbarkeit sollte man lenken, ansonsten kann sie toxisch werden.

Was verbirgt sich hinter dem Begriff toxische Sichtbarkeit?

Es kann zum Beispiel ein hoch bezahlter Chirurg ins Dschungelcamp gehen. Klar, dann ist er sichtbar. Er wird von Millionen Leuten gesehen. Aber es ist toxisch, weil es seinen Ruf schädigt. Es bringt ihm nichts.

Wie nehmen Sie Sichtbarkeit in Zeiten von Lautstärkekriegen wahr?

Die gesellschaftliche Strömung, die ich gerade wahrnehme, lautet eher: Die Leute wollen heute nicht mehr angeschrien werden. Die Zeiten von „Ich bin doch nicht blöd“ und „Geiz ist geil“ sind im Jahr 2022 vorbei.

Aber will man sich nicht derzeit überall an Lautstärke übertreffen?

Wenn alle anderen um dich herum lauter werden, musst du leiser werden. Microsoft hat in einer Studie festgestellt, dass Kunden sich heute mit deinem Produkt gar nicht mehr wirklich intensiv beschäftigen. Die Aufmerksamkeitsspanne ist reduziert. Neun Sekunden ist die Aufmerksamkeitsspanne eines Goldfischs, fünf Sekunden die von uns Menschen online. Im Jahr 2022 sind die Menschen sensibler. Sie sind jung und aufmerksamer. Deswegen musst du heute vor allem nicht mehr laut, sondern leise sein.

Was verstehen Sie unter lautem und leisem Marketing?

Stellen Sie sich vor, Sie kommen auf eine Party, und da gibt es diesen einen Typen, der laut und schrill ist. Der bekommt für fünf Sekunden die gesamte Aufmerksamkeit. Aber nach den fünf Sekunden ist er auserzählt, die Leute wenden sich von ihm ab. Und dann gibt es die leisen, charismatischen Partygäste, die sind nicht laut und bekommen nicht direkt Aufmerksamkeit. Aber um sie herum scharen sich die Menschen langsam, denn sie haben etwas zu erzählen. Sie sind relevant in ihren Inhalten. Werbung muss heute genau wie so ein Partygast sein.

Aber auf Social Media, besonders Linkedin, ist doch ein Nutzer lauter als der andere.

Derjenige, der laut ist, bekommt Aufmerksamkeit, die nicht zu mehr Umsatz führt. Leise Sichtbarkeit hingegen wird langsam aufgebaut und gefüttert. Und dann führt sie zu Ergebnissen und Umsätzen.

erschienen am 17.8. im Campus Verlag

Warum setzen trotzdem so viele Menschen auf laute Sichtbarkeit?

Der wesentlichste Grund dafür ist die Fragmentierung der Sichtbarkeit. Früher gab es beispielsweise fünf Kanäle, so wie RTL und ARD, dann vielleicht noch Radio oder Kino. Ein Beispiel: Thomas Gottschalk war mit „Wetten, dass..?“ so lange erfolgreich, weil es keine Alternativen gab. Mit den Wetten hatte er das Lagerfeuer der Nation als Sichtbarkeit. Das ist heute nicht mehr so. Warum? Weil es zu viele Zielgruppen, zu viele Kanäle gibt. Insofern ist diese Form der Sichtbarkeit vorbei.

Welche Kriterien muss Werbung erfüllen, um erfolgreich zu sein?

Erstens: Relevanz. Wer nicht relevant ist, findet nicht statt. Zweitens: Storytelling. Wenn du eine gute Geschichte erzählst, hören die Menschen zu, das ist seit Beginn der Menschheit und des Lagerfeuers so. Menschen interessieren Geschichten über Menschen. Drittens: Autorität. Versuche in deinem Bereich, in der Nische, in der du Kunden gewinnen willst, zur Autorität zu werden. Beispiel Mode: Wenn Karl Lagerfeld gesagt hat, die Modefarbe des nächsten Herbstes ist Rot, dann war das Rot. Aus seiner Autorität heraus hat er den Markt definiert.

Karl Lagerfeld hatte da aber auch schon jahrelange Erfahrung.

Genau, Autorität ist die schwerste Komponente, dafür braucht man Zeit. Aber die ersten beiden Punkte kann man direkt aktiv angehen. Also sollte man von Beginn an sowohl an der Relevanz als auch am Storytelling arbeiten.

Angenommen, ich stehe am Anfang mit meinem Produkt oder Business: Wie sieht der erste Schritt aus?

Die erste Frage, die man sich immer stellt: Wo genau befindet sich dein Publikum? Wo hält sich deine wertvollste Zielgruppe auf? Das nennt man auch „low hanging fruits“. Bei der Ernte von Äpfeln fängst du unten am Apfelbaum an, denn die Äpfel dort sind am leichtesten zu bekommen. Das steht ganz am Anfang der Relevanz. Man schaut sich die am niedrigsten hängenden Früchte an, und die versucht man anzugehen.

Wie macht man weiter, sobald die wertvollste Zielgruppe für einen final definiert ist?

Man braucht eine Autoritätsperson, die authentisch ist. Die Zeiten, in denen Thomas Gottschalk für Haribo oder Thomas Müller für Chips werben, sind vorbei. Die Menschen erkennen nämlich, dass das gekaufte Testimonials sind. Such dir stattdessen jemanden für dein Marketing, der in deiner Nische große Autorität hat, aber noch nicht allen bekannt ist. Jemanden mit einer absolut glaubwürdigen Geschichte.

Dieser Text stammt aus unserer Ausgabe 4/22. Gregor Gysi, Claudia Obert und die Tiktokker Elevator Boys haben mit uns über Geld gesprochen. Außerdem haben wir Streetwear-Legende Karl Kani getroffen und unseren Reporter Dolce Vita auf der Modemesse Pitti Immagine Uomo genießen lassen. Hier geht es zur Bestellung – oder ihr schaut am Kiosk eures Vertrauens vorbei.

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