Life & Style „Keine Angst vor Naivität“ – Polo & Pan im Interview

„Keine Angst vor Naivität“ – Polo & Pan im Interview

Mittlerweile ist es ja schon Inspiration für ungezählte Memes geworden: Manchmal brauchen wir länger, um den Soundtrack für eine fokussierte Arbeitssession auszusuchen, als wir dann tatsächlich mit Arbeit verbringen. Klar, das hat auch mit Prokrastination zu tun. Aber nicht nur damit.

Studien konnten zeigen, dass die Produktivität mit der richtigen Musik steigt. Angeblich soll das Optimum bei 121 Beats pro Minute liegen – demnach wären „Respect“ von Aretha Franklin und „Raise Your Glass“ von Pink die idealen Arbeitshymnen. Prosit!

Neben den harten Zahlen gibt es aber auch immer diese Geheimtipps, die man nicht auf dem Schirm hatte, die aber umso besser funktionieren, um Arbeitsenergie zu kanalisieren.

Die beiden Franzosen Paul Armand-Delille und Alexandre Grynszpan sind ein solcher Geheimtipp und der einen oder dem anderen unter ihrem Namen Polo & Pan vielleicht doch schon bekannt. „Das hat mich heil durch den Lockdown gebracht. Ich habe fast jede Nacht allein dazu getanzt“, schreibt Emil Cancar unter einem Youtube-Video über ihre Musik. Und Vanessa Hotlosz kommentiert, dass sie jede Woche einmal dasselbe Set zum Arbeiten höre. Um erst kürzlich herauszufinden, dass das Gleiche auch ihr Bruder tue. „Und wir sind nur zwei Landeier aus West Virginia.“

Der Sound von Polo & Pan scheint einen dabei auf eine tropisch-bunte Reise mitzunehmen. Hat aber immer den Beiklang von Ernst, wie wenn man auf die Reise auch ein gutes Buch mitgenommen hat. Wie den beiden das gelingt? Sie haben uns vor einer Show in Berlin zum Backstage-Interview getroffen.

Willkommen in Berlin! Ihr seid beide ursprünglich aus Paris?

Grynszpan: Ich schon, bin dort aufgewachsen. Aber du nicht, sondern in der Normandie.

Armand-Delille: Genau.

Ihr seid euch aber in einem Club in der Hauptstadt zum ersten Mal begegnet. Nehmt uns mit in diesen Moment.

Polo (im Bild links) und Pan (r.) Foto: Fiona Torre

Armand-Delille: Wir waren beide Resident-DJs in einem Club mit dem Namen Le Baron. Sicher habe ich Alex dort auch ein paar Mal spielen sehen. Aber der richtige Booster war dann, als wir uns auf Einladung des Chef-DJs zu einem Abendessen getroffen haben.

Grynszpan: Wir gehörten zur selben Crew. Aber wir waren zwei von 30 oder 40, da kam man sich nicht so nahe. Dann gab es eben solche Abendessen. Und jedes Mal, wenn ich Paul begegnete, habe ich die Zeit einfach sehr genossen.

Armand-Delille: Lustigerweise haben wir in einem Club in Mexiko zum ersten Mal gemeinsam gespielt. Aber das war Zufall.

Grynszpan: Ja, das ist ein wunderschöner Klub, er heißt MN Roy.

… nach einem bengalischen Philosophen und Humanisten. Der Club wiederum befindet sich in einem Haus, das mal die Kommunistische Partei Mexikos beherbergte.

Armand-Delille: Das MN Roy wurde von einem französischen Designer gestaltet, sieht aus wie eine Kirche, aber aus Holz. Alex hat aufgelegt. Ich war nur dort, weil ein Freund seinen Junggesellenabschied feierte. Aber meinen USB-Stick hatte ich eben schon dabei. Und als ich dann Alex erkannte, meinte ich: Okay, lass mal ein bisschen zusammen jammen. Und wir hatten eine richtig gute Zeit. Etwas später haben wir uns dann in einer Fabrik nahe Paris getroffen, einem Künstlerzentrum, wo ich damals wohnte.

Was bringt Polo ins Duo ein, was Pan?

Armand-Delille: So einfach kann man das heute gar nicht mehr sagen, weil unsere Rollen oft wechseln und wir voneinander lernen. Aber ich mag schon sehr das technische, geekige Zeug. Und Alex hat das Projekt definitiv auf Zukunftskurs gebracht. Er meinte: Lass mal nicht zu versnobt sein und das Analoge so sehr zelebrieren, den Oldschool-Klang. Wir müssen uns für all das öffnen, was heute gut ist. Mir hat das echt geholfen. Ich wollte nämlich so klingen wie Aufnahmen von vor zehn, vielleicht 30 Jahren. Diesen Anspruch haben wir teilweise behalten, aber wir kreuzen ihn mehr mit dem Modernen. Außerdem hatte Alex ein größeres Netzwerk, kam viel rum, hatte schon viel gemacht.

Grynszpan: Ich habe ja damals eine musikalische Raum-Zeit-Maschine mitgegründet.

Jetzt bin ich neugierig.

Grynszpan: Zu finden unter radiooooo.com. Eine App, mit der man Musik findet, anhand eines Landes und einer Dekade, die man frei miteinander kombiniert. Damit haben wir viel Material entdeckt.

Armand-Delille: So stießen wir auch auf das Sample für unseren ersten Song. Das kam von einem italienischen Song aus den Vierzigern. Alex entdeckte damals so viele Sounds.

Die Retrosamples bringen so was Gemütliches, Altvertrautes. Als eure Einflüsse nanntet ihr auch mal LCD Soundsystem und Claude Debussy.

Armand-Delille: Wir sind da breit aufgestellt, lieben die Kinokompositionen der 70er-Jahre, aber auch Klassik. Und LCD Soundsystem, da gab es ein richtig tolles Konzert im Jahr 2012, also etwa zu der Zeit, als wir uns kennenlernten.

Grynszpan: Während dieser Show habe ich meine heutige Frau zum ersten Mal geküsst!

Eine unterbewertete Stilrichtung oder Epoche der Musik?

Armand-Delille: Heute gibt es das ja kaum noch: unterbewertet, unbekannt. In der Musik sind wir an einem Punkt, wo wir kaum noch etwas Neues erfinden. Es ist eher ein Mixen und Kreuzen von verschiedenen Einflüssen. Aber gut, in Asien gibt es tolle Stilrichtungen, von denen man noch nie gehört hat. Nehmen wir Thailand in den 70er-Jahren. Da habe ich zuletzt einiges an großartigen Sachen entdeckt.

Grynszpan: Geh mal auf radiooooo.com und wähle die Fünfziger in Italien aus! Und Griechenland. Das ist perfekt gelegen zwischen der Türkei und Europa. Das ergibt so ein kulturelles Mash-up. Einfach abgedreht!

Immer wieder beschreiben Menschen, dass eure Musik die Laune hebt. War das euer Ziel, ein Happy-Sound?

Armand-Delille: Eigentlich soll es finster und sehr dramatisch klingen. Nein, im Ernst. Es ist einfach, etwas Finsteres zu schreiben, wenn man ein gebrochenes Herz hat, etwas Tragisches erlebt hat. Aber ein tiefgründiger, fröhlicher Track, das ist schwer. Klar, Fröhlichkeit scheint dieses oberflächliche Gefühl zu sein. Ein wenig kindisch. Wir akzeptieren das Kindliche als Ausgangspunkt für unsere Musik. Naivität zu transportieren, davor haben wir keine Angst.

Grynszpan: Wir wollen Moll-Akkorde auf optimistische Art einsetzen. In vielen Songs mischen wir auch Dur und Moll. In „Dorothy“ zum Beispiel.

Armand-Delille: Und das kommt trotzdem als dieser positive Spaß-Jam rüber.

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