Leadership & Karriere Sei deine eigene Case Study und bau eine persönliche Win-Win-Situation

Sei deine eigene Case Study und bau eine persönliche Win-Win-Situation

Ein Gastbeitrag von Niklas Spichalsky

„Geil, du bist Gründer?” Raus aus der Festanstellung und selbst Gründer:in werden – das wollen viele. 2021 wurden in Deutschland 3348 Startups gegründet. Aber wie findest du deine Gründungsidee, deine Mission? Vielleicht etwas, was es schon gibt, nochmal besser umsetzen? Was will der Markt?

Mein Tipp: Don’t do the market focus first. Fang nicht bei der Suche nach der letzten Marktlücke an. Beginn bei dem, was dich schon seit Jahren interessiert, betrifft und motiviert. Nach der Gründung wirst du Nächte und im besten Fall Jahre lang an deinem Business arbeiten. Steck deine Energie also nicht in das nächste Food-Delivery Start-up oder eine weitere Dating-App, wenn es dich nicht interessiert.

Beginn bei dir selbst und finde deinen Purpose

“Purpose” ist aus gutem Grund ein Buzzword geworden. Es vereint: Zweck, Ziel, Absicht, Aufgabe und Entschlossenheit. Aber wie findest du deinen Purpose? Was stört dich im Alltag? Ein persönliches Fuck-up, was du immer schon mal ändern wolltest. Diese Störung wird zum Thema, das Fuck-up deine Business-Idee.

Als Betroffene:r musst du für dein Produkt erstmal keine Marktanalyse machen – praktisch, so nah an der Zielgruppe operieren wenige Gründer:innen. Nervt dich, dass Lastenräder so sperrig sind? Gründest du ein Longtail-Lastenrad Start-up. Ein Bekannter von mir wurde aufgrund seiner Rückenschmerzen Gründer im Physiotherapie-Bereich. Manchmal liegt der Purpose so nah, dass du es erstmal checken musst.

Mein Business ist nicht sexy (aber erfolgreich)

Ich habe meinen Purpose bei meiner Krankheit, der Schwerhörigkeit, gefunden. In meinen vorherigen Jobs habe ich zwar viel gelernt, aber ich war nicht meine eigene Case Study. Das Anliegen war nicht so persönlich. 

Schwerhörigkeit habe ich von meinem Opa und meiner Mama vererbt bekommen. Wie sie, habe auch ich diskriminierende Erfahrungen gemacht, etwa in einem früheren Job, als ich manches akustisch nicht verstanden habe, und deswegen für dumm gehalten wurde. Und das nur, weil ich mein Hörgerät kurz nicht im Ohr hatte. 

Ich wollte was verändern, aber der Hebel fehlte. Wenn ich in irgendeinem Hörgeräte-Unternehmen angefangen hätte, hätte ich mich erstmal hocharbeiten müssen, um Strukturen zu verändern. Sie hätten mich ins Controlling gesteckt, obwohl beim Retail und der gesamten Versorgung der Hund begraben liegt. Deshalb gründete ich selbst, um es von Anfang an ordentlich zu machen.

So wurde aus meiner Krankheit unsere Geschäftsidee. Ursprünglich war der Gedanke, dass wir gebrauchte Hörgeräte kaufen. Dann fanden wir heraus, dass das nicht legal ist. Stattdessen gründeten wir MySecondEar, eine One-Stop-Solution für neue Hörgeräte mit Preis-Transparenz, Vergleichsoptionen und Bezahlbarkeit. 

Win-Win: Ich bin mein bester Kunde

Kneipenwirt:innen sollten natürlich nicht ihre beste:n Kund:innen sein. Hier ist das Risiko zu groß, das eigene Business an die Wand zu fahren. Abseits vom Tresen ist es aber von großem Vorteil, wenn dein Produkt maßgeschneidert für dich selbst ist.

Ausgehend von deinen frustrierendsten Kund:innen-Erlebnissen – wo könnte man ansetzen, es besser zu machen, um vielleicht sogar eine Business-Idee daraus zu zaubern? Bei mir war es der Auswahl- und Kaufprozess von Hörgeräten. Da dachte ich: Das muss doch besser gehen.

Es war mein alle fünf Jahre wiederkehrender Fuck-up. Nimm einfach, was sie dir geben!? Den Preis siehst du dann später!? Nein, das kann es nicht sein. Meine Familie hat über die Jahre mehr als 70.000 Euro für Hörgeräte ausgegeben. 

Jetzt kann ich mein Produkt ständig nach den eigenen Bedürfnissen optimieren – Win-Win. Testfahrer:innen mit einem tiefen Verständnis für die Technik des Autos wissen, an welchen Stellschrauben sie drehen müssen. So kommst du aus der reinen Management-Perspektive ins multiperspektivische Denken zwischen Betroffene:r, Kund:in und CEO. Der Erfolg deines Business hebt nicht nur die Lebensumstände deiner Kund:innen, sondern auch deine eigenen. 

Get out of the building

Nur bei der eigenen Case Study zu verharren, bringt aber auch nichts. Am Ende heißt es: „Get out of the building.“ Zu viele Leute haben gute Ideen, aber sie sprechen nie mit Stakeholder:innen.

Die beste Idee ist erstmal nichts wert ohne Kund:innenfeedback. Nach dem Proof of Concept brauchen wir den Markt. Ich kannte die Probleme von Hörgeräteträger:innen, aber die Probleme wurden noch viel weitläufiger, nachdem wir mit über 30 Hörakustiker:innen und über 200 Schwerhörigen gesprochen hatten.

Also trau dich aus deinem eigenen Fuck-up eine Purpose-Gründung zu machen! Ja, es wird eine harte Zeit bis zum ersten Umsatz. Nicht nur am Anfang slidest du mit deinem Business am Valley of Death entlang. (Spoileralert: Das Valley of Death gibt es die ganze Zeit. Satte 90% der Start-ups scheitern.) Aber wenn du deine Idee nicht verwirklichst, wird es keiner oder jemand anderes tun. Und das wäre doch schlimmer, als wenn du es mit deiner persönlichen Win-Win-Situation nicht wenigstens versucht hättest, oder?

Niklas Spichalsky (30) ist Co-Gründer von MySecondEar, Deutschlands größtem Online-Hörakustiker – und selbst seit 20 Jahren schwerhörig.

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