Leadership & Karriere Verantwortungseigentum: So sollen Unternehmen gier-frei werden

Verantwortungseigentum: So sollen Unternehmen gier-frei werden

Zugegeben, „Verantwortungseigentum“ ist ein sperriges Wort. Wenn man die Buchstaben verschiebt, kann man gar „nervigst an Wortungetüm“ daraus bilden. Dabei geht es doch um ein Feuerwerk an neuen Ideen. Der Kern der Idee ist simpel und dabei revolutionär: Unternehmen sind nicht zum Reichwerden da. Und sie sind kein Spielzeug zum Verkauf an Superreiche. Einfach mal Twitter kaufen und damit machen, was man will? So einfach wäre das mit dem Prinzip Verantwortungseigentum nicht zu machen.

Schauen wir mal in die Zukunft: Auf zu einem dieser Verantwortungsunternehmen – auf ins Saarland! Denn hier befindet sich die Zentrale von Globus. Gut 150 große Geschäfte betreibt das fast 200 Jahre alte Vorreiterunternehmen. Verantwortungseigentümer ist hier Matthias Bruch. Laut „Forbes“ zählt sein Vater Thomas Bruch zu den Milliardären. Aber bei Globus ist das komplizierter. Das Unternehmen gehört heute zu einem wesentlichen Teil nicht mehr direkt der Familie Bruch.

Sondern einer gemeinnützigen Stiftung, die einen Großteil der Anteile hält. Eine weitere, die Familienstiftung, hält 80 Prozent der Stimmrechte, mit denen im Unternehmen Entscheidungen getroffen werden. Mit diesem Modell haben schon in der Vergangenheit Großunternehmen wie Bosch der Idee Verantwortungseigentum vorgegriffen. Und viele sagen: ihrem Erfolg den Weg geebnet, das Schicksal von Verkauf oder Pleite vermieden.

Weiter als in Quartalen denken

Wie es sich für Sohn Matthias Bruch anfühlt, dass er als „Verantwortungseigentümer“ in das Unternehmen eingetreten ist, es aber nicht zu Cash machen kann? „Meine Konzentration liegt darauf, das Unternehmen voranbringen zu können“, sagt Bruch. „Dabei habe ich als Unternehmer viele Gestaltungsmöglichkeiten für die langfristige Entwicklung von Globus. Das Modell verstärkt diesen Ansatz. Und ich fühle mich wohl damit!“ Um das gute Quartalsergebnis, wie bei einer Aktiengesellschaft, gehe es eben nicht, fügt der Vater hinzu.

Fast hat man sich daran gewöhnt, dass Unternehmer:innentum oft gleichbedeutend ist mit maximal Geld scheffeln. Auf Kosten des Zwecks, den das Unternehmen für die Gesellschaft erfüllt. Aber gerade Familienunternehmen stehen für etwas, das man heute mit dem Allesbegriff Purpose bezeichnet: Mach was Nützliches! „Für uns ist der Gewinn Saatgut für Investitionen“, sagt Bruch. Der Zweck: den Kunden gerecht werden, angefangen beim Fleischkäsebrötchen für 1 Euro. Und jedes Jahr fließe ein Millionenbetrag in die Stiftung. Diese finanziert damit zum Beispiel Bildungsprojekte für Jugendliche, die einen Weg ins Berufsleben finden sollen.

No Exit

Um die Idee mal auf die Startup-Welt zu münzen: keine Unternehmensgründung für den Exit mehr. Wenn Unternehmen nur möglichst schnell wachsen sollen, damit es sich für die Investor:innen lohnt, dann geht dabei auch schnell etwas zu Bruch. Mit Gorillas ist gerade ein extrem auf Wachstum getrimmtes Modell dabei zu scheitern.

„Als ich verstanden habe, dass Menschen Startups für einen Exit aufbauen, war ich baff“, sagt Ines Schiller. Sie wollte deshalb bei ihrem zweiten Unternehmen etwas anders machen als beim ersten. Vor allem: Weg von Venturecapital und dem unbedingten Wachstumsglauben. „So viel Zeit und Energie verballern, nur um etwas zu verkaufen, das verstehe ich überhaupt nicht.“ Doch dazu später mehr.

Nicht nur Ines Schiller oder das bekannte Berliner Kondom-Startup Einhorn haben sich dem Modell verschrieben, zuletzt machte die Outdoormarke Patagonia Schlagzeilen: Alle Gewinne sollen in Zukunft einer Klimastiftung zugutekommen, wenn sie nicht ins Unternehmen reinvestiert werden. Aber der Kern ist nicht die Wohltätigkeit, sondern dass man aus seinem Business kein schnelles Geld macht.

Bigger-Picture-Brille

„Verantwortungseigentum kommt übrigens nicht von ,Eigentum, das von einem verantwortungsbewussten Eigentümer gehalten wird‘“, erklärt Anne Sanders, die sich als Juraprofessorin mit dem Thema befasst. Sondern es kommt von „Eigentümer, der nur die Verantwortung des Eigentums trägt, es aber nicht zum eigenen finanziellen Nutzen hält“. Verantwortungseigentum, aber kein Finanzeigentum.

Eben weil die Entscheidungen von Menschen getroffen werden sollen, die die Bigger-Picture-Brille aufsetzen. Wie man sich das so bei Familienunternehmer:innen vorstellt. Familienunternehmen aber brauchen Lösungen für den Fall, dass „Sohnemann nur auf der Jacht rumhängt“, wie es SPD-Politikerin Verena Hubertz mal sagte.

Wie Juristin Sanders auf das Thema kam? „Meine Eltern waren beide beim Film, Regisseurin und Kameramann. Als ich Unternehmerinnen und Unternehmer kennenlernte, die so für ihre Idee brannten wie meine Eltern damals für die Kunst, war ich überzeugt. Mit Haut und Haaren.“ Überzeugt hat Anne Sanders mit fünf Kolleg:innen auch die Bundesregierung. Für all das soll es nämlich eine neue juristische Form von Unternehmen geben, so steht es im Koalitionsvertrag. Es geht an die Grundlagen des Wirtschaftens – und „gegen viele tradierte Überzeugungen“, sagt Sanders.

Bisher geht es nur auf Umwegen

Stand jetzt kann man Verantwortungseigentum auf zwei Arten umsetzen: erstens per Doppelstiftung, wie bei Globus. Nachteile: Das ist nicht nur kompliziert, und man braucht schon ziemlich viel Geld für das Stiftungsvermögen und die rechtliche Beratung. Stiftungen haben auch einen Zweck, der nicht so einfach verändert werden kann. Darum soll es beim neuen Modell aber nicht gehen.

Zweite Möglichkeit nach aktueller Rechtslage: Das sogenannte Vetoshare-Modell – das nutzt Unternehmerin Ines Schiller. Dabei bekommt die dafür gegründete Purpose-Stiftung das Recht, bestimmte Entscheidungen zu blockieren, etwa den Laden zu verscherbeln oder immer die Überschüsse abzuzocken. Oder wie es Sanders ausdrückt: „Der Kern ist der Ausschluss von Liquidationserlös und Gewinnausschüttung.“

„Wir haben gute Argumente. Die werden sich durchsetzen.“

Gegner:innen des Gedankens haben sich schon zusammengetan. Von „Sozialismus auf leisen Sohlen“ ist die Rede. Verbände finden, dass man das Modell einfach nicht braucht (es gibt ja schon Stiftungen!) und dass es schnell furchtbar kompliziert werden könnte. BDI und Bundesverband Deutscher Stiftungen plädierten deshalb für eine Art Siegel, mit dem man besonders vorbildliche Unternehmen auszeichnen könne, damit es alle mitbekommen.

Überhaupt ist es ein etwas empfindliches Thema: Familienunternehmen hatten die Idee „in den falschen Hals bekommen“, wie es FDP-Politiker Johannes Vogel mal sagte. Als seien nur Verantwortungsunternehmen auch verantwortungsbewusst. War doch gar nicht so gemeint!

„Es scheint so, dass der Verband der Familienunternehmer im Verantwortungseigentum eine Art Konkurrenzveranstaltung sieht“, sagt Thomas Bruch. „Ich kann das nicht nachvollziehen. Wir haben gute Argumente. Die werden sich durchsetzen.“

Rixdorf statt Wall Street

Ortstermin in Rixdorf, ziemlich mittig zwischen den hektischen Achsen Sonnenallee und Karl-Marx-Straße im Berliner Bezirk Neukölln. Hier befindet sich das Büro von Vyld in einem ländlich anmutenden Hinterhof. Direkt nebenan eine Scheune voller glitzernder Girlanden. Die sleeke Welt des Venturecapitals ist räumlich gar nicht so weit weg. Gefühlt aber liegen Welten zwischen ihr und der Art von Startup, wie Ines Schiller es aufbaut.

Die Gründerin, 34, Haare bunt gefärbt, hat in ihrem Leben schon viel gemacht: Kinofilme produziert, sich bei der Initiative „Mein Grundeinkommen“ für ein ebensolches engagiert, Ausbildung zur Marine Guide und nun das zweite Startup. Ihr neues Unternehmen heißt Vyld und stellt Tampons aus Algen her. Die sind ein nachwachsender Rohstoff mit erstaunlicher Aufnahmefähigkeit für Flüssigkeiten. In Schillers Büro hängen ein paar getrocknete Blätter der Braunalgen, aktuell ist das dreiköpfige Team noch an der Produktentwicklung. Wenn es schnell geht, soll der Tampon aus Algen 2023 auf den Markt kommen. „Aber wer behauptet, so etwas genau voraussagen zu können, der flunkert“, sagt Schiller.

Sie übrigens war erst ganz und gar keine Freundin der Idee vom Verantwortungseigentum. „Wieso braucht ihr jemanden, der für euch darauf aufpasst, dass ihr euer Unternehmen nicht mal eben verkauft? Das ist echt ein Dude-Problem!“ Aber nicht nur sexistisch kam ihr das Konzept vor, auch elitär. Schiller stellte sich die Frage: „Können wir uns das überhaupt leisten?“

Gewissenspflaster für Rich Kids?

Verantwortungseigentum als Gewissenspflaster für Rich Kids. Das aber war nur die Skepsis der ersten Phase. Schiller merkte mit der Zeit: Auch wenn man das Unternehmen ohnehin nicht verkaufen will, hilft das Label Verantwortungseigentum, dies anderen glaubhaft mitzuteilen. Außerdem lässt sich das Modell so gestalten, dass es nicht nur für diejenigen funktioniert, die schon von allem genug haben.

Schiller und ihre Geschäftspartnerin Melanie Schichan wollen nicht reich werden. Schiller hat ihre Gründerinnenkompensation so berechnet, dass sie bis an ihr Lebensende ein Grundeinkommen haben wird. „Das Sahnehäubchen wäre, nicht mehr von Lohnarbeit abhängig zu sein.“ Alles, was darüber hinaus an Geld reinkommt, soll dann weder Schiller noch ihrer Familie zugutekommen. „Ich finde es verrückt, dass jemand sich all die Arbeit macht, nur um reich zu werden“, sagt sie. An Geld kommen musste sie natürlich trotzdem. Weil VCs ausgeschlossen waren („ich halte das Konzept für so hängen geblieben!“), arbeitete sie mit Business-Angels zusammen. Darunter waren der Blinkist-Gründer Sebastian Klein und, Case for her, ein philanthropisches Investmentbüro aus Schweden.

Bleibt nur noch die Suche nach einem Alternativnamen. Ideen: Bescheidenheitsbusiness, Wahlverwandtschaftsfirma, Gesellschaft mit begrenzter Habgier, Familienunternehmen ohne Familienanschluss. Wer etwas davon verwenden mag, feel free. Wir wollen kein Geld dafür haben.

Da ist das Ding! Neben unserer Watchlist findet ihr noch diese Themen: Wie die Chief People Officer der Avantgarde Group, Lesley Anne Bleakney, den Bereich Human Resources neu denkt, wie das Vorreiterland Südkorea das Metaverse für sich entdeckt hat, was die Comedy-Impro-Serie „Die Discounter“ so erfolgreich macht und warum Rocker Ville Valo jetzt Pizza verkauft. Viel Spaß beim Lesen! Hier gibt es das Magazin zum Bestellen.

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