Life & Style Nationaltorhüterin Merle Frohms: „Man muss im Fußball ein Nerd sein“

Nationaltorhüterin Merle Frohms: „Man muss im Fußball ein Nerd sein“

Nationaltorhüterin und BWL-Studentin: Merle Frohms performt in allen Bereichen. Wie schafft sie das?

Frau Frohms, die letzte Frauen-EM hatte so viele Zuschauer:innen wie noch nie. Wie kommt’s? 

Wir spielen mittlerweile in aus-ver-kauf-ten Stadien. Das war früher undenkbar. Wir bekommen auch mehr Anerkennung, und die Vorurteile gegenüber Frauenfußball werden weniger. Auch in den Medien sind wir jetzt präsenter. Früher waren im „Kicker“ selten unsere Gesichter zu sehen oder unsere Statements zu lesen, jetzt werden wir gehört.

Hat sich auch im Sport selbst etwas geändert?

Wir spielen den gleichen Fußball wie vor der EM auch. In den vergangenen zehn Jahren hat die Professionalität im Frauenfußball aber stark zugenommen. Und auf dem Bundesliganiveau können Frauen den Sport hauptberuflich ausüben. Wobei man aber sagen muss, dass das in der breiten Masse immer noch nicht angekommen ist. Bei der Hälfte der Bundesligavereine müssen Spielerinnen noch einen Nebenjob haben. Das ist natürlich nicht wettbewerbsfördernd. 

Und dann kommt eventuell noch eine Familie dazu.

Das ist auch ein Thema, das neu aufkommt: Kinder während der Profikarriere zu bekommen. Früher gab es das kaum. Heutzutage können Frauen nach der Schwangerschaft ihre Karriere fortsetzen. 

Was wollen Sie persönlich Neues in den Fußball bringen? 

Ich will mit dem Klischee aufräumen, dass man als Torhüterin oder Torhüter extrovertiert sein und zu allem eine polarisierende Meinung haben muss. Ich war nie die Lauteste. Ich werde auch nie diejenige sein, die im Spiel unbedingt drei Elfmeter halten will, um im Mittelpunkt zu stehen. Ich würde mir wünschen, dass es im Fußball mehr Diversität gäbe, mehr verschiedene Charaktere, die auf unterschiedliche Art performen. Es gibt meiner Meinung nach noch zu viel Schwarz-Weiß-Denken. 

Können Sie sich an Ihren allerersten Ballkontakt erinnern? 

Der muss gewesen sein, bevor ich laufen konnte – und als ich einen Ball zufällig an den Kopf bekommen habe. Ich habe zwei Brüder, irgendein Ball ist bei uns immer durchs Haus geflogen. 

Und so sind Sie zum Fußball gekommen?

Mein großer Bruder hat mit Fußball angefangen, und ich musste im Garten immer im Tor herhalten, weil er Abschüsse trainieren wollte. Wenn ich mal schießen durfte, habe ich nie getroffen. Das war frustrierend. Meine einzige Chance, was zu reißen, sah ich im Tor. 

Offensichtlich mit Erfolg.

Bis ich 16 war, habe ich in Celle bei den Jungs gespielt. Unser Trainer bestand darauf, dass wir in wechselnden Positionen spielen. Ich persönlich wollte mich auch nie so früh festlegen. Als ich bei einem Turnier im Tor stand, war zufällig ein Sichtungstrainer vom Niedersächsischen Fußballverband da. Er fragte mich, ob ich am Lehrgang teilnehmen wolle. Eigentlich war ich noch zwei Jahre zu jung dafür. Ab da war klar, dass ich Torhüterin werde. Ehrlich gesagt mochte ich es auch immer, ein anderes Trikot zu tragen als der Rest der Mannschaft. Und ich fand die Torwarthandschuhe cool. Die habe ich früher auch immer außerhalb vom Platz getragen. 

Ab wann wussten Sie, dass eine Profikarriere draus wird? 

Ich habe den Sport nicht mit dem Gedanken angefangen, Profi zu werden und in der Nationalmannschaft zu spielen. Klar, als Kind habe ich auch so getan, als wäre ich Oliver Kahn, aber ich hatte nie diesen einen großen Traum. Ich habe überall mitgespielt, wo ich konnte. Ich habe den Vorteil, dass ich mich gerne selbst herausfordere und ehrgeizig bin. Ich hasse es, Gegentore zu bekommen. Das ist mein Antrieb. Mit dem habe ich mich immer weiterqualifiziert. 

Sie stehen für den Rekordpokalsieger Wolfsburg und die Nationalmannschaft im Tor. Wie wird man die Nummer eins?

Die Basis sind ein professionelles Umfeld und sieben bis acht Trainingseinheiten pro Woche. Für mich ist auch mentales Training wichtig, um mit Drucksituationen auf dem Feld, Rückschlägen und Kommentaren von außen umgehen zu können. Da stecke ich genauso viel Energie rein wie in Trainingszeit auf dem Platz. In den entscheidenden Spielen, in denen es darum ging, wer die Nummer eins wird, habe ich nicht versucht, etwas Besonderes zu machen, sondern bin meinem Spiel treu geblieben. 

Welche unsichtbaren Aufgaben hat eine Torhüterin? 

Im Wolfsburger Torwartteam arbeiten wir sehr detailreich, damit es kein Zufallsprodukt wird, ob ich den Ball halte oder nicht. Es geht um richtiges Positionsmanagement, um Wahrscheinlichkeiten und technische Abläufe. Manchmal gratulieren mir Fans zu einer Parade, und ich denke mir: Hätte ich technisch sauberer gearbeitet, hätte ich den Ball besser fangen können, und es hätte nicht so spektakulär ausgesehen.

Sie studieren nebenbei an einer Fernuni BWL. Wie managen Sie das? 

Ich habe eine Ausbildung als Industriekauffrau. Das Studium bereitet mich auf meine Zeit nach der Karriere vor. Es ist mein Ausgleich. Nach dem Spiel gegen Meppen zum Beispiel habe ich während der Busfahrt nach Hause drei Stunden an meiner Hausarbeit für Finanz-und Kostenmanagement geschrieben, um nicht ins Grübeln zu kommen, weil das Spiel für mich als Torhüterin eher undankbar war. 

Und während der WM?

Ich bin in der Uni in den Phasen am produktivsten, in denen im Fußball alles Schlag auf Schlag geht. Wenn ich mal einen komplett freien Tag habe, würde ich eher nicht auf die Idee kommen, mich an den Schreibtisch zu setzen. 

Was hat die Ausbildung für die Fußballkarriere gebracht? 

Ich bin dadurch sehr strukturiert und gut im Selbstmanagement. Ich brauche einen genauen Zeitplan. Das merkt man auch im Training. Ich will am liebsten vorab wissen, welche Inhalte trainiert werden. 

Haben Sie Vorbilder? 

Ich suche mir in meinem Umfeld gezielt Eigenschaften von Menschen, die mich beeindrucken. In meiner Anfangszeit in Wolfsburg war Alisa Vetterlein die Nummer eins. Sie war die erste Profitorhüterin, mit der ich Kontakt hatte, jetzt ist sie meine Trainerin. Sie arbeitet sehr akribisch. Das habe ich versucht mir abzugucken. Von anderen Kolleginnen, wie man mit Rückschlägen umgeht. 

Wie gehen Sie mit ihnen um? 

Während des Spiels kann ich das mittlerweile abhaken und mich darauf konzentrieren, meinen Job zu erledigen. Danach analysiere ich die Aktionen mit meiner Trainerin, um daran zu arbeiten. Die Aussicht, dass mir ein Fehler kein zweites Mal passiert, beruhigt mich. 

Das klingt sehr diszipliniert.

Man muss im Fußball auch ein Nerd sein.

Was zeichnet Ihr Spiel aus? 

Ich kommuniziere sehr viel und übernehme Verantwortung für meine Defensive. Ich habe schon öfter gehört, dass ich wie ein Radio hinten im Tor bin. 

Wo sehen Sie sich in Zukunft? 

Ich kann mir vorstellen, Torwarttrainerin zu werden. Egal ob für Frauen oder Männer. Ohne überheblich klingen zu wollen, sehe ich bei Männern aber das größere Potenzial. Da gilt: Wer hält, hat recht. Die arbeiten, wie ich das mitbekomme, im Torbereich noch nicht so taktisch und technisch wie wir.   

Dieser Text stammt aus unserer Ausgabe 03/23. Dieses Mal dreht sich in unserem Dossier alles um das Thema Danach. Wie geht es nach einem Fuck-Up oder Wendepunkt im Leben weiter? Außerdem haben wir mit Nationaltorhüterin Merle Frohms gesprochen und die Seriengründerin Marina Zubrod erzählt alles über ihre Hassliebe zum Unternehmertum. Viel Spaß beim Lesen! Hier gibt es das Magazin zum Bestellen.

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