Leadership & Karriere Annahita Esmailzadeh: „Wir sollten nicht pauschal alle Männer an den Pranger stellen“

Annahita Esmailzadeh: „Wir sollten nicht pauschal alle Männer an den Pranger stellen“

Stechuhr, Schubladenfallen und Inklusion: Autorin, Führungskraft bei Microsoft und Business-Influencerin Annahita Esmailzadeh will mit Klischees in der Arbeitswelt aufräumen.

Frau Esmailzadeh, in Ihrem neuen Buch geht es um Vorurteile. Welche treten typischerweise im Jobkontext auf?

In der Arbeitswelt treffen Menschen auf ganz unterschiedliche Vorurteile. Ein Beispiel ist das Alter. Ist man zu jung, wird oft davon ausgegangen, dass man für eine Führungsposition nicht geeignet ist. Ist man älter, wird davon ausgegangen, dass man vermeintlich schon mit einem Fuß in der Rente steht und nicht mehr lernwillig oder innovationsfähig sein kann. Ein anderes Beispiel: Frauen werden zum Beispiel technische Berufe weniger zugetraut, weil dieser Bereich männlich konnotiert ist. Andersrum bei Männern und sozialen Berufen.

Und das betrifft nicht nur die Berufe, sondern auch die damit zusammenhängende Familienplanung.

Auch rund um Familienplanung und Erziehung ranken sich viele Geschlechterklischees. So wird Frauen im gebärfähigen Alter durchgehend ein Kinderwunsch unterstellt, auch wenn sie gar keine Kinder bekommen können oder wollen. Entsprechen Frauen dieser Erwartungshaltung und bekommen Kinder, können sie es der Gesellschaft trotzdem nicht recht machen. Halten sie weiterhin an ihrer Karriere fest, sind sie Rabenmütter. Reduzieren sie ihre Arbeitszeit, werden ihnen fehlende berufliche Ambitionen unterstellt.

Im Titel Ihres Buches nennen Sie den „alten weißen Mann“, einen der gängigsten Stereotype in der Diskussion um Vorurteile. Was ist an diesem Stereotyp problematisch?

Was ich sehr problematisch finde, ist, dass wir auf diese Weise genau das tun, was wir mit unseren Bemühungen für mehr Diversität und Inklusion eigentlich vermeiden wollen. Wir schaffen damit ein Klischee, indem wir Menschen in eine Schublade stecken und ihnen automatisch Attribute zuschreiben. Menschen können sich nicht aussuchen, ob sie mit einer weißen Hautfarbe und mit dem männlichen Geschlecht geboren werden. Und sie können es sich auch nicht aussuchen, über 50 zu sein. Es ist nicht weit gedacht, wenn wir wegen dieser Attribute davon ausgehen, dass diese Person automatisch das Patriarchat aufrechterhalten will und nicht an Nachhaltigkeit interessiert ist. Um mal zwei Klischees zu nennen, die mit dem Klischeebild des alten weißen Mannes einhergehen.

Vorurteile gehen in alle Richtungen.

Absolut. Man darf nicht vergessen, dass wir Frauen nicht allein für Gleichberechtigung sorgen können. Wenn ich auf meine eigene Karriere zurückblicke, dann waren es sowohl Frauen als auch Männer, die mir Türen aufgemacht haben, die mir sonst wohl noch lange verschlossen geblieben wären.

Doch die meisten obersten Managements liegen fast ausschließlich in männlicher Hand.

Je höher das Managementlevel, desto weniger Frauen sind vertreten. Eine Reflexion über alte Machtstrukturen und etablierte Privilegien ist daher unvermeidbar. Wir sollten uns hierbei aber das Leben nicht leicht machen und pauschal alle Männer an den Pranger stellen. Nur Hand in Hand und im differenzierten Dialog werden wir den Weg Richtung gelebter Gleichberechtigung erfolgreich beschreiten.

Campus Verlag, 240 Seiten, ab 16.8.

Spricht man über Frauen in Führungspositionen, kommt immer wieder der Begriff „Quotenfrau“ auf. Was ist an diesem problematisch?

Wir müssen die Emotionalität aus dieser Diskussion herausnehmen. Aus meiner Sicht ist die Quote nichts anderes als ein Instrument, um einer unterrepräsentierten Bevölkerungsgruppe einen gleichberechtigteren Partizipationsanteil zu ermöglichen. Es ist nun mal so, dass die freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen, auf die man sehr lange gesetzt hat, zu keinen spürbaren Ergebnissen geführt hat.

Woran liegt das?

Hier liegt das sogenannte Affinitätsprinzip vor, auf das ich auch im Buch intensiv eingehe. Es besagt: Gleich und Gleich gesellt sich gern. Menschen fördern und stellen am liebsten Menschen ein, die ihnen selbst ähneln. Die deutschen Chefetagen sind heute immer noch sehr homogen besetzt. Bis vor Kurzem gab es mehr Thomas und Michaels als Frauen in deutschen Vorständen. Das hat sich erst 2019 nach der Einführung der Frauenquote geändert. Daher ist die Kritik an der Quote aus meiner Sicht indiskutabel. Wir brauchen allerdings neben der Quote noch begleitende Maßnahmen, um die Strukturen anzugehen, die zu dem heutigen Status quo geführt haben. Die Quote allein wird den Status quo nicht verändern.

Wie können diese begleitenden Maßnahmen aussehen?

Wir haben bisher beobachtet, dass familienpolitische Anreize zu Verbesserungen geführt haben. Ein Beispiel ist die Einführung der Partnermonate. Daraufhin haben mehr Männer angefangen, Elternzeit zu nehmen. Aus meiner Sicht würde es also Sinn machen, die Partnermonate zu erhöhen. Und das Ehegattensplitting beziehungsweise das aktuelle Steuerklassenmodell zu überarbeiten, das nach wie vor beinhaltet, dass es einen Hauptverdiener, klassischerweise den Mann, und einen Gering- oder Garnichtverdiener, die Frau, gibt. Wenn wir das überarbeiten würden, würden wir viel mehr Frauen nachweislich dazu bringen, mehr oder überhaupt zu arbeiten.

Das sind Forderungen, denen die Politik nachgehen muss. Was können denn Arbeitgeber jetzt schon besser machen?

Wir brauchen Strukturen bei Arbeitgebern, die für Vereinbarkeit sorgen. Zum Beispiel betriebliche Kinderbetreuung, hybrides Arbeiten und Vertrauensarbeitszeitmodelle. Dass man zum Beispiel zu Hause arbeiten kann und die Möglichkeit hat, mit dem Kind zum Arzt zu gehen, ohne dafür Urlaub nehmen zu müssen. Entscheidend hierfür ist allerdings im gleichen Zuge auch eine inklusive Unternehmenskultur. Denn Menschen ist nicht geholfen, wenn sie in ihren Unternehmen tolle Benefits vorfinden, aber es nicht gern gesehen ist, diese in Anspruch zu nehmen.

Im September hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass eine generelle Pflicht zur Dokumentation der Arbeitszeit besteht. Arbeitsminister Heil will jetzt ein entsprechendes Gesetz durchbringen. Das klingt für Ihre Vorschläge nicht gerade förderlich.

Ich bin kein Fan der Stechuhr. Ich bin ein Fan davon, dass man eine Ergebniskultur schafft, indem man auf den Outcome und nicht auf abgesessene Stunden schaut. Ich persönlich vertraue meinen Mitarbeitenden. Das sind alles professionelle und erwachsene Menschen. Sie können selbst entscheiden, an welchem Tag sie im Büro und an welchem Tag sie zu Hause arbeiten wollen oder wann sie zum Arzt gehen. Diese Kontrollmechanismen sind aus meiner Sicht nicht zielführend.

Was können Arbeitgeber tun, um ihre Mitarbeitenden nicht in Schubladen zu stecken?

Wenn man Vorurteile bekämpfen will, muss man als Erstes akzeptieren, dass man sie hat. Das ist evolutionär bedingt, wir alle fallen diesem Schubladendenken zum Opfer. Dann haben Arbeitgeber unterschiedliche Möglichkeiten. Was ich empfehle, ist die Etablierung anonymer Feedback-Kanäle, um, basierend auf anonymisierten Befragungen, Einblicke in Problemfelder zu bekommen, die weitere Inklusionsarbeit benötigen. Wichtig ist, dass diese Ergebnisse auch wirklich aktiv genutzt werden, um für die ­adressierten Herausforderungen gezielte Maßnahmen zu entwickeln. Und deren Erfolg laufend zu überprüfen.

Stichwort Inklusion: Wie können Unternehmen hier als gutes Beispiel vorangehen?

Was sehr oft unterschätzt wird, ist die Macht von inklusiven Stellenausschreibungen. Ich stoße sehr oft auf Stellenbeschreibungen, die folgende Passagen enthalten: Deutsch als Muttersprache oder junges Team. Diese beiden Punkte sind per se schon diskriminierend. Wenn ein Job fließendes Deutsch erfordert, ist das nachvollziehbar. Aber wieso darf die Person dafür keinen Akzent haben? Und ein junges Team impliziert ja, dass Menschen ab einem gewissen Alter nicht mehr gewollt sind.

Was sollte man stattdessen in Stellenausschreibungen erwähnen?

Der Fokus sollte aus meiner Sicht auf Qualifikationen, Fähigkeiten und Erfahrungen gelegt werden, anstatt auf persönliche Merkmale wie Alter oder Muttersprache. Und dann sollte man aus meiner Sicht auch die Möglichkeit der direkten Ansprache von Minderheiten nutzen. Zum Beispiel, indem man Menschen mit einer Behinderung oder mit Migrationshintergrund aktiv dazu ermutigt, sich auf diese Position zu bewerben.

An den Stellschrauben drehen also die, die für die Personalentscheidungen zuständig sind.

Die Personen in der Belegschaft, die die Personalentscheidungen treffen, müssen für die Thematik sensibilisiert werden. Man muss über Unconscious Bias, also die unbewusste Voreingenommenheit, aufklären. Man sollte Workshops und Trainings anbieten, um Menschen zu schulen, damit sie ihren eigenen Bias reflektieren. Grundsätzlich sollte aber die ganze Unternehmensrichtlinie überprüft werden. Sie muss gewährleisten, dass es keine Diskriminierung gibt. Und sie muss regelmäßig geprüft werden, damit sie auf dem aktuellen Stand ist.

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