Life & Style Von Always-On zu Always-Balance: So meistern wir digitalen Stress der neuen Arbeitswelt

Von Always-On zu Always-Balance: So meistern wir digitalen Stress der neuen Arbeitswelt

Gastbeitrag von Dr. David Bausch.

Die Covid-19-Pandemie hat die digitale Transformation in der deutschen Arbeitswelt enorm verstärkt, wobei Millionen von Menschen nun deutlich stärker digital arbeiten als zuvor. Die Vorteile dieser Veränderung sind offensichtlich, darunter die Möglichkeit für über 11 Millionen Menschen, im Homeoffice zu arbeiten. Dennoch sind mit diesen digitalen Veränderungen auch neue Herausforderungen und Belastungsfaktoren aufgekommen. Es ist ein Zwiespalt, bei dem das Licht der Möglichkeiten von einem Schatten begleitet wird, der in Form von digitalem Stress erscheint. Viele Menschen erkennen diese Schattenseite, können sie jedoch oft nicht explizit als „digitalen Stress“ benennen, da das Bewusstsein für diese spezifische Belastung oft fehlt. In meinen zahlreichen Vorträgen zu diesem Thema stoße ich regelmäßig auf eine starke Resonanz. Die Zuhörer bzw. Teilnehmenden können die digitalen Stressoren mit ihren alltäglichen Arbeitssituationen in Verbindung bringen und darin ihre individuelle Belastung wiedererkennen. Es wird dabei immer deutlich, dass digitaler Stress eine weitreichendere Belastung vom Ausdruck bringt, als die ständige Erreichbarkeit, die viele Menschen zunächst damit in Verbindung bringen. 

Mit der erhöhten Veränderungsgeschwindigkeit der digitalen Transformation schritthalten zu können, stellt für viele Menschen eine gewaltige Herausforderung dar, denn die Stressoren, welche die wahrgenommene Belastung verursachen, verbergen sich an vielfältigen Stellen und verstärken sich oft wechselseitig. Es bedarf eines gesellschaftlichen und organisationalen Umdenkens, um präventiv gegen digitalen Stress vorzugehen, damit die Arbeits- und Leistungsfähigkeit der Mitarbeitenden langfristig sichergestellt werden kann.

Doch was verbirgt sich genau hinter dem Begriff „Digitaler Stress“? Wie bereits gesagt, ist die ständige Erreichbarkeit, das „always on“ sein, lediglich ein Aspekt davon. Die Belastungsfaktoren sind praxisnah und vermutlich erkennen Sie bereits jene, die für Sie besonders relevant sind. Der Stressor der „Überlastung“ bildet für mich den Ausgangspunkt und stellt eine erhebliche Herausforderung dar. Hierunter versteht sich, dass kontinuierlich immer mehr technologische und kommunikative Systeme sowie digitale Anwendungen am Arbeitsplatz integriert werden. Im Gegensatz zu früher, als solche Innovationen seltener und mit größeren Abständen implementiert wurden, erfolgt dies heute in einem rapiden Tempo. Es entsteht ein Paradigmenwechsel: Immer mehr Innovationen kommen zur Reife, während die Update-Intervalle kürzer werden. 

Daraus resultiert der Stressor der „Ungewissheit“ im Umgang mit neuen technologischen Systemen und digitalen Anwendungen, da die angemessene Handhabung oft nicht intuitiv ist. Dies steht in direkter Verbindung zum Stressor der „Komplexität“, bei dem Technologien und digitale Anwendungen als Ganzes nicht vollständig verstanden werden können. Diese Wechselwirkung zwischen verschiedenen Stressoren intensiviert die Belastung weiter.

Ein zusätzlicher relevanter und besonders strategischer Stressor ist die „Jobunsicherheit“. Obwohl bereits seit langem in der Forschung fundiert belegt, kam dieser besonders seit Beginn des Jahres 2023, mit dem Beginn der KI-Revolution, verstärkt ins kollektive Bewusstsein vieler Menschen. Die Angst, dass intelligente Systeme und KI-Anwendungen die eigene Tätigkeit beeinflussen könnten, wird zur Realität wodurch bei viele Menschen existentielle Sorgen entstehen. Nicht ohne Grund erläuterte Alen Buyx, Vorsitzende der Deutschen Ethikrats in einem Interview im September 2023: „Natürlich ist es übertrieben, wenn jetzt alle Angst um ihren Job haben. Aber es wird schon viele treffen“.

Die „Entgrenzung von Beruf- und Privatleben“ ist ein weiterer bedeutender Stressor und kommt der Belastung der ständigen Erreichbarkeit am nächsten. Besonders seit der Covid-19-Pandemie und dem Siegeszug des Homeoffices haben wir diesen Stressor intensiv erlebt. Obwohl ortsunabhängiges Arbeiten viele Vorteile bietet, verliert der Arbeitsplatz, insbesondere das Zuhause, seinen Status als bedingungsloser Rückzugsort. Haben Sie schon einmal abends vom Sofa aus berufliche E-Mails gecheckt? Das ist heute für viele Menschen Teil des ganz normalen Alltags. Die Entgrenzung führt dazu, dass der Laptop auch abends noch geöffnet wird, um Probleme zu lösen. In früheren Jahren, als Homeoffice in dieser Form nicht existierte, musste der Betroffene zumindest bis zum nächsten Morgen warten, um den Sachverhalt angehen zu können. Dieser automatische Schutzmechanismus existiert für die über 11 Millionen Deutschen im Homeoffice heute nicht mehr.

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