Life & Style Weshalb sich ein Mann absichtlich von Schlangen beißen lässt und das jetzt zum Geschäftsmodell macht

Weshalb sich ein Mann absichtlich von Schlangen beißen lässt und das jetzt zum Geschäftsmodell macht

Tim Friede hat bisher 200 Biss-Attacken von Giftschlangen und mehr als 700 Injektionen tödlichen Schlangengifts überlebt. Der Lkw-Mechaniker sucht ein universelles Gegengift und gründete dafür jetzt die Firma CentiVax.


Tim Friede lässt sich von Black Mambas und Vipern beißen, deren Bisse Menschen eigentlich töten. Doch Friede stirbt nicht. Der Mann aus Wisconsin hat einen Plan. Er immun gegen jene Gifte werden, die in seinem Körper landen. Der Hobbyforscher sucht nach einem Antiserum. 1998 begann er damit, seine Taten mit Giftschlangen zu filmen und stellt sie bei YouTube ein. „Ich wollte die Videos nicht zum Spaß machen, sondern das Leben von Menschen retten und etwas bewirken. Ich habe die Plattform benutzt, um Ärzte zu finden, mit denen ich jetzt zusammenarbeite. Es war ein Glücksspiel“, sagt er. In einem Video beißt ihn eine Black Mamba –zwei Mal, viel Blut ist zu sehen. „Die auch Giftnatter genannte Schlange verursacht blitzartig starke Schmerzen. Es ist, als würde man von tausend Bienen gestochen.“ Bienen verfügen über ein oder zwei Milligramm Gift. Die schwarze Mamba verteilt bei einem Biss bis zu 400 Milligramm im Körper eines Opfers. Friedes Körper schwillt nach einem Biss tagelang an und der US-Amerikaner schläft dann sehr viel.

Auf der Suche nach dem Antiserum
Eines Tages sah der junge Pfizer-Immunologe Jacob Glanville die Videos von Friede. Der Pharmaexperte ist sofort von der Idee eines Antiserums begeistert. Glanville kündigte seinen Job und will Friede jetzt bei seiner Suche nach einem Antiserum helfen. Denn dessen Immunsystem ist in der Lage, Dutzende Giftstoffe zu neutralisieren. Der Trick: Der Experimentalwissenschaftler, der nie eine Universität besuchte, injizierte sich jahrelang kleine Mengen der Schlangengifte, damit sich so Antikörper in seinem Körper bilden. Dann lässt er sich von den Tieren beißen, um zu sehen, ob sein Körper das Gift abwehrt. Inzwischen sucht sein Start-up CentiVax nach einem Antiserum gegen Schlangenbisse. Gegründet haben es Glanville und Friede gemeinsam.

Zehntausende Tote durch Schlangenbisse
Die WHO schreibt über das Thema: Jährlich werden 4,5 bis 5,4 Millionen Menschen von Schlangen gebissen und 81.000 bis 138.000 sterben an den Komplikationen. Zu den Risikogruppen gehören Landarbeiter, Hirten, Fischer, Jäger. „Morbidität und Mortalität treten am häufigsten bei jungen Menschen auf und bei Kindern ist die Sterblichkeitsrate höher.“ Von den 3.000 Schlangenarten steckt nur in den Körpern von 200 Arten eine für Menschen tödliche Giftmenge. Was ein Biss bedeutet, hängt von der Schlangenart ab. Laut MSD-Manuals führen Bisse zu Schwäche, Verwirrung, Übelkeit, Erbrechen, Blut im Erbrochenen, Stuhl oder Urin. Möglich sind auch Atemnot, Kopfschmerzen, verschwommenes Sehen, hängenden Augenlidern, Muskelschwäche oder dem Tod.

Wenn der Körper den Dienst verweigert …
„Wenn Sie nicht über eine starke Schlangengiftimmunität verfügen, wird ihr Nervensystem sofort beeinträchtigt. Ihr Körper schaltet sich ab, sie können nicht mehr atmen, nicht mehr sprechen, verlieren nach und nach die Konzentration und werden gelähmt, weil Ihr Nervensystem beeinträchtigt, wird“, sagt Friede über die Effekte, die er selbst erlebte. „Nach einem Kobrabiss war der Schmerz unerträglich. Ich nahm die besten Schmerzmittel, die es gibt – und keines half.“ Sein Kompagnon Glanville glaubt, dass ihnen der große Erfolg mit der jungen Firma CentiVax noch bevorsteht: „Unsere Forschung ist jetzt in einem fortgeschrittenen Stadium. Tims Blut ist die beste Chance, die die Welt für ein wirksames Mittel gegen das Gift von Schlangenbissen hat.“ Sicher ist: Wenn es mit dem Universalwirkstoff funktioniert, wird das Duo Geld verdienen. Der Schlangenforscher sagt dazu: „Ich werde das Antiserum dann der Forschung geben.“ Friede sieht sich als eine Art von Philanthropen.

Und wenn seine Arbeit erfolgreich ist, wird der US-Amerikaner als Legende in die Geschichte eingehen?  Es kann auch anders laufe. Sein Engagement für die Wissenschaft brachte dem Mann viel Ärger ein. Seine Ehefrau ließ sich 2016 nach 20 Jahren Ehe scheiden. „Die Kinder und ich standen nie an erster Stelle, manchmal standen wir nicht einmal auf dem zweiten Rang. Tim besitzt eine Liebesbeziehung zu seinen Tieren“, sagte sie einmal in einem Interview dazu. Und die Forschergemeinschaft? Laut des Discover Magazine hält die nicht viel von seiner Arbeit. „Die potenziellen Risiken der Selbstimmunisierung überwiegen die Vorteile bei weitem.“

Jacob Glanville meint dazu: „Was Friede tut, ist erstaunlich und sehr gefährlich. Ich kann niemandem raten, ihm nachzueifern.“ Über die gemeinsame Zukunft sagt der Forscher: „Ich sehe die Herausforderung so: Wie werden wir das Gegenmittel produzieren und auf welchem Weg bringen wir es zu den Menschen, die es brauchen?“ Tim Friede immerhin plant ein eigenwilliges Vertriebsmodell: Er möchte, wenn der Impfstoff fertig ist, mit Jacob Glanville zu den Menschen in entlegenen Weltregionen reisen und ihnen dort das Antiserum vorbeibringen.

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