Productivity & New Work Gefühle im Job: Braucht die noch jemand oder können die weg?

Gefühle im Job: Braucht die noch jemand oder können die weg?

Gastbeitrag von Dr. Ursula Koehler, Autorin, Coachin und Mentorin.

Gefühle am Arbeitsplatz sind oft ein Tabuthema. Während einige behaupten, dass Emotionen die Produktivität stören und im professionellen Umfeld nichts zu suchen haben, argumentieren andere, dass ein Verständnis für Gefühle am Arbeitsplatz zu einer positiven Unternehmenskultur und besseren Leistungen führen kann. Zwar wird emotionale Intelligenz als Schlüsselkompetenz für Führungskräfte und Mitarbeitende in der Theorie meist zustimmend anerkannt, doch in der Realität stehen weiterhin Hierarchie, Härte und verdrängte Emotionen an der Tagesordnung in Unternehmen. Das kann nicht gut gehen.

Die Realität der Gefühle im Arbeitsumfeld

Im Büroalltag werden ganz selbstverständlich persönliche Grenzen ignoriert, passiv-aggressiv intrigiert, steht von Ghosting über Mobbing bis hin zu ungehaltenen Wutausbrüchen ist so einiges an emotionalen Herausforderungen dabei. Solche toxischen Vibes machen Teamarbeit schwierig und die Arbeitsatmosphäre zur Achterbahnfahrt.

Jeder kennt solche Beispiele: Die junge Kollegin, die immer brav schweigt, wenn man ihr das Wort abschneidet, bis ihre Beiträge irgendwann immer weniger werden und dann wegen einer Krankschreibung längere Zeit ausfällt. Oder wenn der Senior-Chef mal wieder seine Macho-Witze macht, alle nur betreten zur Seite schauen und dann eine Kündigung nach der anderen kommt. Was ist da los?

Erlernte Reaktionsmuster

Frauen im Management lernen bereits früh, ihre Emotionen wie Ärger oder Enttäuschung zu unterdrücken. Viele glauben, nur dann eine Chance auf Karriere zu haben, wenn sie alles tun um nicht als hysterisch, schwach oder -noch schlimmer- als „bossy“ oder gar dominant wahrgenommen zu werden. Wenn dann noch der eigene Wunsch nach Harmonie durch weiblich konnotierte Erwartungen überhöht wird, führt das zu erheblichem Stress (5). Männer stehen stark unter Druck, als „harte Kerle“ einem konstant hohen Leistungsanspruch gerecht zu werden. Sie wollen abliefern, was „man“ von ihnen als „Mann“ erwartet. Solchen äußeren Ansprüchen kann nur gerecht zu werden, wer seine eigenen Bedürfnisse regulieren und (sehr oft) unterdrücken kann. Und das erzeugt viele unerwünschte Gefühle, wie Wut, Ärger, oder auch Traurigkeit. Weil diese oft gesellschaftlich verpönt sind, lernen die Wenigsten damit gesund und reflektiert umzugehen. Stattdessen verwenden sie sehr viel Aufmerksamkeit und Anstrengung darauf, sie unter Kontrolle zu halten.

Folgen ignorierter Emotionen

Wissenschaftliche Studien zeigen, dass die regelmäßige Unterdrückung von Gefühlen ernsthafte negative Folgen haben kann. Schlafstörungen, Migräne, Herzerkrankungen, Depressionen und Burn-Out sind nur einige der körperlichen und mentalen Auswirkungen (1-3). Selbstzweifel verstärken sich und schwindende Selbstakzeptanz sabotiert dann sogar noch den vielfach angestrebten persönlichen Erfolg (4). Meist fällt es erst auf, wenn jemand längerfristig krank ist oder ständig jemand kündigt. Mit weniger Personal steigt der Druck im Team dann noch zusätzlich.

Und dann wird es richtig verzwickt. Bei Stress werden Überlebensinstinkte aktiviert, die eine objektive Selbstbeobachtung verhindern. Dann kann es schon mal vorkommen, dass man wie „ferngesteuert“ handelt, ohne groß nachzudenken. Das spart zwar Energie und bringt schnelle Ergebnisse- eben halt nicht die besten. Im sogenannten Reptiliengehirn sind viele archaische Verhaltensmuster, Überzeugungen und auch kindliche Prägungen abgespeichert, die im beruflichen Miteinander wenig hilfreich sind. Um diesen Teufelskreis zu unterbrechen, darf-nein: muss! genau hingeschaut werden.

Die Bedeutung emotionaler Kompetenz:

Der Mangel an emotionaler Kompetenz kann schwerwiegende Auswirkungen haben, sowohl persönlich als auch beruflich. Wie schockierend diese sind, zeigt der Gallup-Engagement Index: jeder vierte Mitarbeiter hat innerlich bereits gekündigt hat, oft aufgrund der Defizite ihrer direkten Vorgesetzten (in der emotionalen Führung) (6). 

Und genau dieser spielt für den Austausch auf einer menschlichen Ebene eine besondere Rolle. An diesen Schnittstellen zwischen Unternehmen und Mensch braucht es besonders fähiges und geschultes Personal. Sonst läuft man sehenden Auges in die tückischen Fallen persönlicher Unzulänglichkeit. Angesichts solcher Herausforderungen stellt sich die Frage, welches Unternehmen es sich heute noch leisten kann, das Thema emotionaler Kompetenz auf Führungsebene zu vernachlässigen.

Was bedeutet emotionale Führung wirklich?

Führung heißt nicht nur, Anweisungen zu geben Doch wer bei emotionaler Kompetenz jetzt an dauerhaftes Mitgefühl und Mitleid denkt, liegt falsch. Ja, Empathie ist wichtig, doch noch viel wichtiger ist es, ein gutes Selbstbewusstsein für die eigenen „roten Knöpfe“ zu haben, Grenzüberschreitungen zu erkenne und zu wissen, wann man Gefahr läuft, gegen die eigenen Gesundheit zu handeln oder kurz davor ist, nicht mehr angemessen zu reagieren. Eine objektive Selbstbeobachtung ist die wichtigste Fähigkeit, um neue Verhaltensweisen zu erlernen. Denn dann gelingt auch der konstruktive Umgang mit eigenen und fremden Emotionen. Authentische Führung beginnt mit der Fähigkeit, sich selbst zu führen. Bewusstsein für die eigenen Gefühle, Gedanken und Reaktionen sind entscheidend für die Schaffung eines gesunden und produktiven Arbeitsumfelds (7).

Führungskraft mit Vorbildfunktion

In einer Zeit, die von Stapelkrisen, Fachkräftemangel und Generationsspannungen geprägt ist, sind Führungskräfte gefragt, die nicht nur fachlich kompetent sind, sondern auch über eine starke (Selbst-)Reflektion verfügen. Denn sie sind eben auch eins: Vorbilder, Zugpferde, Wegbegleiter. Sie werden beobachtet, an ihnen wird sich orientiert. Ein echtes Vertrauensverhältnis entsteht nur, wenn Mitarbeiter sich authentisch wahrgenommen und sicher fühlen. Dies ist essenziell für die Zusammenarbeit in Teams. Und das braucht eben entsprechende soziale Kompetenzen.

Unternehmen, die eine offene und unterstützende Atmosphäre schaffen, in der Mitarbeiter ihre Gefühle und Bedürfnisse frei äußern können, schaffen nicht nur ein gesünderes Arbeitsumfeld, sondern steigern auch die Gesamtproduktivität und Innovationskraft. Studien zeigen, dass Unternehmen mit einer stark ausgeprägten emotionalen Intelligenz sich besser an Veränderungen anpassen und eine höhere Mitarbeiterbindung erreichen können (8). In einer Zeit, in der Fachkräftemangel und Generationsspannungen zunehmen, ist emotionale Kompetenz kein Nice-to-have, sondern eine absolute Notwendigkeit.

Referenzen:

1 Goleman, D. (1995). Emotional Intelligence: Why It Can Matter More Than IQ.

2 Lazarus, R. S. (1999). Stress and Emotion: A New Synthesis.

3 Grandey, A. A. (2000). Emotional regulation in the workplace: A new way to conceptualize emotional labor.

4 Salovey, P., & Mayer, J. D. (1990). Emotional intelligence.

5 Eagly, A. H., & Carli, L. L. (2007). Through the Labyrinth: The Truth About How Women Become Leaders.

6 Gallup. (2019). Gallup-Engagement Index.

7 Bradberry, T., & Greaves, J. (2009). Emotional Intelligence 2.0.

8 Cherniss, C., & Goleman, D. (2001). The Emotionally Intelligent Workplace: How to Select For, Measure, and Improve Emotional Intelligence in Individuals, Groups, and Organizations.

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