Leadership & Karriere „Wenn Trump Grönland kaufen will, sollten wir Kanada auffordern, der EU beizutreten“ 

„Wenn Trump Grönland kaufen will, sollten wir Kanada auffordern, der EU beizutreten“ 

Nikolaus Wolf ist Professor für Wirtschaftsgeschichte an der Humboldt-Uni in Berlin. Er ordnet die aktuelle Wirtschaftskrise ein und rät zu Gelassenheit gegenüber dem neuen starken Mann im Weißen Haus. 

Herr Professor Wolf, es ist zum Verzweifeln, beinahe alle Indikatoren für die deutsche Wirtschaft zeigen seit Monaten nach unten. Deutschland ist das Schlusslicht unter den Industrienationen, und auch die EU als Ganzes steht nicht sonderlich gut da. Was für eine Krise hat uns da erfasst?

Es ist eine multiple Krise. Es gibt verschiedene Einflussfaktoren. Klar ist, die deutsche und die europäische Wirtschaft laufen nicht rund. Der russische Überfall auf die Ukraine hat das Geschäftsmodell, mit billiger Energie in Deutschland und Europa Produkte herzustellen und in die restliche Welt zu verschicken, ins Wanken gebracht. Die Strategie gegenüber Russland war naiv. Niemand hat die Warnsignale ernstgenommen. Industrie und Politik sind da völlig auf dem falschen Fuß erwischt worden. Dazu kommen die Herausforderungen durch Klimawandel und KI. 

Was tun, frage ich Sie als Historiker? 

Ich habe dazu erstmal auch nur eine Binsenweisheit beizutragen: In jedem Problem liegt eine Chance. Wir müssen zum Beispiel noch viel mehr tun, um energieautark zu werden. Und das geht. Langfristig ist ja nicht Energieknappheit das Problem. Es geht um technische Probleme der Speicher und Übertragungsnetze, die noch nicht gelöst sind. Wir wären gut beraten, die gigantischen Kosten, die der Klimawandel verursacht, als Chance zu sehen: Es gibt eine wahnsinnige Nachfrage nach Lösungen. Und Deutschland ist nicht schlecht darin, diese Lösungen bereitzustellen.  

Die Industrie sieht das anders und macht sich vom Acker. Alle reden von Deindustrialisierung in Deutschland, stimmt das? 

Wir haben insgesamt eine Deindustrialisierung. Ja, das ist ein langfristiger Trend. Aber wir sollten auch sehen: Die Arbeitsplätze in der Industrie werden zwar weniger, aber die Produktivität steigt langfristig. Deswegen sollte uns dieser Trend nicht unbedingt verunsichern. 

Das sind ja gute Nachrichten . . .  

. . . wenn Sie so wollen. Die Statistiken zur Deindustrialisierung jedenfalls sind irreführend. Industrie und Dienstleistung lassen sich nicht so einfach trennen, wie es die Statistiker gerne hätten. Es entstehen jede Menge industrienahe Dienstleistungen und Jobs etwa im IT- und Finanzbereich. Das war früher alles Teil der Industriebeschäftigung und ist heute ausgelagert. Der Niedergang des verarbeitenden Gewerbes wird in der Statistik übertrieben dargestellt, weil man die Verflechtung mit Dienstleistern nicht so sieht. 

Sie haben die Probleme benannt, die zu dieser Krise geführt haben. Gehören nicht die USA mit ihrer Zollpolitik und China mit seinem nachlassenden Wachstum auch dazu? 

Die EU und Deutschland sind sehr gut beraten, den europäischen Binnenmarkt nicht aus den Augen zu verlieren. Deutschland erzielte 2023 rund 68 Prozent seines Außenhandelsüberschusses in der EU. Wenn man das Vereinigte Königreich dazu zählt, waren es sogar 87 Prozent. Europa ist also für die deutsche Wirtschaft wahnsinnig zentral. Das war es schon vor Jahrhunderten, und das wird es auch bleiben. Wir müssen uns deswegen auf die Stabilität Europas konzentrieren. Da gibt es viel Potential. 

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