Leadership & Karriere Digitalisierung: Ghanas Gründer lassen sich nicht aufhalten

Digitalisierung: Ghanas Gründer lassen sich nicht aufhalten

Es gibt bessere Ökosysteme als das von Accra: Stromausfälle, lahmes Internet, fehlendes Wagniskapital. Doch die Gründer in Ghanas Hauptstadt lassen sich bei der Digitalisierung der Landwirtschaft nicht aufhalten.

Von Celia Parbey

Ein Bass hallt durch Osu, das Geschäftsviertel der westafrikanischen Metropole Accra. Auf den Straßen rund um das Gründerzentrum Impact Hub, nicht weit vom Golf von Guinea, tummeln sich Menschen zwischen flachen, geweißelten Bauten, trinken und tanzen bis in die Nacht zu Afrobeats und deutschem Techno. Es ist der Abend vor der ersten Republica auf dem Kontinent. In den nächsten Tagen wird der Impact Hub zum Treffpunkt für Startup-Gründer, Digitalunternehmer, Blogger und Influencer aus Deutschland und ganz Afrika. Wie beim Berliner Vorbild der Digitalkonferenz wird es auch in Accra Vorträge und Diskussionen zu Digitalthemen geben. Startups stellen sich vor, vernetzen sich untereinander, buhlen um das Geld von Investoren. Und es soll über den dominanten westlichen Einfluss im Land debattiert werden.

Der Mann, der mit seinem Team die Berliner Republica nach Ghana geholt hat und darum verantwortlich ist, dass all diese Menschen hier tanzen und bald diskutieren werden, heißt William Senyo. Vor fünf Jahren erkannte er, dass die Stadt dringend einen Ort brauchte, um jungen Unternehmern bessere Infrastruktur anzubieten. Auf den über 1 400 Quadratmetern des Impact Hubs finden sie heute einen Coworking-Space, einen Inkubator und Ansprechpartner für allerlei spezifisch ghanaische Herausforderungen. Ohne die Hilfe scheitern in Accra nämlich viele Gründer, ehe sie überhaupt losgelegt haben. Das liege vor allem an den Rahmenbedingungen, angefangen bei den Räumlichkeiten, erklärt Senyo: „Wenn du in Ghana ein Büro mieten möchtest, musst du zwölf bis 24 Monate im Voraus bezahlen. Das ist für junge Unternehmen überhaupt nicht zu stemmen.“

Erschwert werde das durch die in vielen Teilen Accras unzuverlässige Stromversorgung sowie instabile Internetverbindungen. Als wäre das nicht genug, kommt die Unmöglichkeit, ohne gute Kontakte Startkapital einzuwerben, hinzu. Pitch-Wettbewerbe sind hier für viele Startups die einzige Chance, überhaupt an eine Finanzierung zu gelangen.

Einen solchen Wettbewerb richtet auch das Kosmos Innovation Center aus. Dessen Agritech-Challenge ist ein zehnmonatiges Programm, das Uniabsolventen von der ersten Idee bis zum eigenen Unternehmen begleiten soll. Der Fokus liegt hier auf der Digitalisierung der Landwirtschaft und zielt damit auf eine der wichtigsten Branchen des Landes, in der knapp die Hälfte der arbeitenden Bevölkerung Ghanas tätig ist. „Die Landwirtschaft war schon immer das Fundament Ghanas“, sagt George Sarpong, Geschäftsführer des Kosmos Innovation Center. „Die landwirtschaftlichen Techniken sind jedoch oft veraltet und nur für die Selbstversorgung geeignet. Es fehlt an Innovation und Technologie.“

Das wollen Sarpong und seine Leute am Kosmos Innovation Center ändern, indem sie eine jüngere Akademikergeneration für das Thema gewinnen. „Es gibt immer noch viele, die denken, der Agrarsektor sei nur für ungebildete Arbeiter“, sagt Sarpong. Deshalb müssen die Bewerber für die Agritech-Challenge auch einen Hochschulabschluss nachweisen. „Wir müssen das Ansehen der Landwirtschaft stärken“, so Sarpong.

In Accras Verkehr ist klug, wer Roller fährt (Credits: Francis Kokoroko).

Ghanas aufstrebende Bildungselite mit dem Sektor zu matchen, der die größte wirtschaftliche Bedeutung für das Land besitzt, das klingt logisch – ist aber gar nicht so einfach. Es beginnt schon mit der Registrierung einer Firma, die sich über Monate hinziehen kann. „Wenn du es in Ghana schaffst, erfolgreich zu gründen, bist du für den Rest der Welt gewappnet“, sagt Sarpong und lacht. Allen Widrigkeiten zum Trotz ist er überzeugt, dass Ghana und vor allem Accra unzählige Möglichkeiten für innovatives Business bieten.

„Farmville“ in echt

Dass er recht haben könnte, zeigt das Startup Complete Farmer. Desmond Koney, einer der drei Gründer, beschreibt die Geschäftsidee als eine Art „ ‚Farmville‘ fürs wirkliche Leben“. Ähnlich wie in dem Browsergame kann der Nutzer über die Web-App seinen eigenen Bauernhof haben. Für umgerechnet knapp 500 Euro bauen ghanaische Bauern, die mit der Plattform kooperieren, auf ihrem Land ein halbes Jahr lang Chili an, für 850 Euro pro Einheit 16 Monate lang Ananas. „Wir beschäftigen Agronomen, einfache Landwirte und Wissenschaftler, mit denen wir auf den Farmen zusammenarbeiten“, erklärt Koney. „Vom Nutzer brauchen wir nur das Geld. Den Rest erledigen wir.“ So kann jeder, ob Anwalt oder Modedesigner, von überall auf der Welt eine Farm in Ghana betreiben. Sensoren und Kameras auf den Feldern ermöglichen es den Nutzern, die Aktivitäten auf der Farm rund um die Uhr per Handy oder Laptop zu beobachten.

Auch Koney sagt, dass Complete Farmer das Thema Landwirtschaft für junge Menschen attraktiv machen will. „Die Jugend möchte heutzutage schnell Geld verdienen, aber keiner hat Lust auf die Drecksarbeit, die die Landwirtschaft mit sich bringt. Mit Complete Farmer können wir diese Lücke schließen.“ Zur Erntezeit kann man als User dann entscheiden, ob man die Produkte für den Eigenbedarf nutzen oder an Abnehmer verkaufen möchte, die ebenfalls von Complete Farmer gestellt werden. Genau wie bei Farmville, sagt Koney, sei der Markt immer geöffnet, wenn der Kunde ihn brauche. Und sobald die Ernte an einen Abnehmer verkauft sei, bekomme der Nutzer das investierte Geld samt einer Rendite ausgezahlt.

Die Kombination aus Gamification, Landwirtschaft und Investment kommt bei den Nutzern an: Die Wachstumsrate sei im ersten Jahr überwältigend gewesen, sagt Koney. „Unser erster Kunde wollte gleich 2,5 Hektar kaufen. Am Ende des ersten Jahres hatten wir 90 Morgen an Chili, Tomaten, Maniok und Ananas für verschiedene Kunden angebaut.“ Dieses Jahr sollen es bereits 1 250 Hektar Land werden, denn das Pilotprojekt hat so gut funktioniert, dass viele Kunden für 2019 größere Bestellungen aufgegeben haben. „Die meisten stammen aus Ghana, aber wir haben inzwischen User auf der gesamten Welt“, versichert Koney. Aus diesem Grund plant Complete Farmer die Expansion ins Nachbarland Elfenbeinküste und nach Nigeria.

Mit Qualitrace stellt Padiki Bukari sicher, dass in den Kanistern wirklich das Pestizid ist, dessen Name draufsteht (Credits: Francis Kokoroko).

Complete Farmer arbeitet zudem an neuen Funktionen, die das Farm­erleb­nis für den Kunden noch interaktiver gestalten, zum Beispiel durch Virtual Reality. Nach Feierabend könnten die Investoren eines Tages mit ihrer VR-Brille im eigenen Wohnzimmer über ihre Farm laufen. „Wir wollen Landwirtschaft zu einer Art Lifestyle machen.“ Außerdem will Koney neue Kunden erschließen und dafür an Universitäten in den USA werben, um dort die Angehörigen der afrikanischen Diaspora für Complete Farmer zu begeistern. Dass dieser Ansatz funktionieren kann, habe sich bereits an der University of Ghana gezeigt, sagt Koney. Dort hätten Studierende Gruppen gebildet, um gemeinsam in eine Farm zu investieren.

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