Brand & Brilliance KI macht Digitale Werbung besser – aber nur, wenn Profis sie bedienen

KI macht Digitale Werbung besser – aber nur, wenn Profis sie bedienen

Die Werbewelt redet seit zwei Jahren über generative KI. Aber kaum jemand weiß, was sie tatsächlich bringt – jenseits schöner Slides und Buzzwords. Eine im Oktober 2025 veröffentlichte Studie der Forscher Lee, Todri, Adamopoulos und Ghose liefert nun erstmals belastbare Daten: Sie zeigt, wann visuelle KI-Werbung wirklich funktioniert – und wann nicht.

Der Befund ist klar:
Komplett KI-erstellte Anzeigen übertreffen menschliche Kreativarbeiten messbar.

Wenn die KI dagegen nur existierende Motive optimiert oder „verschönert“, fällt die Wirkung ab. Und sobald offengelegt wird, dass ein Motiv von KI stammt, verlieren Anzeigen bis zu ein Drittel ihrer Klickrate. Das klingt dramatisch. Ist es auch – aber nicht so, wie viele glauben.

Das Experiment: KI gegen Mensch – fairer als gedacht

Die Forscher testeten KI-Designs nicht im Laborbläschen, sondern im echten Werbealltag. Über 100.000 Anzeigenimpressionen in Google Ads, echte Zielgruppen, echtes Budget. Drei Varianten traten gegeneinander an:

  1. Human Ads: Von Designprofis erstellt – klassische Benchmark.
  2. GenAI-Modified Ads: Menschliche Motive, leicht von KI überarbeitet.
  3. GenAI-Created Ads: Vollständig neue Motive, generiert mit Modellen wie Stable Diffusion, Midjourney oder DALL·E.

Ergänzend gab es eine vierte Kategorie: Anzeigen, bei denen die KI zusätzlich das Produkt- oder Verpackungsdesign erstellte.

Das Ergebnis:

  • GenAI-Created schnitt signifikant besser ab (+19 % höhere CTR).
  • GenAI-Modified brachte keinen Vorteil.
  • GenAI-Packaging sorgte für einen zusätzlichen Boost (+15 %).
  • Offenlegung („AI-generated“) senkte CTR um rund 31 %.

Damit ist erstmals empirisch belegt: KI funktioniert nicht als Assistent im Feinschliff, sondern als Generator in der Frühphase.

Warum „Erschaffen“ besser funktioniert als „Verbessern“

Die Erklärung dafür liegt im Konzept der Output Constraints.
Je mehr Regeln, desto weniger Wirkung.

Wenn KI an ein bestehendes Layout „angedockt“ wird, muss sie sich an Farben, Typografie und Komposition halten – genau dort verliert sie ihre kreative Stärke. Die Algorithmen entfalten ihr Potenzial nur, wenn sie frei gestalten dürfen.

Diese Freiheit führt zu drei messbaren Vorteilen:

  1. Processing Fluency: KI-Bilder sind kognitiv leichter zu verarbeiten. Das Auge findet schneller Ruhe.
  2. Emotional Engagement: KI-generierte Anzeigen erzeugen stärkere emotionale Resonanz.
  3. Holistische Kohärenz: Wenn die KI auch Packaging und Produktdesign gestaltet, entsteht visuelle Geschlossenheit – die Werbung wirkt „aus einem Guss“.

Das ist der Grund, warum die Ergebnisse so konsistent sind. KI kann Komplexität harmonisieren, nicht nachträglich reparieren.

Warum Offenheit Performance kostet – und was man dagegen tun kann

Ein spannendes, aber brisantes Ergebnis betrifft die Offenlegungspflicht.
Wenn Konsumenten wissen, dass eine Anzeige KI-generiert ist, bricht die Performance ein. Das ist kein ethisches Problem, sondern ein psychologisches:
Menschen mögen KI-Ästhetik – aber sie misstrauen der Maschine. Offenlegung triggert Zweifel an Authentizität („Wenn’s KI war, ist es sicher unecht“).

Für Marketer ist das ein Dilemma. EU- und US-Regulierungen schreiben Kennzeichnung vor, aber zu starke Transparenz senkt Effektivität.
Lösungsansatz: Framing und Timing. Formulierungen wie „Design unterstützt durch KI“ oder „KI-Assistenz im kreativen Prozess“ performen deutlich besser als „AI-generated Image“. Offenlegung ja – aber im Kontext, nicht im Stempelstil.

Die Lehre für Unternehmen

Die Studie liefert keine Schlagzeile à la „KI ersetzt Kreative“.
Sie liefert eine Roadmap, wie Marketing-Teams sie sinnvoll einsetzen können.

1. KI gehört an den Anfang.
Nutzen Sie GenAI in der Konzeptphase: Ideenfindung, Moodboards, Varianten, Tests. Hier ist Vielfalt Trumpf. Je mehr Freiraum, desto größer die Chance auf ein starkes Motiv.

2. Menschen kuratieren das Ergebnis.
KIs erzeugen Masse, Menschen wählen aus. Der kreative Wettbewerb verschiebt sich vom Gestalten zum Selektieren.

3. Packaging nicht vergessen.
Wenn KI nicht nur die Anzeige, sondern auch das Produktdesign gestaltet, steigt die Glaubwürdigkeit. In der Studie führte das zu 15 % höheren CTRs.

4. Offenlegung intelligent gestalten.
Testen Sie Formulierungen und Platzierungen. Rechtssicherheit ist Pflicht, aber Sprache ist ein Gestaltungsmittel.

5. Messen Sie tiefer.
CTR ist gut, Conversion besser. Die Forscher selbst betonen, dass ihre Ergebnisse vor allem Aufmerksamkeit betreffen. Unternehmen sollten intern prüfen, wie sich KI-Visuals auf tatsächliche Verkäufe oder Markenimage auswirken.

Ein häufiger Irrtum: Der Erfolg liege in der Technologie.
Falsch. Er liegt in der Freiheit, die man ihr gibt.

Die Studie zeigt: KI-Tools wie Stable Diffusion oder Midjourney liefern nur dann überdurchschnittliche Ergebnisse, wenn sie nicht in die Schranken menschlicher Routinen gezwängt werden.
Oder einfacher gesagt: KI ist schlecht im Polieren, aber gut im Erfinden.

Ein zweiter Irrtum: Offenlegung sei immer schädlich.
Nicht ganz. Die negative Reaktion ist ein Übergangsphänomen. Mit zunehmender Medienkompetenz wird sie schwächer. Schon heute reagieren jüngere Zielgruppen (18–29 Jahre) weniger ablehnend auf den Hinweis „AI-generated“. Offenlegung ist also kein Risiko, sondern ein Lernprozess – für Marken wie für Publikum.

Der wahre Gamechanger: Prompt-Kompetenz

Hinter jedem guten KI-Motiv steckt ein gutes Briefing.
Die Studie nutzte professionelle Operator, die genau wussten, wie man Prompt-Parameter steuert. Das ist entscheidend: Eine KI ist kein Designer, sondern ein Instrument, das präzise Anweisungen braucht. Unternehmen, die in Prompt Engineers oder KI-Kreativteams investieren, schaffen sich strukturell denselben Vorteil, den Performance-Marketing-Teams früher durch A/B-Testing hatten.
Die Regel lautet: Mehr Varianten, schneller testen, gezielter kuratieren.

Wo die Studie ihre Grenzen hat

So überzeugend die Zahlen klingen – sie sind kein Beweis dafür, dass KI der bessere Kreative ist. Die Studie zeigt, dass generative Modelle in bestimmten Szenarien besser performen, nicht warum oder für wen. Und genau hier beginnt die kritische Betrachtung.

Erstens: Die Kompetenzfrage.
Die KI wurde in der Untersuchung von erfahrenen Operatoren eingesetzt, die wissen, wie man Prompts strukturiert, Parameter steuert und Modelle feinjustiert. Das ist kein repräsentatives Szenario. In der Realität liegen Welten zwischen einem durchdachten KI-Briefing und einem Schnellversuch im Marketing-Alltag. Wer das Handwerk versteht, erzielt überdurchschnittliche Ergebnisse – wer nicht, produziert visuell beliebige Motive. Die Studie misst also indirekt auch die Fähigkeit der Nutzer, nicht nur die Leistungsfähigkeit der Technologie. Das ist entscheidend: KI verstärkt bestehende Kompetenz. Gute Kreative werden dadurch besser, schlechte nur schneller mittelmäßig.

Zweitens: Der Kontext.
Die getesteten Kampagnen stammten aus der Beauty-Branche – einem visuell standardisierten Umfeld, in dem Ästhetik und Harmonie stark zählen. Ob sich die Ergebnisse auf andere Branchen übertragen lassen – etwa Finanzdienstleistungen, Versicherungen oder B2B-Märkte – bleibt offen. Emotionales Design ist nicht überall gleich relevant.

Drittens: Der Bias.
KI-Systeme lernen aus bestehenden Bildwelten. Das bedeutet: Sie reproduzieren visuelle Muster, die sich schon in der Vergangenheit als erfolgreich gezeigt haben. Innovation entsteht dadurch nicht, sondern Optimierung. Für kurzfristige Effizienz mag das reichen, langfristig droht visuelle Gleichförmigkeit – der Algorithmus als Verstärker des Mainstreams.

Viertens: Die Messgröße.
Die Forscher nutzten die Click-Through-Rate (CTR) als Leistungsindikator. Das misst Aufmerksamkeit, nicht Wirkung. Ob die höhere Klickrate tatsächlich zu mehr Käufen, besserer Markenwahrnehmung oder höherem Vertrauen führt, wurde nicht untersucht. Wer nur auf CTR schaut, bewertet den Reiz, nicht die Relevanz.

Diese Einschränkungen sind kein Fehler der Studie, sondern ihr Kontext. Sie zeigen: Wer KI in der Kreation sinnvoll einsetzen will, muss sie als Werkzeug für Profis verstehen – nicht als Shortcut für alle. Maschinen senken Eintrittsbarrieren, aber sie erhöhen das Kompetenzgefälle.

Oder zugespitzt gesagt:
KI demokratisiert die Produktion, aber nicht das Denken.

Die Studie aus Oktober 2025 ist mehr als eine Momentaufnahme. Sie ist ein Fingerzeig, wie Marketing in den nächsten Jahren funktionieren wird: datenbasiert, experimentell, hybrid.

KI wird kein Gegner menschlicher Kreativität sein, sondern ihr Katalysator. Sie kann Ideen in Minuten visualisieren, Stile kombinieren, Assoziationen ausweiten. Aber sie braucht Führung – klare Ziele, schlaue Prompts, menschliche Auswahl.

Oder in der Sprache des Marketings:
KI ist die Skalierung der Inspiration – nicht ihr Ersatz.