Brand & Brilliance Mind over Machine: Warum KI Ideen braucht – Interview mit Oliver Klein (cherrypicker)

Mind over Machine: Warum KI Ideen braucht – Interview mit Oliver Klein (cherrypicker)

Künstliche Intelligenz beschleunigt Prozesse, schreibt Texte – und wirbelt dabei die Rollen von Agenturen und Marken gehörig durcheinander. Doch wer liefert heute die wirklich großen Ideen? Im Gespräch mit Oliver Klein, Gründer der Beratungsfirma cherrypicker und langjähriger Pitch-Beobachter, suchen wir Antworten: Wo verschiebt KI Machtverhältnisse, welche Gefahren lauern hinter dem Effizienz-Versprechen – und warum bleibt „Mind over Machine“ mehr als nur ein Buzzword?


1. Business Punk: Oliver, du kennst alle Seiten des Spiels – Agenturen, Kunden, Entscheider. Was beobachtest du: Wie verändert KI aktuell das Kräfteverhältnis zwischen Marke und Agentur?

Oliver: Idealerweise gibt es kein Kräfteverhältnis zwischen Marke und Agentur, sondern ein enges Miteinander. Die Marke bzw. die Marketingabteilung und deren Agenturen sollten und müssen eng zusammenarbeiten, um beste Ergebnisse zu erzielen. AI bzw. KI ist ein relativ neues, aber sehr kraftvolles Instrument, welches an verschiedenen Stellen hilft, deutlich schneller und effizienter wirkungsvolle Marketingmaßnahmen zu entwickeln und umzusetzen. Aber ganz gleich, welche KI-Produkte man dabei einsetzt, KI kann heute noch keine Konzepte oder Ideen liefern. Dafür braucht es auch absehbar immer noch den Menschen.

2. Business Punk: Viele Brands suchen heute nicht mehr die „beste Agentur“, sondern die, die „AI kann“. Ist das der neue Pitch-Bullshit-Bingo?

Oliver: Vielleicht wird heute noch in Deutschland ein wenig Wirbel darum gemacht. Ich war gerade erst in den USA und habe mich dort mit über 20 internationalen Agenturen getroffen. Dort ist AI kein Thema mehr, denn jede Agentur arbeitet mit AI auf dem jeweils aktuellem Stand der technischen Entwicklung. Und eigentlich ist dies auch hier bei uns so. Aber wir reden noch ein wenig mehr darüber. Das wird sich aber schon in den nächsten Wochen und spätestens bis Ende des Jahres ändern. Dann ist es auch hier selbstverständlich.

3. Business Punk: Du hast den Pitchmarkt über Jahre mitgestaltet. Welche Rolle spielt „Machine“ aktuell im Pitchprozess – und wo bleibt der „Mind“?

 Oliver: „Big Ideas“ kommen nicht von der Stange und nicht aus technischen Systemen. Erfolgreiche Kommunikation ist immer Handarbeit, wird immer individuell entwickelt. Und dazu braucht es Menschen mit Mind, Heart und Braveness“. Maschinen können das (noch) nicht. Und daher liegt auch weiterhin die Idee, das Konzept auch immer im Mittelpunkt der meisten Pitches. Da die Marketingwelt aber auch immer komplexer wird, haben viele Kunden aber auch die Herausforderung, diese Komplexität in den Griff zu bekommen. Und daher kann es in einem Pitch auch dazu kommen, dass nach Lösungen für die „Machine“ gefragt wird.

4. Business Punk: cherrypicker steht für objektive Beratung. Was sagst du Kunden, die glauben, sie könnten mit ChatGPT gleich die nächste große Kampagne selbst entwickeln?

Oliver: Ich würde diesen Kunden sagen „Good luck!“ Denn es kann nicht funktionieren. Die Ergebnisse von KI beruhen derzeit auf datenbasierten Wahrscheinlichkeiten. Sie addieren aber nichts dazu, sie sind nicht kreativ. Wenn jemand wirklich eine Kampagne aus ChatGPT nehmen würde, wäre er immer Follower und niemals Leader. 

5. Business Punk: Wird es in Zukunft überhaupt noch „die Agentur“ geben – oder nur noch hybride Ökosysteme aus Freelancern, AI-Tools und Strategen im Hintergrund?

Oliver: Das ist im Augenblick sehr schwer zu sagen. Die aktuellen technischen Entwicklungen sorgen dafür, dass man für die Arbeit von vorher eher weniger Menschen braucht als mehr. Diese müssen aber möglichst kompetent und erfahren sein, damit sie aus der Maschine bessere Resultate bekommen. Das ist schon heute so. Daher werden Agenturen bei gleichem Scope eher kleiner werden bzw. brauchen für ihre Größenordnung oder Wachstum deutlich mehr Aufgaben und Kunden als vorher. Ob diese Menschen fest angestellt sind oder Freelancer hängt von dem Geschäftsmodell und der Zielsetzung ab. Aber AI wird immer mit an Bord sein.

6. Business Punk: Was ist aus deiner Sicht die gefährlichste Entwicklung, wenn Maschinen anfangen, Agenturprozesse zu beeinflussen – für beide Seiten?

Oliver: Es ist nicht die Frage von „wenn“, denn Maschinen beeinflussen bereits heute schon die Agenturprozesse. Und zwar massiv. Tendenz stark steigend. Ich sehe mehrere absehbare Gefahren: Kunden drängen die Agenturen die Vergütungen deutlich zu reduzieren, statt diese sinnvoll anzupassen. Das führt dazu, dass den Agenturen bisherige Wertschöpfungsströme massiv wegbrechen und sie dies nicht ausreichend kompensieren können. Die Folge: Noch mehr Druck auf die Agenturmitarbeiter, höhere Fluktuation und ein starker Drain Brain in Agenturen. Und der Kunde kann nicht mehr einfach auf die nächste Agentur zugehen, weil es alle Agenturen betrifft. Dadurch fehlen dem Kunden wichtige Ressourcen in ihrem individuellen Marketing Ecosystem, verlässliche Partner mit festen Krenteams. Eine ausreichende Verlagerung auf Technologie wird nicht gelingen, sodass Workload und Druck auch in den Marketingabteilungen deutlich zunehmen werden. Das führt dazu, dass das Marketing in der Umsetzungsfalle hängen bleibt. Das Marketing säuft förmlich in den Umsetzungsaufgaben ab mit der Folge, dass noch weniger Zeit für Strategie, Innovation und Differenzierung bleibt.

7. Business Punk: Was bedeutet für dich persönlich „Mind over Machine“ – in einer Branche, die zwischen Wahnsinn, Wandel und Wachstum pendelt?

Oliver: Ich selbst und auch mein Team von cherrypicker sind glücklicherweise in einer sehr komfortablen Situation. Wir haben jetzt schon einen einzigartigen Überblick über den intransparenten und hochdynamischen Agenturmarkt sowie die laufenden Veränderungen im Marketing in vielen Unternehmen. Ganz gleich wie der Markt sich entwickelt, wir beobachten die Entwicklungen und leiten daraus die besten, individuellen Lösungen für unsere Kunden ab. Und natürlich nutzen wir selbst auch „Mind“ und „Machine“ mit den jeweils aktuellen Instrumenten und Techniken. Insofern sehe ich mich mit unserem Geschäftsmodell mehr als bestätigt und blicke sehr positiv in die immer digitaler werdende Zukunft.