Brand & Brilliance Vom Labor zum Logistik‑Roboter – Oliver Scheel über E‑Rezepte, KI und die Apotheke der Zukunft

Vom Labor zum Logistik‑Roboter – Oliver Scheel über E‑Rezepte, KI und die Apotheke der Zukunft

Naturwissenschaftler, Marketing‑Mann, Strategieberater – und heute CEO einer der am schnellsten wachsenden Online‑Apotheken Europas: Dr. Oliver Scheel hat eine Karriere hingelegt, die selten geradlinig, aber immer von Neugier getrieben war. Im Gespräch mit Business Punk erklärt der 54‑Jährige, warum ihn sein Weg vom Sonnenschutz‑Labor bei Beiersdorf bis in die hochautomatisierten Hallen der apo.com Group geführt hat, was das E‑Rezept mit Plattform‑Ökonomie zu tun hat und wieso Regulatorik in Deutschland dringend einen Update‑Modus braucht.

Business Punk: Oliver, dein Tag begann heute mit einem Latte Macchiato im Garten. Wenn du so auf deine inzwischen über 30 jährige Karriere blickst – was hat dich immer wieder angetrieben, neue Wege einzuschlagen?

Oliver: Ganz klar –  Neugier. Ich will verstehen, wie Dinge funktionieren. Ob das früher Photosensitizer für Sonnencremes waren oder heute Robotik in der Logistik. Dazu kommt ein gesunder Ehrgeiz, etwas zu bewegen, das Sinn stiftet – für mich, für die Menschen um mich herum und idealerweise auch für die Gesellschaft.

Business Punk: Du hast in der Forschung begonnen, dann aber schnell ins Marketing gewechselt. Warum der radikale Schritt?

Oliver: In der Entwicklung wurden Projekte Großteils vom Marketing vorgegeben. Irgendwann wollte ich selbst an die Hebel. Bei Beiersdorf war ein Wechsel intern nicht möglich – „Entwicklung bleibt Entwicklung“ –, also klopfte ich bei L’Oréal an. Die Franzosen waren offen für das Experiment, einen Naturwissenschaftler ins Brand‑Management zu holen. Ich startete ganz klassisch im Außendienst, habe Theken geputzt und Distribution aufgebaut. Für mich war das Gold wert: Ich lernte, wie Märkte ticken und Entscheidungen wirklich getroffen werden.

Business Punk: Es folgten elf Jahre Beratung bei Roland Berger. Was hast du dir dort geholt, das dir heute hilft?

Oliver: Den ganzheitlichen Blick. Als Partner durfte ich die Healthcare‑Practice leiten – von Pharma über Medizintechnik bis Krankenhaus. Strategie, Finanzen, Operations: alles auf einem Tisch. Diese Vogelperspektive brauche ich heute täglich, wenn wir unsere Supply‑Chain optimieren oder mit der Politik über das E‑Rezept diskutieren.

Business Punk: 2021 bist du CEO der apo.com Group geworden. Wo steht der Apothekenmarkt gerade?

Oliver: Mitten im Sturm. Das E‑Rezept wird endgültig ausgerollt, Honorare sind seit 25 Jahren nicht angepasst, Filialapotheken schließen, gleichzeitig entstehen digitale Player. Wir haben einen 70‑Milliarden‑Euro‑Markt, aber Online‑Apotheken halten erst rund zwei Prozent davon. Da ist enorme Dynamik – und auch Spannung zwischen Vor‑Ort‑ und Online‑Apothekern, die ich persönlich für kontraproduktiv halte. Am Ende versorgen wir alle Patientinnen und Patienten.

Business Punk: Kritiker sagen: „Online fehlt die Beratung.“ Wie beantwortest du das?

Oliver: Wir bedienen vier große Use Cases: Akutbedarf, planbare Chroniker‑Versorgung, Familienprävention und klassische OTC‑Einkäufe. Für jeden bieten wir passende Services – Videoberatung durch Apotheker:innen, Tele‑Sprechstunden, Wechselwirkungschecker, Chat‑Bots oder ganz einfach eine Hotline. Und weil wir zentral einkaufen, sparen Kund:innen bei OTC‑Produkten im Schnitt 20–35 Prozent.

Business Punk: Wo genau setzt ihr Künstliche Intelligenz ein?

Oliver: Praktisch überall: Machine‑Learning‑Forecasts steuern Bestände, Roboterarme picken in Sekundenschnelle, Chat‑Bots beantworten Standardfragen, und generative KI erstellt Content für tausende Produktseiten. Für eine einzelne Vor‑Ort‑Apotheke wäre das schlicht nicht stemmbar.

Business Punk: Was bremst die digitale Transformation am stärksten?

Oliver Scheel: Überkomplexe Regulatorik – allen voran Datenschutz, der gut gemeint ist, aber Innovation lähmt. Beispiel Elektronische Patientenakte: Sie wird nicht für Online‑Apotheken geöffnet. Oder TIM, der Messenger der Telematikinfrastruktur – technisch sinnvoll, aber der Roll‑out dauert ewig. Wir bräuchten mehr „Build‑Measure‑Learn“ statt Perfektionismus.