Business & Beyond Tritt vor den Arsch: Wie die EU die Fluggastrechte aushöhlen will

Tritt vor den Arsch: Wie die EU die Fluggastrechte aushöhlen will

Derbe Verspätungen sollen bald keine Konsequenzen mehr für die Flugunternehmen  haben. Die nehmen seit 21 Jahren, also seitdem es die passende EU-Rechtsprechung dazu gibt bis heute viel Geld in die Hand, um ihre Kunden per Entschädigung gnädig zu stimmen. Dieses EU-Recht soll nun weg. Wie das? Wir sprachen dazu mit Dr. Jan-Frederik Arnold. Er ist der Big Boss der Firma Flightright.Interview Matthias Lauerer.

Hallo Herr Dr. Arnold, man hört von sehr ungewöhnlichen Dingen aus Brüssel. Was hat es damit auf sich?

Ja, was sich dort gerade abspielt, ist hochbrisant: Die EU plant eine Reform der Fluggastrechte, die massive Folgen für Passagiere hätte. Künftig sollen Flüge um bis zu zwölf Stunden verspätet starten dürfen, ohne dass die Airlines den Fluggästen Entschädigung zahlen müssen. Bisher liegt die Grenze bei drei Stunden. Es wäre ein echter Kniefall vor der Airline-Lobby und ein massiver Rückbau europäischer Verbraucherrechte – vorbereitet hinter verschlossenen Türen. Und es wird noch absurder: Streiks im eigenen Unternehmen, Technikprobleme, kranke Crew? Das könnte jetzt als ´höhere Gewalt´ eingestuft werden. Das bedeutet, dass Airlines nicht einmal dann zahlen müssen, wenn sie selbst Verspätungen verschulden! Aus meiner Sicht wäre das ein gefährlicher Präzedenzfall: Wenn wir zulassen, dass Fluggastrechte so leise beschnitten werden, können andere Schutzmechanismen für Verbraucher als Nächstes fallen.

Haben wir gerade keine anderen Probleme, um die sich die Brüsselaner kümmern sollten?

Klar, aber genau deshalb droht hier Gefahr – weil die Aufmerksamkeit gerade woanders liegt. Klima, Krieg, Inflation – alles wichtige Themen. Und genau in diesem Schatten versucht man still und leise, die Fluggastrechte zu schwächen. Denn mal ganz ehrlich: Wenn die EU lieber Airlines schützt als ihre Bürger – für wen macht sie dann eigentlich Politik? Diese Reform darf nicht still und leise Realität werden. Noch ist Zeit – aber sie läuft. Jetzt müssen wir zeigen, dass wir unsere Rechte ernst nehmen. Es geht um Fairness, um Verantwortung – und letztlich um die Glaubwürdigkeit Europas.

Weshalb kocht das Thema denn gerade jetzt hoch? Und ist niemandem, also meinen geschätzten Kollegen und Kolleginnen aufgefallen, was dort gerade passiert?

Die FAZ, ZEIT, BILD und andere haben darüber berichtet. Aber es zeigt, wie schnell weitreichende Entscheidungen durchgedrückt werden können, wenn die Aufmerksamkeit fehlt – gerade in politisch aufgeheizten Zeiten. Denn ursprünglich stammt der Reformvorschlag aus dem Jahr 2013 – wurde aber nie verabschiedet. Jetzt wird er plötzlich von der polnischen Ratspräsidentschaft wiederbelebt und im Eiltempo vorangetrieben. Viele EU-Abgeordnete waren überrascht – einige haben erst durch Medienberichte davon erfahren. Da sogar versucht wird, Mitspracherechte vom europäischen Parlament zu umgehen, regt sich nun wenigsten öffentlicher Widerstand.

Das wäre ja ein ungeheuerlicher Vorgang. Denn wer hat in den vergangenen 21 Jahren nicht von den generösen Rechten der Passagiere in Europa profitiert. Steigt hier Ihr Puls? 

Absolut. 21 Jahre lang war Europa Vorreiter beim Schutz von Flugreisenden. Dutzende Male sind wir für die Reisende vor den Europäischen Gerichtshof gegangen, um juristische Fragen zu klären, Rechte zu stärken. Millionen Menschen in Europa verlassen sich bisher auf diese Rechte. Etwa 85 Prozent der aktuellen Entschädigungsansprüche würden wegfallen, wenn die Revision umgesetzt wird. Das ist ein Frontalangriff auf Verbraucherrechte. Und das Ganze könnte schon am 5. Juni in erster Instanz vom europäischen Rat durchgewunken werden. Das ist ein Lobby-Coup, der die Fluggastrechte in die Steinzeit zurück katapultiert.

Was würde das für Ihre Firma bedeuten?

Natürlich hätte die Revision Auswirkungen auf uns – aber das ist für mich nicht der Punkt. Wir haben nie einfach nur Entschädigungen durchgesetzt. Unser Ziel war immer, Fairness im Luftverkehr herzustellen. Wenn Menschen durch Airline-Fehler stundenlang stranden, dann müssen sie darauf vertrauen können, dass ihnen geholfen wird. Diese geplante Reform steht für das Gegenteil: Sie hebelt das Prinzip der Verantwortung aus. Seit 15 Jahren setzen wir uns für die Stärkung der Rechte von Passagieren ein – und was da geplant ist, wäre ein Affront gegen alles, wofür wir einstehen. Und ja, wir werden weiterhin für die Rechte von Reisenden kämpfen. Jede Änderung der Verordnung wird eine Vielzahl von neuen Detailfragen ergeben, die am Ende der europäische Gerichtshof entscheidet. Die größte Herausforderung bleibt, dass die Airlines sich häufig nicht an das geltende Recht halten und die gesetzlichen Leistungen nicht erbringen.

Wie hoch stehen die Chancen, dass das alles tatsächlich so kommt? 

Ehrlich gesagt: leider sehr hoch. Wenn sich am fünften Juni im EU-Rat eine Mehrheit für den Entwurf findet – was nach jetzigem Stand wahrscheinlich ist –, bleibt dem Parlament nur ein sehr kurzes Zeitfenster von drei bis vier Monaten, um gegenzusteuern. Und das ist schwierig, denn es bräuchte eine absolute Mehrheit, um substanzielle Änderungen einzubringen. Die Erfahrung zeigt: Solche Mehrheiten sind in der EU-Politik selten – vor allem, wenn die Themen komplex, technisch und wenig medienwirksam sind. Deshalb ist es jetzt so wichtig, laut zu werden: Die Verkehrsminister können jetzt handeln! Wir fordern den deutschen und alle anderen europäische Minister auf, auf eine weitere, ausführliche Diskussion zu drängen!

Was kann ich als Bürger nun dagegen tun? Muss ich meinen EU-Abgeordneten anrufen und Alarm machen? Oder doch lieber gleich mal eben massive Demonstrationen vor jeder polnischen Botschaft starten? Oder haben Sie eine andere Idee? 

Nein, man muss nicht gleich mit dem Megafon nach Brüssel reisen oder vor der polnischen Botschaft campieren – aber jeder kann ein starkes Zeichen setzen. Europaabgeordnete anzuschreiben, ist schon einmal eine super Idee! Teilen Sie Informationen in den Sozialen Medien, sprechen Sie mit anderen darüber. Je mehr Öffentlichkeit, desto größer die Chance, dass das Parlament eingreift.
Außerdem gibt es eine Petition, die wir zusammen mit der APRA (Association of Passenger Rights Advocates) initiiert haben. Jede Stimme hilft, den politischen Entscheidungsträgern klarzumachen: Die Menschen in Europa wollen diese Rechte nicht kampflos aufgeben.