Prof. Dr. David Matusiewicz
„Der Ruhrpott ist der Maschinenraum für unsere digitale Zukunft.“
„Der Ruhrpott ist der Maschinenraum für unsere digitale Zukunft.“

Prof. Dr. David Matusiewicz

Dekan und Institutsdirektor, FOM Hochschule I Stimme der Digitalen Medizin  
Pottografie

David Matusiewicz ist Professor für Medizinmanagement an der FOM Hochschule und Dekan für Gesundheit & Soziales. Er leitet das Forschungsinstitut ifgs und ist Mitgründer des CIBE Center for Innovation, Business Development & Entrepreneurship. Als Business Angel investiert er mit seiner DXM Group (Family Office) in technologiegetriebene Startups. Matusiewicz zählt zu den bekanntesten Stimmen der Digitalen Gesundheit in Deutschland – als Keynote Speaker, Moderator, Herausgeber, Kolumnist und Spiegel Bestseller Autor. Er ist TEDx Speaker und LinkedIn TopVoice. Er wohnt seit seinem dritten Lebensjahr in Oer-Erkenschwick und bleibt da.
Interview mit Business Punk Chefredakteur Oliver Stock: [Oliver Stock]: Sag mal, David, was machst du eigentlich beruflich? [David Matusiewicz]: Ich bin Dekan und Institutsdirektor bei einer der größten Hochschulen in Europa, der FOM Hochschule, mit Sitz hier in Essen und leite den Bereich Gesundheit und Soziales. Ich bin zudem seit vielen Jahren Unternehmer im Bereich Digital Health bzw. digitale Gesundheit. [Oliver Stock]: Das heißt, du bist auf der einen Seite Professor, machst Lehrveranstaltungen, und auf der
anderen Seite Unternehmer. Wie geht das denn zusammen?
[David Matusiewicz]: Einerseits genieße ich die Sicherheit eines Angestelltenverhältnisses, andererseits liebe ich die Freiheit und Kreativität unternehmerischer Betätigung. Ich bin sozusagen seit jeher hauptberuflich Angestellter und gleichzeitig Teilzeit-Selbstständiger bzw. Freiberufler und schätze dieses Dasein in beiden Welten. [Oliver Stock]: Und deine Studenten profitieren oder leiden darunter? [David Matusiewicz]: Ich denke, sie profitieren, weil sie die Praxis ja auch mitbekommen. Ich kann ihnen in der Vorlesung etwas über Marketingtheorie erzählen und gleichzeitig aus der Praxis am Beispiel von digitalen Innovationen und selbst gegründeten Startups berichten. Dieser Wissenstransfer aus der Praxis in die Theorie ist ein Konzeptmerkmal bei uns. [Oliver Stock]: Ist das aus deiner Sicht etwas, was ansonsten zu kurz kommt? In der Lehre, in der Forschung, an den Unis? [David Matusiewicz]: Ich glaube, wir haben in Deutschland oft das Problem, dass dieser Wissenstransfer – man nennt das auch Translation – zwischen Forschung und Praxis nicht funktioniert.
Wir haben ein Patentamt, in dem tausende Patente liegen. Aber wenn daraus niemand ein Geschäftsmodell entwickelt und damit Geld verdient, sind das erst einmal geduldige Papiere. [Oliver Stock]: David, bist du eigentlich ein Kind aus dem Pott oder kommst du woanders her? [David Matusiewicz]: Ich komme aus Katowice in Polen. Das ist quasi der polnische Pott – auch eine Bergbauregion. [Oliver Stock]: Ja, der andere Pott. [David Matusiewicz]: Ich bin mit drei Jahren nach NRW gezogen. Witzigerweise habe ich direkt unter der Oma von Leonardo DiCaprio 30 Jahre lang gewohnt – bei uns im Hochhausviertel. So bin ich im nördlichen Ruhrgebiet in Oer-Erkenschwick bei Recklinghausen aufgewachsen und wohne noch heute dort. Allerdings nicht mehr in dem Haus, sondern in der Nähe. [Oliver Stock]: Bist du Teil der Generation, deren Eltern damals hierhergekommen sind, um zu arbeiten? [David Matusiewicz]: Und der Generation, deren Eltern wieder in die alte Heimat zurückgegangen sind. Das gibt jetzt auch wieder eine Gegenbewegung, weil es in Polen wirtschaftlich wieder aufwärtsgegangen ist und viele an ihre Wurzeln zurückgekehrt sind. Meine Brüder und ich sind allerdings hier geblieben. [Oliver Stock]: Hast du jemals überlegt, hier wegzugehen? [David Matusiewicz]: Nein, da ich von hier aus überall hinkomme. Es gibt Tage, an denen ich zu meinem Zahnarzt am Tegernsee fahre und am gleichen Tag wieder zurück bin. Das ist ein bisschen stressig, aber es geht. Deswegen ist es für mich egal, wo ich in diesem Land wohne. Ich wohne gerne im Ruhrgebiet, weil es hier landschaftlich grün ist, viele unterschiedliche Menschen hier zusammen wohnen und es mir gefällt. Das ist hier mit 53 Städten eine Art „Meltingpot“ – deshalb heißt die Serie hier ja auch so. [Oliver Stock]: Wenn du überlegst, wofür steht der Pott? Vielleicht zunächst mal wirtschaftlich. Wie würdest du diesen Standort bezeichnen? [David Matusiewicz]: Zunächst einmal ist das ein Standort, der sehr stark von der Industrie geprägt ist. In der Nähe befinden sich Thyssenkrupp, Aldi, Deichmann und viele weitere kleine und große Unternehmen. Wir befinden uns in einer Transformationsphase von der alten Bergbau- und Industriekultur mit Schwermetallen hin zu E-Commerce und Startup-Inkubatoren. Hier studieren viele junge Menschen, die die Zukunft von morgen mitgestalten. Das heißt, wir haben viel „Brain Capital”, also geistiges Kapital, und befinden uns in einer spannenden Phase der Transformation zu einer Dienstleistungsgesellschaft, die mit neuen exponentiellen Technologien arbeitet. Der Standortvorteil hier ist, dass es viele Kunden gibt. [Oliver Stock]: Du beschreibst den Strukturwandel, den es hier gegeben hat und noch gibt, weg von der
Montanindustrie hin zu neuen Geschäftsfeldern. Wenn du mal auf einer Skala von 1 bis 10 sagen müsstest, wie weit
ist dieser Strukturwandel gediehen? Wo stehen wir da?
[David Matusiewicz]: Ich würde sagen, wir sind bei einer 5, weil genauso viel hinter uns liegt wie vor uns. Wir haben jetzt viele Weichen gestellt. Ich kenne sehr viele Startups, Scaleups und Unternehmensgründungen aus der Region. Das heißt, wir haben uns schon auf den Weg gemacht, blicken aber erst auf einen Berg, vielleicht einen Kohleberg, eine Halde, so etwas gibt es ja hier öfter im Ruhrgebiet. Auf dieser Halde gibt es viele Stationen, die wir erst noch erklimmen müssen. Das heißt, wir werden hier in Zukunft exponentielle Technologien wie KI und Robotik nutzen und es werden völlig neue Berufe entstehen. Jetzt geht es darum, den Schwung mitzunehmen und wirklich auch wirtschaftlich erfolgreich zu werden. Das sind die nächsten fünf Jahre. [Oliver Stock]: Dieser Strukturwandel hat ja eingesetzt mit dem Ende der Kohleindustrie hier. Wie lange wird der Wandel dauern? [David Matusiewicz]: Ich glaube, der Unterschied zu früher ist, dass es jetzt viel schneller und exponentieller geht. Das Ruhrgebiet wird sich in den nächsten 10 Jahren stärker verändern als in den letzten 50 Jahren, weil jetzt durch die vorhandenen Technologien und den Wandel einfach Geschwindigkeit aufgenommen wird. Und diese Veränderung merke ich überall, wenn ich im Ruhrgebiet unterwegs bin: zwischen Kiosk, Uni bis hin zu Unternehmensstandorten. [Oliver Stock]: Glaubst du, dass von diesem Strukturwandel, den wir hier im Ruhrgebiet erleben und begleiten und vorantreiben, andere Regionen was lernen können? [David Matusiewicz]: Ja, ich glaube, das Ruhrgebiet hat seine eigene DNA, genau wie der Raum München oder Berlin. Hier ist der Zusammenhalt der Menschen ziemlich stark. Hier herrscht ein gewisser Pragmatismus, man hilft sich gegenseitig, setzt
Dinge einfach um und redet nicht lange darüber. Und ich glaube, das ist auch für die Kultur typisch. Man muss sich nur das Bergmannslied anhören. Kürzlich fand hier in der Philharmonie in Essen ein Konzert von Herbert Grönemeyer statt. Wenn man das miterlebt, dann merkt man einerseits die Herzlichkeit der Menschen und andererseits ihre Tatkraft.
[Oliver Stock]: Das Steigerlied. [David Matusiewicz]: Genau. Bei unserem Big Bang Festival im Colosseum in Essen hatten wir den ganzen Ruhrkohle-Chor da. Ich kriege bei diesem Lied Gänsehaut, obwohl ich selbst nie im Bergbau gearbeitet habe, aber meine Großeltern und andere Familienmitglieder. Das ist der Ruhrpott-Vibe, der bis heute nachklingt. [Oliver Stock]: Wenn du dir überlegst, wer steht eigentlich für das Ruhrgebiet, fällt dir eine Persönlichkeit ein, von
der du sagen würdest, ja, das ist eine Art Aushängeschild?
[David Matusiewicz]: Hier sind es natürlich die Persönlichkeiten der Familie Krupp, die sinnbildlich für die Industriellen stehen. Dann ist da der Musiker Herbert Grönemeyer, den ich persönlich auf der Geburtstagsfeier seines Bruders Dietrich in Recklinghausen treffen durfte. Und dann sind da noch Unternehmerpersönlichkeiten wie die Familie Aldi. Ich habe Babette Albrecht zuletzt bei einer Buchveröffentlichung von mir bei FUNKE getroffen. Vor ein paar Tagen habe ich mir die neue Aldi-Zentrale in Essen angeschaut und mir einen interessanten Vortrag über frugale Innovationen dort angehört. [Oliver Stock]: Wenn jemand aus München, aus Hamburg, aus Berlin kommt und sagt: Ja klar, euch gibt es auch
noch. Was zeigst du so jemanden vom Ruhrgebiet?
[David Matusiewicz]: Dann müssen wir einfach mal abends hier im Bermudadreieck in Bochum weggehen und bei Denninghaus
eine Currywurst essen. Ich glaube, die meisten verbinden das Ruhrgebiet noch mit rauchenden Schornsteinen und irgendwie
damit, mit einem weißen Auto reinzufahren und mit einem schwarzgerußten Auto wieder rauszufahren. Ich glaube, man muss, egal wo man auf der Welt ist, einfach selbst dabei gewesen sein. Einfach bei mir melden – sollte einer Interesse haben. [Oliver Stock]: David, wenn du die Augen schließt und dich an einen Sehnsuchtsort im Ruhrgebiet hinbeamen würdest.
Wo würdest du landen? [David Matusiewicz]: Ich bin zum Beispiel einmal im Jahr vom Bürgermeister Dudda zu einem Wirtschaftsempfang auf der
Herne Cranger Kirmes eingeladen. Wenn man einfach so durch die Menschenmassen läuft und all die Menschen, Familien und
Kinder sieht, dann spürt man den Pott am besten in all seinen Facetten. Das ist das Ruhrgebiet, das ist der Querschnitt über alle Berufe. [Oliver Stock]: Noch so ein Ort ist das Fußballstadion, wovon es hier mehrere gibt. Und bei Vereinen fällt
natürlich jedem direkt Schalke ein. David, was ist los mit Schalke?
[David Matusiewicz]: Was da los ist, weiß ich auch nicht. Ich weiß nur, dass es eine besondere Stimmung im Stadion ist, wenn
ich mit 60.000 Leuten dort bin und sehe, wie die Fahnen geschwungen werden. Und darum geht es mir – weniger um
Tabellenplätze. Solange die Stimmung gut ist, geht es dem Ruhrgebiet noch gut. [Oliver Stock]: In diesem Sinne Glück auf!
[David Matusiewicz]: Glück auf!
„Das größte Potenzial des Ruhrgebiets besteht darin, die Chancen der Digitalisierung konsequent zu nutzen – mit und für die Menschen hier.“