Tech & Trends Beyond the Search Bar: Sichtbarkeit in der KI‑Ära

Beyond the Search Bar: Sichtbarkeit in der KI‑Ära

Gastartikel: Felix Marcinowski

Wir erleben einen stillen, aber tiefgreifenden Paradigmenwechsel: Weg von Suchmaschinen, hin zu Antwortmaschinen. Wenn Kund:innen heute ChatGPT, Gemini oder Claude fragen „Welches Fahrradlicht ist empfehlenswert?“, entscheidet keine Ergebnisliste mehr, sondern ein Sprachmodell, welche Marken, Produkte und Quellen in seiner Antwort auftauchen. Entweder Unternehmen sind Teil dieser Antwort – oder sie werden nach und nach unsichtbar. LLM‑Visibility bezeichnet genau diese neue Form der digitalen Sichtbarkeit: die Präsenz von Brands, Inhalten und Personen in generativen Antworten von Large Language Models (LLMs).

Was LLM‑Visibility wirklich bedeutet

Klassisches SEO optimiert für Ranking‑Positionen in Suchergebnissen. LLM‑Visibility darauf ab, in Antworten aufzutauchen. Das ist mehr als „SEO+“: LLMs aggregieren Trainingsdaten, Live‑Signale und Third‑Party‑Kontexte; sie berücksichtigen nicht nur Websites, sondern auch Social‑Media-Konversationen, Reviews, Forenbeiträge, Video‑Kommentare und sogenannte strukturierte Entitäten (eine klar definierte, semantisch erkennbare Informationseinheit – etwa eine Person, Marke, ein Produkt oder ein Thema – die von Suchmaschinen oder KI-Modellen als eigenständiges Objekt verstanden und miteinander verknüpft werden kann). Kurz: Die Maschine liest das gesamte Netz – und priorisiert glaubhafte, konsistente, kontextreiche Inhalte.

»Pointiert gesagt: LLMs belohnen channel-übergreifende, faktengetriebene Kommunikation und ignorieren Fluff.«

Vom Upper Funnel zum Umsatz: Warum das jetzt schon zählt

Heute wirken LLMs besonders stark im Upper Funnel: Sie sind oft der erste Touchpoint – und damit ein Brand‑Building‑Booster. In Projekten sehen wir weniger direkte Klicks auf Websites, aber mehr implizite Präsenz: Eine Nennung in der KI‑Antwort funktioniert wie eine autoritative Empfehlung. Marken, die dort fehlen, müssen steigende Akquisitionskosten kompensieren. Unternehmen, die bislang rein performancegetrieben agierten und wenig „Digital Legacy“ aufgebaut haben, spüren das zuerst. Umgekehrt profitieren Brands mit starker Marke, sauberer Narrativführung und lebendigen Third‑Party‑Signalen.

Drei Mechanismen, die LLM‑Sichtbarkeit treiben

1) Präsenz in Trainingsdaten

LLMs lernen aus gigantischen Korpora. Wer in relevanten, hochwertigen Quellen häufig und konsistent vorkommt, hat einen Startvorteil. Falsche oder veraltete Inhalte wirken dagegen toxisch: Alte YouTube‑Videos mit negativen Kommentaren können bspw. ein heutiges, verbessertes Angebot überlagern und ein falsches Bild der Realität zeichnen.

2) Retrieval‑Omnipräsenz

Fehlendes oder neues Wissen wird via Live‑Suche („Retrieval“) ergänzt. Hier gilt ein „Winner‑takes‑all“‑Prinzip: Nur wer aktuell sichtbar und vertrauenswürdig ist, kommt als Quelle in Frage. Third‑Party‑Inhalte – Presse, Fachmedien, Foren, Reviews – verstärken die Chance, in Antworten genannt zu werden.

3) Semantik und Struktur statt Keywords

Entity‑basiertes Schreiben ersetzt Keyword‑Listen. LLMs verknüpfen Personen, Produkte, Kategorien und Belege. Das erweiterte E‑E‑A‑T‑Prinzip (Experience, Expertise, Authoritativeness, Trust) wirkt über die eigene Website hinaus: Konsistenz zwischen Owned‑ und Earned‑Kanälen entscheidet.

»Neue Grundregel: Belegen, nicht behaupten. Zahlen, Studien, Cases – sauber belegt und konsistent über alle Kanäle.«

Was sich im Channel‑Mix ändert

SEO bleibt wichtig – als eigener Kanal und als Zubringer für LLM‑Signale –, aber das Spielfeld der Sichtbarkeit wird größer: Organic Social, User Generated Content (UGC) und Reviews gewinnen an Gewicht. Gleichzeitig zählt technische Zugänglichkeit: LLM‑Crawler verhalten sich anders als Google. In technischen Analysen sehen wir, dass schwach verlinkte, dynamische oder restriktiv konfigurierte Website-Bereiche für ChatGPT & Co. de‑facto unsichtbar sein können. Neu gedachte Technik‑Hygiene ist damit unmittelbare Sichtbarkeitsarbeit.

Branchenbild: Nicht wer, sondern wie

Die Frage kommt auf, ob bestimmte Branchen von LLMs „natürlich“ bevorzugt oder benachteiligt sind. Tatsächlich lässt sich kein inhärenter Branchenvorteil oder -nachteil feststellen. Unterschiede entstehen vielmehr aus Go‑to‑Market‑Mustern: Consumer‑Brands mit starkem historischen Brand‑Building haben die Nase heute vorn; performancegetriebene Anbieter ohne Earned Content müssen aufholen. In regulierten Branchen (z. B. Healthcare) gewichten LLMs häufig Institutionen stärker – Third‑Party‑Autoritäten sind dort Pflichtprogramm.

Gesellschaftliche Dimension: Drei Hausaufgaben

LLMs verändern nicht nur Marketing und Markenführung – sie verändern auch, wie wir als Gesellschaft Informationen wahrnehmen, bewerten und weitergeben. Wenn Sprachmodelle zu den neuen Gatekeepern von Wissen werden, geht es längst nicht mehr nur um Sichtbarkeit, sondern um Verantwortung: Welche Inhalte trainieren die Modelle, wie transparent sind ihre Antworten, und wie befähigt sind Nutzer:innen, sie kritisch einzuordnen? Daraus ergeben sich drei zentrale Hausaufgaben.

  1. Transparenz

Quellenangaben werden besser, aber zu selten genutzt. Wir brauchen Systeme, die Belege nachvollziehbar ausweisen – und Nutzer:innen, die sie auch prüfen.

  1. Pluralität

Wenn wenige Modelle Inhalte kuratieren, droht Mainstream‑Bias. Trainingsdaten müssen divers sein; Nischenperspektiven dürfen nicht verschwinden.

  1. Medienkompetenz

In einer KI‑kuratieren Informationswelt wird Quellenkritik zur Bürger:innenpflicht. Bildungssysteme, Unternehmen und Medien sollten praktische KI‑Urteilsfähigkeit fördern.

Fazit: Von Sichtbarkeit zu Verlässlichkeit

LLM‑Visibility ist kein Hype‑Label, sondern das nächste Wettbewerbsfeld. Wer jetzt faktenstark kommuniziert, Third‑Party‑Signale orchestriert und Technik‑Hürden beseitigt, gewinnt den Platz in Antworten – und damit Aufmerksamkeit, Vertrauen und am Ende Umsatz. Für Unternehmen kommt es darauf an, ihre Value Proposition in konsistente, belastbare Inhalte zu übersetzen, um Sichtbarkeit in LLMs zu gewinnen – das ist die Währung der KI‑Ära.

Felix Marcinowski leitet die Digital Marketing Practice von OMMAX, einer führenden digitalen Strategieberatung mit einem Track Record von über 2,000 Projekten weltweit. Sein Team treibt digitale Engagement Strategien und digitale Go-to-Market Umsetzungvia LLMs, Search, Social Media und Marketplaces. Felix ist ein Vordenker im Bereich KI-gesteuerter Wertschöpfungslösungen und bringt seine Expertise in Due-Diligence-, Strategie- und Umsetzungsprojekten ein.