Brand & Brilliance Glitzer, Gifs & Gefälligkeiten: Warum Creator-Awards eher nach Selfie-Gipfel als nach Leistungsschau riechen

Glitzer, Gifs & Gefälligkeiten: Warum Creator-Awards eher nach Selfie-Gipfel als nach Leistungsschau riechen

Ein Abend, der aussehen will wie Cannes – und sich am Ende doch mehr nach Klassenfahrt im Creator-Trainingslager anfühlt: Willkommen bei den 9:16 Awards, wo es weniger um Haltung geht als um Haltungsnoten. Wo der rote Teppich zu einer Content-Rampe wird und Auszeichnungen in etwa so überraschend kommen wie der nächste Story-Post mit Rabattcode.

TikTok statt Tiefgang

„Die Oscars des Hochformats“ – so nennt sich der Event selbst. Klingt groß. Ist es auch. Vor allem, wenn man auf der Bühne steht, um sich gegenseitig dafür zu feiern, dass man mit CapCut umgehen kann. Der eigentliche Wettbewerb? Wer die bessere Caption schreibt. Oder die loyalere Bubble aktiviert.

Natürlich geht’s auch um „Community“, um „Stimmen aus dem Netz“, um „neue Formen der Anerkennung“. Und klar: Auch das hat Berechtigung. Nur wenn jede Kategorie klingt wie ein LinkedIn-Award (Most Relatable Vibes in 60fps), fragt man sich irgendwann: Wird hier Relevanz prämiert – oder Reichweite recycelt?

Preise wie Popcorn

Die Kategorie „Unbequem, aber ehrlich“ wird von Jeremy Fragrance überreicht. Ironie? Kalkül? Egal – es knallt. Und das reicht oft schon. Denn Reibung ist Reichweite und Kontroverse ist Conversion. Irgendwo in der Jury hat wahrscheinlich noch jemand „mehr Engagement durch Polarisierung“ auf die Flipchart geschrieben.

Backstage läuft derweil das Management-Spiel. Wer mit wem, wer für wen – und wessen Story morgen im Recap erwähnt wird. Klingt übertrieben? Vielleicht. Aber auch verständlich, wenn in einer Branche das größte Kapital Sichtbarkeit ist – und Pokale eben auch eine Form von Placement.

Alicia Joe: Klartext statt Klickjagd

Und dann gibt es sie doch. Die Stimmen, die nicht nur senden, sondern sagen. Alicia Joe, 1996 geboren, studiert Kommunikationswissenschaften – und nutzt ihren Kanal für alles, was eben nicht bequem durch den Feed rauscht. Statt Lip Sync gibt’s Langform. Statt Kollab-Kosmetik: kritische Kulturkritik.

Ihr virales Video zur Award-Industrie? Mehr Analyse als Attacke. Mehr Haltung als Hype. Und ein Reminder daran, dass man auch im digitalen Dauerrauschen noch Zwischentöne treffen kann – ohne Bühnenlicht, aber mit Substanz.

Und nun?

Vielleicht ist es Zeit für eine neue Währung. Eine, in der Anerkennung nicht nur sichtbar, sondern wirksam ist. Eine, in der es nicht reicht, laut zu sein – sondern ehrlich. Vielleicht bleibt von diesem Abend nicht nur ein Gänsehautfilter zurück, sondern eine Frage: Müssen wir uns wirklich für alles gegenseitig auszeichnen – oder reicht manchmal auch ein stilles „Danke für deinen Beitrag“?

Bis dahin: Weiter streamen. Aber gern mit einem zweiten Blick.