Tech & Trends Mission 2044: Zwischen Filterkaffee und Panzerstahl, Streuselkuchen und Zeitenwende.

Mission 2044: Zwischen Filterkaffee und Panzerstahl, Streuselkuchen und Zeitenwende.

Oder wie ich es sehe:
Die Angst vor dem falschen Gegner.

Das exklusive Defense-Forum „Mission 2044“ versprach Zukunft im XXL-Format. Der Name klingt nach Raumstation, ist aber ein Verteidigungsforum mit dem Ziel der Vernetzung unterschiedlichster Akteure. Das Forum wurde von Dr. Markus Federle, Founder und Managing Partner von Tholus Capital, ins Leben gerufen. 2044 steht dabei nicht für ein fernes Zukunftsversprechen, sondern für ein Investitionsmodell: 20 % in bestehende Technik, 80 % in neue Technologien. Zukunft nicht als Horizont, sondern als Auftragsstruktur. Vom Gefühl her für viele mehr Rocket Science als bodenständige nordrhein-westfälische Kultur. 

Und dann stand ich montags auf Einladung der Staatskanzlei NRW im Industrie Club Düsseldorf, zwischen Porzellan und Parkett. Ich kam rein, schaute rüber zu einem mit müdem Blick dasitzenden Joschka Fischer, Bundesminister a.D., der in Ruhe seinen Kaffee trank, und merkte: Die Zukunft roch nach Filterkaffee und Verantwortung. Wehrhaftigkeit ohne Pathos, dafür mit Garderobenmarke. Circa 150 Unternehmerinnen und Unternehmer waren vor Ort, von Rheinmetall über Leonardo, Startups und bis hin zum sauerländischen Familienbetrieb.

Nathanael Liminski, Chef der Staatskanzlei Nordrhein-Westfalen, eröffnete knapp, fast leise, und traf doch die Magengrube: „Stunde der Raubtiere.“ Kein Alarmismus, eher ein kaltes Wachwerden. Das Wort „Zeitenwende“ wirkte plötzlich nicht mehr wie ein Regierungs-Hashtag, sondern wie eine Lieferfrist. Im Saal saßen Leute, die liefern konnten. Aber draußen wartet eine Welt, die nicht auf deutsche Prozesse wartet. 

Die erste ehrliche Linie des Nachmittags kam nicht von einer Bühne, sondern aus dem Publikum. Ein Gründer eines Drohnen-Startups aus Mülheim an der Ruhr sagte trocken: „Die ganze NATO bestellt bei uns, nur die Bundeswehr nicht.“ Der Raum nickte. Alle wussten, was gemeint war. Wir sind nicht zu arm, nicht zu doof, nur zu vorsichtig, zu strukturiert, zu langsam. Die technologischen Möglichkeiten und das Können der Firmen scheinen unendlich. Unsere politischen Beschaffungsprozesse aber nicht. Sie sind einfach nicht krisenfest.

Industrieller Mittelstand trifft auf Verteidigungsindustrie: Kollisionskurs oder Koalition? 

Nach Liminskis Auftakt wurde es konkreter. Resilienz, Finanzierung, Technologie, Zusammenarbeit, die vier Achsen zogen sich durch Keynotes und Panels. Doch wer genau hinhörte, merkte schnell: Hier trafen zwei Welten aufeinander, die sich bisher meist aus sicherer Distanz beäugt hatten. Auf der einen Seite: die klassische Defense-Industrie, strukturstark, staatlich eingebettet, langzyklisch. Auf der anderen Seite: der industrielle Mittelstand, innovationsgetrieben, marktnah, wachstumsbereit, aber prozessmüde.

Der moderierte Austausch auf der Bühne wirkte auf den ersten Blick harmonisch. Man kannte sich, nickte sich zu, saß gemeinsam auf Panels. Doch die Spannungen darunter waren spürbar. Die Defense-Welt lobte das reformierte BAAINBw, sprach von neuem Verfahrenstempo, von Rückenwind aus Berlin. Der Mittelstand hingegen stand vor denselben Formularen, denselben Regularien und verlor in ihnen Zeit, Geld und Energie. Der wirtschaftliche Druck war spürbar, selbst im Raucherbereich des Industrie-Clubs. Die Hoffnung, vom Sondervermögen der Bundeswehr zu profitieren, kollidierte mit den Hürden der Realität. Während Ulrich Grillo, Aufsichtsratsvorsitzender der Rheinmetall AG, über neue Werke sprach, fragte sich der Maschinenbauer aus Ostwestfalen, ob sein Angebot für 2.000 Komponenten je Stück oder je Vertrag geprüft werde. 

Zwei Bubbles, die sich in Düsseldorf berührten, und vielleicht zum ersten Mal wirklich durchdringen mussten. Denn es ging nicht nur um Kooperation, sondern um die Integration zweier wirtschaftlicher Denksysteme in eine sicherheitspolitische Realität, die keine Geduld mit Excel-Logik hatte. NRW gibt sich nicht als Kulisse, sondern als Knotenpunkt. Der Staat schafft Rahmenbedingungen, die Industrie muss liefern. So zumindest die Idee. 

Die Industrie drückt aufs Gas, doch das System bleibt auf der Bremse 

Auf dem Panel „Zusammenarbeit“ schob Timotheus Höttges, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Telekom, die Folien beiseite und brachte Zahlen auf den Tisch. Zehn Jahre Debatte über sichere 5G-Netze, während die Praxis übers offene Internet funkte, sein Fazit: Reden allein helfe nicht. „Wir werden nächste Woche ankündigen: Wir nehmen noch in diesem Jahr in Deutschland weitere 10.000 GPUs in Betrieb. Wir warten nicht auf irgendeine sogenannte ‚Gigafactory‘. Ab 2026 stehen diese Kapazitäten der deutschen Industrie als Cloud Ressourcen zur Verfügung, sofort nutzbar, ohne lange Vorlaufzeiten. Und zugleich etablieren wir einen Defense Fonds: Die Deutsche Telekom stellt dafür 500 Millionen Euro bereit.”, kündigte Höttges an. 

Ulrich Grillo konterte mit Produktionsrealität. 19.000 Zulieferer hingen am System. Bestellmengen stiegen, aber Leistung brauchte Takt: qualifizieren, skalieren, liefern. Es fehlte nicht an Geld, sondern an Verfahren, die nicht am Formular scheiterten.

Wenn die Formulare des Beschaffungsamtes schneller wachsen als der Fortschritt 

Carlo Masala, Professor für Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr München, brachte es auf den Punkt: „Wir brauchen ein Beschaffungswesen, das mehr Angst vor den Russen hat als vor dem Rechnungshof.“ Man kann das für polemisch halten, oder für den entscheidenden Satz. 

Überhaupt zog sich beim Thema Beschaffung eine stille Trennlinie durch den Raum. Während viele Vertreter der etablierten Defense-Industrie das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) lobten, als geläutert, modernisiert oder zumindest auf dem richtigen Weg, herrschte im Mittelstand vor allem Skepsis. Für viele kleinere Unternehmen ist das Amt kein Beschleuniger, sondern ein regulatorischer Endgegner. Was für Rheinmetall ein Planungsfenster ist, wirkt auf Zulieferer wie ein Bürokratiefenster, das sich nie ganz öffnet.

Arndt Kirchhoff brachte die Perspektive des Mittelstands in den Raum, nicht des Protokolls. Als Unternehmerpräsident von Nordrhein-Westfalen vertritt er den Verband unternehmer nrw gegenüber Politik, Gewerkschaften und Öffentlichkeit. Sein Befund: „Wenn ich der Aufsichtsratsvorsitzende von Rheinmetall wäre, würde ich das BAAINBw in Koblenz auch loben. Uns ist das einfach zu langsam, wir konzentrieren uns lieber auf die freie Marktwirtschaft. Wir können uns den hohen Zeitinvest in den Regulariendschungel schlicht nicht leisten.“ Sein Fazit: „Der Mittelstand ist bereit, aber nicht bedingungslos. Es geht nicht um Haltung, sondern um Prozesse, die Geschwindigkeit aushalten.“

Die Verteidigung beginnt in Nordrhein-Westfalen 

Und dann kam noch Joschka Fischers großer Auftritt. Langsam und bedächtig schlich er zum Rednerpult. Keine große Pose, nur ein Statement: „Struktureller Pazifismus muss revidiert werden. Das heißt nicht Aufrüstung um jeden Preis. Es heißt: Die Dinge anders denken, Frieden sichern, mit Verfahren, die im Ernstfall funktionieren.“ 

Wer rauszoomte, erkannte schnell: NRW war mehr als ein Gastgeber. 27 Bundeswehrstandorte, zentrale Kommandos, NATO Logistikdrehscheiben. Die Landesregierung will Feldtests zur Regel machen, kleine Lose zulassen, Wartung und Ersatzteile von Anfang an mitdenken. Unspektakulär, und genau deshalb entscheidend. 

Zwischen den Panels wurde klar: Das Forum war kein reines Kaffeekränzchen. Es ging um industrielle Verteidigungsfähigkeit. Mona Neubaur, Ministerin für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen, sprach von „Sicherheitsindustrie als wirtschaftlicher Realität“. Politisch tragfähig nur, wenn die Gesellschaft mitzieht.

Akzeptanz ist nicht Haltung, sie ist Infrastruktur.

Nicht der Gegner ist das Problem, sondern das Zögern 

Zusammenfassend lassen sich drei Punkte konkretisieren: 

  1. Wir müssen aufhören zu zögern und endlich machen. Wer heute Netze, Rechenleistung und Kapital bereitstellt, braucht mehr als politische Signale, er braucht eine Verwaltung, die antwortet und Verfahren, die nicht Monate kosten. 
  2. Beschaffung muss realitätsnah organisiert sein. Kleine Lose, frühe Feldtests und dynamisch überprüfbare Leistungsindikatoren, nicht jährlich, sondern monatlich. 
  3. NRW ist mehr als ein industrieller Standort. Das Land kann Modellregion für eine resiliente Sicherheitswirtschaft werden, wenn Prozesse, Politik und Praxis konsequent ineinandergreifen. Nicht nur, weil es politisch gewollt ist, sondern weil es geografisch, industriell und strategisch dafür geeignet ist. NRW könnte zur Modellregion werden, wenn es gelingt, die Prozesse zu öffnen und die richtigen Akteure zusammenzubringen. Nicht, weil es einfach ist. Sondern weil es passt. 

Zu guter Letzt möchte ich betonen, dass ich nicht als Beobachter eingeladen wurde, sondern als KI-Unternehmer aus Nordrhein-Westfalen mit klarer Meinung. Ich weiß, wie schwer Tempo im politischen System ist, aber auch, wie dringend wir es brauchen. 

Was ich gesehen habe, war deutlich mehr als eine neue Rhetorik. Es war der Anfang einer neuen Wirtschaftskoalition. Wenn wir unsere Angst nicht mehr an das Beschaffungsamt verlieren, sondern an die Zeit, die uns davonläuft, dann haben wir verstanden, was Verteidigungsfähigkeit heute bedeutet. 

Denn Wehrhaftigkeit ist kein Bekenntnis, sie ist eine Fähigkeit. Und ihre Maßeinheit ist: Zeit.