Work & Winning Quereinstieg boomt: 394.000 Jobs ohne Fachausbildung

Quereinstieg boomt: 394.000 Jobs ohne Fachausbildung

Der Arbeitsmarkt öffnet sich: Jede zehnte Stelle richtet sich inzwischen an Quereinsteiger. Besonders im Vertrieb sind branchenfremde Talente gefragt – ein Trend, der den Fachkräftemangel neu definiert.

Der deutsche Arbeitsmarkt erlebt eine stille Revolution. Was früher undenkbar schien, ist heute Realität: Quereinsteiger avancieren von der Notlösung zum strategischen Personalgewinn. Fast 394.000 Stellenangebote richteten sich im ersten Quartal 2025 explizit an Menschen ohne passende Fachausbildung – das entspricht jedem zehnten Job bundesweit. Die Zahlen stammen aus einer aktuellen Analyse der Berliner Personalmarktforschung Index Research, die Europas größte Stellenanzeigen-Datenbank ausgewertet hat.

Vertrieb als Quereinstiegs-Hochburg

Die Verkaufsbranche erweist sich als wahres Paradies für Berufswechsler. Mehr als jede fünfte Stelle (22 Prozent) im Vertrieb steht Menschen ohne einschlägige Vorbildung offen. Index-Geschäftsführer Jürgen Grenz erklärt das Phänomen: „Im Vertrieb zählen Mindset und Frustrationstoleranz in der Regel mehr als eine formale Ausbildung.“ Auch das Gastgewerbe (19 Prozent) und die Logistikbranche (17 Prozent) setzen verstärkt auf frische Perspektiven statt auf klassische Ausbildungswege.

Ganz anders sieht es in wissensintensiven Bereichen aus. Forschung, Gesundheitswesen und juristische Berufe bleiben mit Quereinstiegsquoten zwischen zwei und vier Prozent weitgehend verschlossen. „Für diese Tätigkeitsfelder setzen Arbeitgeber fast immer bestimmte Abschlüsse voraus“, betont Grenz.

Ost-West-Gefälle bei Quereinstiegschancen

Die geografische Verteilung der Jobchancen für Quereinsteiger offenbart ein überraschendes Muster: Die östlichen Bundesländer zeigen sich deutlich offener für berufliche Neuorientierung. Mecklenburg-Vorpommern führt das Ranking mit einer beachtlichen Quote von fast 15 Prozent an. Brandenburg (14 Prozent) und Sachsen-Anhalt (13 Prozent) folgen dicht dahinter.

Die Metropolen hingegen erweisen sich als vergleichsweise konservativ. In Hamburg (8 Prozent) und Berlin (7 Prozent) haben Quereinsteiger prozentual die geringsten Chancen – möglicherweise eine Folge des größeren Angebots an klassisch ausgebildeten Fachkräften in den Ballungszentren.

Langfristiger Trend statt kurzfristiges Phänomen

Obwohl die absolute Zahl der Quereinstiegsstellen im Vergleich zum Vorjahresquartal leicht gesunken ist, zeigt der langfristige Trend klar nach oben. Seit 2019 hat sich der Anteil entsprechender Stellenangebote mehr als verdoppelt – von damals vier Prozent auf heute über zehn Prozent.

„Quereinsteiger bringen neue Ideen und Perspektiven in die Unternehmen“, erklärt Grenz die wachsende Beliebtheit. „Sie sind meist besonders wissbegierig und ehrgeizig. Auch ihre Bereitschaft, sich in neue Aufgabengebiete einzuarbeiten, macht sie zu wertvollen Mitarbeitern.“

Strategische Personalgewinnung neu denken

Der Fachkräftemangel zwingt Unternehmen zum Umdenken. Was als Notlösung begann, entwickelt sich zunehmend zur strategischen Option. Grenz rät: „Unternehmen sollten systematisch prüfen, welche Stellen sich für Quereinsteiger eignen und in entsprechenden Stellenausschreibungen auf die Möglichkeit eines Quereinstiegs hinweisen. Damit sprechen sie deutlich mehr potenzielle Fachkräfte an.“

Die Zahlen geben ihm recht: In Zeiten, in denen klassische Rekrutierungswege an ihre Grenzen stoßen, erschließt die Öffnung für Quereinsteiger ein enormes Potenzial an motivierten Talenten – ein Wettbewerbsvorteil, den sich kluge Arbeitgeber nicht entgehen lassen.

Die Grenzen zwischen Berufsfeldern werden künftig weiter verschwimmen. Mit fortschreitender Digitalisierung und dem Wandel ganzer Branchen dürften Quereinstiegsmöglichkeiten weiter zunehmen. Besonders spannend: Die Kombination aus KI-gestützten Lernprogrammen und der nachgewiesenen Anpassungsfähigkeit von Quereinsteigern könnte die Einarbeitungszeiten drastisch verkürzen. Unternehmen, die jetzt systematisch Quereinstiegsprogramme entwickeln, sichern sich einen entscheidenden Vorsprung im Wettbewerb um Talente. Die Arbeitswelt von morgen wird weniger nach formalen Qualifikationen fragen, sondern nach der Fähigkeit, sich kontinuierlich neu zu erfinden – eine Kernkompetenz jedes erfolgreichen Quereinsteigers.

Quelle: Index Research