Work & Winning Warum ein steigender Mindestlohn nicht die Armut bekämpft

Warum ein steigender Mindestlohn nicht die Armut bekämpft

Auf 14,60 soll der Mindestlohn steigen. Doch die Hoffnung der Befürworter dieser Erhöhung damit mehr für die Geringverdiener in Deutschland zu tun, ist eine Illusion

Der deutsche Bürokratiewahn gepaart mit ungezähmter Regulierungswut – sie sind einfach nicht zu bremsen. Jetzt ist das für sich genommen schon zweifelhafte Gremium einer Mindestlohnkommission den Vorstellungen der schwarz-roten Kommission weitgehend gefolgt und empfiehlt eine zweistufige Erhöhung des Mindestlohns von derzeit 12,82 auf 14,60 Euro in zwei Jahren. 

Dass damit die Tarifautonomie in dieser Gehaltszone ausgehebelt ist, dass eine letztlich politisch unter Druck stehende „unabhängige“ Kommission Empfehlungen gibt, die niemand anders als die Unternehmer ausbaden müssen – geschenkt. Es geht darum, Millionen von Menschen aus der Armut zu befreien, sagen die Befürworter.

Wirklich? Der Mindestlohn in Deutschland ist eine Erfindung aus dem Jahr 2015, wo er bei 8,50 Euro lag. Er ist damit innerhalb von zwölf Jahren um satte 72 Prozent gestiegen. Das ist mehr als jeder Arbeitnehmer und jede Arbeitnehmerin an regulärer Lohnerhöhung durchsetzen konnte. Profitieren Millionen? Natürlich nicht. Das liegt daran, dass die Deutschen in der ganz überwiegenden Mehrheit kein Volk von Mindestlohnempfängern sind. Dazu kommt: Für Praktikanten, Auszubildende und ehemalige Langzeitarbeitslose gelten Ausnahmen. Und in den Branchen, in denen wenig bezahlt wird, haben sich die Tarifparteien oft längst auf eine Anhebung der Löhne verständigt, die stets über dem aktuellen Mindestlohn liegt. 

Was der Mindestlohn wirklich bringt, dazu hat die bundeseigene Informationsstelle für Mindestlohn eine Studie verfasst. Sie stellt fest, dass die Erhöhung der Mindestlöhne in der Vergangenheit nicht automatisch zu einer Erhöhung der Monatslöhne geführt habe, weil Arbeitgeber in der Regel die Arbeitszeit verkürzen, wenn sie mehr pro Stunde zahlen müssen. So kommt es, dass bei geringfügig Beschäftigten der Anstieg der Monatslöhne nur knapp die Hälfte von dem widerspiegelt, was sich durch den Anstieg der Mindestlöhne ohne Arbeitszeitverkürzung eigentlich ergeben müsste. 

Ganz unrecht ist das den Betroffenen oft auch nicht: Viele wollen als Mini-Jober abgabenfrei arbeiten, weswegen sie alles tun, um die dazu erforderliche Verdienstgrenze nicht zu überschreiten. So gesehen bringt eine Erhöhung des Mindestlohns keine Verbesserung des Monatslohns, sondern sorgt für eine Senkung der Arbeitszeit. Aber das lassen die Befürworter gern unter den Tisch fallen.

Zudem: Die Hoffnung, dass der Mindestlohn zu einem Rückgang der Anzahl der Empfängerinnen und Empfänger von staatlichen Zahlungen ohne Gegenleistung führen könnte, also vor allem von Bürgergeld, erfüllt sich allenfalls in Ansätzen. Die Ausgaben für Bürgergeldempfänger steigen kontinuierlich, der Mindestlohn hilft hier wenig. Nach Einschätzung der Studienautoren liegt das daran, dass überhaupt nur rund drei Prozent aller Bürgergeldempfänger in Vollzeit beschäftigt sind und von einer Anhebung voll profitieren können. Der Mindestlohn als Mittel, die Armut in Deutschland zu bekämpfen –  sei ein Rezept, das nicht funktioniere, stellen die bundeseigenen Wissenschaftler fest.
Der von Arbeitgeberseite oft beschworene Effekt, dass Stellen verschwinden, lässt sich allerdings auch nicht wirklich belegen. Es gebe keine „statistisch signifikante“ Auswirkung des gesetzlichen Mindestlohns auf die Entwicklung der Arbeitslosigkeit, heißt es von wissenschaftlicher Seite.

Was bleibt? Siehe oben. Der Mindestlohn ist ein weiteres Instrument, das politisch motivierte Hoffnungen befriedigt, ohne an der Realität etwas zu ändern.