Leadership & Karriere Pyjama-Party: Bei Liganova übernachten Bewerber beim potenziellen Chef

Pyjama-Party: Bei Liganova übernachten Bewerber beim potenziellen Chef

Bewerbungsgespräch ist, wenn man vor einem Personaler sitzt, schwitzt und was vom „Einbringen seiner Stärken“ stammelt. Nicht bei Liganova: Der Chef der Stuttgarter Firma lädt potenzielle Mitarbeiter zu sich nach Hause ein, Übernachtung inklusive. Unser Autor hat sich grillen und bekochen lassen.

Was ist deine Mission?“ Ich wusste, dass diese Frage früher oder später kommen würde. Ich wusste, dass diese Frage die wichtigste von allen war. Der Lebenslauf mag ein einziges Gedicht aus Hochschulabschlüssen, Auslandsaufenthalten und linearen Berufserfahrungen sein – sehr artig. Aber das ist der Real Deal: „Was ist deine Mission im Leben? Was ist deine Legacy“?

Als mir Vincent Bodo Andrin diese existenzphilosophische Frage stellt, rutsche ich auf meinem Stuhl unruhig hin und her. Alle Augen sind auf mich gerichtet, auch die von Andrins Frau Victoria, die mit uns auf der Terrasse eines großzügigen Anwesens in Stuttgart-Nord sitzt. Die Sonne schaltet sich gerade in den Abspannmodus, der Spätsommerhimmel über uns verfärbt sich immer mehr zu einem dunklen Ozeanblau, bis die ersten Sterne anfangen zu flimmern.

Es ist das erste Mal, dass Andrin einen Journalisten zu sich nach Hause eingeladen hat. In diesen Genuss kamen bisher nur Mitarbeiter seines Unternehmens Liganova, das sich im Bereich Retailmarketing national wie international einen Namen gemacht hat. Wobei nicht nur aktuelle Mitarbeiter zu regelmäßigen Gästen zählen. Das gemeinsame Kochen und Essen, das Übernachten und Frühstücken am nächsten Tag dienen dem Schwaben als Methode zur Rekrutierung von Führungskräften. Warum er das macht? Will ich rausfinden.

„In den meisten Unternehmen wird missverstanden, dass das Recruiting allein durch das Human Resource zu erfolgen hat“, sagt Andrin, als wir früher am Tag in seinem Büro im Headquarter von Liganova sitzen. Andrin wirkt jünger als Anfang 40. Kurze, dunkle Haare, etwas blass im Gesicht, aber von sportlicher Statur. Poloshirt, Jeans und weiße Sneaker. Mehr Typ Ironman als Golfplatz in der Unternehmerfreizeit.

Als würde ich einen Business-Podcast hören

Es ist bereits früher Abend und schon dämmrig im Raum, auf eine Wand im Büro ist eine riesige Spotify-Playlist projiziert. Die etwas raue, tiefe Stimme von Andrin fügt sich perfekt in die dezente Musik im Hintergrund ein. Würde ich meine Augen schließen, könnte ich meinen, einem Business-Podcast zuzuhören. Titel der Sendung: Zehn Tipps, wie Sie die richtigen Mitarbeiter für Ihr Unternehmen finden. Und die Stimme spricht:

„Ich bin der festen Überzeugung, dass Führungskräfte das Recruiting als eine ihrer Kernverantwortungen annehmen müssen, wenn man wirklich erfolgreich die richtigen Leute finden möchte.“ Und Andrin schiebt gleich hinterher, was das in der Praxis bedeutet. „Mit wichtigen Leuten verbringe ich drei oder vier Tage, wir verreisen zum Beispiel in die Schweizer Berge, gehen wandern, nehmen uns viel Zeit, um uns zu unterhalten. Ich hatte mal ein Bewerbungsgespräch, das ging 14 oder 15 Stunden lang.“ 14 oder 15 Stunden? Schnappatmung.

Man müsse sich das Ganze wie einen persönlichen Striptease vorstellen, erklärt mir Andrin. „Ich teile mit den Leuten meine Story, meine Vision und Leidenschaft.“ Und diese sieht wie folgt aus: Wenn es nach Andrin geht, dann wird in den nächsten zehn Jahren keine große, internationale Lifestylemarke an Liganova vorbeikommen. „Ich möchte die Number One sein, und ich sage den Leuten: Glaub mir, wir werden das gemeinsam erreichen. Ob es zehn Jahre, 20 Jahre dauert, egal, wir werden das schaffen.“

Wer in solchen Dimensionen und Zeiträumen denkt, der braucht keine Mitarbeiter, die in Liganova eine Stufe ihrer Karriereleiter sehen, sondern Leute, die so gut zur Firma (und dem Chef) passen, die mitziehen – und nicht gleich in der Mittagspause den Stellenmarkt absurfen, wenn es mal etwas langsamer vorangeht.

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