Productivity & New Work Einfach mal aus dem Fenster lehnen – Ein Plädoyer für mehr Mut in der Markenkommunikation

Einfach mal aus dem Fenster lehnen – Ein Plädoyer für mehr Mut in der Markenkommunikation

Politische Unsicherheiten und der Ruf nach Gleichheit und Gerechtigkeit stehen heute auf der Tagesordnung. Auch in der Kommunikationsbranche hinterlässt das Spuren – zumindest international. Andreas Pauli, Chief Creative Officer bei Leo Burnett Deutschland, beschreibt, welche Möglichkeiten für Marken entstehen und wieso es für deutsche Werbetreibende Zeit wird, Haltung zu beweisen.

Wir erleben gerade eine Zeit des gesellschaftlichen Wandels und der politischen Verwerfungen. Flüchtlingskrise. Terrorismus. Die Demokratie durch die Entwicklungen in den USA, Polen, Russland und der Türkei in der Defensive. Kritischer Journalismus diskreditiert. Vorurteile auf dem Vormarsch. Minderheiten unter Druck. Ausgrenzung und Abgrenzung, wo man nur hinschaut. „Die“ gegen „Wir“.

Gleichzeitig nimmt der Kampf für Gleichheit und Brüderlichkeit Fahrt auf. Gender Equality. Diversity. Gleiches Recht für alle. 

Welchen Einfluss das auf die Werbebranche hat, konnte man beim diesjährigen „International Festival of Creativity“ in Cannes sehen. Nach wie vor „die“ internationale Leistungsshow, wenn es darum geht, wie geschickt oder weniger geschickt Marken versuchen, ihre Relevanz für die Menschen und die Gesellschaft unter Beweis zu stellen und sich so einen Vorteil im hart umkämpften Markt zu verschaffen. Und eben dieses Festival hatte sich für 2017 Gender Equality und Diversity als Motto auf die Fahne geschrieben. Nun kann man sich natürlich fragen, was Diversity und Equality für eine Rolle spielen, wenn man Sportschuhe, Mobiltelefone und Würstchen verkaufen will.

Die Erkenntnis: Es spielt sehr wohl eine Rolle. Krisenzeiten und gesellschaftlicher Wandel sind sogar eine Chance für Marken, Charakter und Haltung zu beweisen, indem sie Position beziehen. Eine Haltung, die bei der anvisierten Klientel gut ankommt und hilft, die Beziehung zwischen Marke und Mensch zu festigen. Und das wiederum kann die Relevanz der Marke auch für die Zukunft sichern und sogar dem schnöden „Abverkauf“ zugute kommen. Dies trifft allerdings nur dann zu, wenn eine Marke dabei glaubwürdig bleibt.

 Nicht jeder Würstchenhersteller muss jetzt Position zu den drängenden Fragen der Menschheit beziehen. Manchmal reicht eine schräg-amüsante Kampagne, um die Sympathie für die Marke und die Abverkaufszahlen in die Höhe zu treiben (Johnsonville „Jeff and his forest Friends by Jeff“).

Aber warum nicht Coca Cola als besonders tolerante Brause darstellen, indem man in einem Werbefilm die Teenagertochter mit dem homosexuellen Bruder darum wettstreiten lässt, wer denn jetzt dem sowohl muskulösen als auch jungen Poolboy die Cola bringen darf? Am Ende war die scharfe Mutter Ende 40 die Gewinnerin. Wenn das nicht Equality ist! In der Cannes-Jury wurde dieser Film als mutig bezeichnet. Hier hat also eine Marke Mut bewiesen. Und es war nicht die einzige.

Zum Beispiel ein Mobile-Anbieter aus den USA namens Boost Mobile. Der hat in einer spektakulären Kampagne bewiesen, dass er nicht nur billige Handys anbietet, sondern sich auch um das Gedanken macht, was gerade um ihn herum abgeht: Als Billiganbieter sind seine Läden hauptsächlich in den ärmeren Stadtvierteln zu finden. Und dort gab es vor der US-Präsidentschaftswahl Probleme mit zu wenigen Wahllokalen, so dass die Menschen, die dort leben, daran gehindert wurden, ihre Stimmen abzugeben.

Boost Mobile hat daraufhin kurzerhand die Läden als Wahllokale angemeldet und so den Menschen etwas Wesentliches zurückgegeben: die Möglichkeit, ihr Wahlrecht auszuüben. Das war nicht nur menschlich lobenswert, sondern auch unter Marketinggesichtspunkten schlau. Gut möglich, das die Sympathie-Werte für diese Marke nach der Boost your Voice-Kampagne deutlich und dauerhaft nach oben gegangen sind. (Boost Mobile „Boost your Voice“).

Als einer der größten Gewinner der gesellschaftlichen Entwicklung kann man wohl Nike bezeichnen. Eine Marke, die schon immer mehr als nur Sportschuhe verkauft hat und sich jetzt verstärkt für Frauenrechte und die Rechte von Behinderten einsetzt. Offensiv, kreativ und von der Tonalität her immer zur Kultur des jeweiligen Landes passend. (Nike „DaDaDing“ und Nike „What are Girls made of“). Hier kann Nike sein über Jahre aufgebautes Markenguthaben einsetzen und seinem alten Claim ungeahnte Relevanz geben. Gender Equality? Just do it! 

Und jetzt noch ein deutsches Beispiel? Leider Fehlanzeige! Wir bleiben bei all dem außen vor. Kampagnen, die überzeugend Markenkommunikation mit gesellschaftlichen und kulturellen Themen verbinden, gelingen in Deutschland eher selten. Marketing tut sich schwer, Position zu beziehen, und die Agenturen tun sich schwer, echte Emotionalität zu erzeugen. In internationalen Kampagnen „menschelt“ es ungleich stärker. Deutsche Markenkommunikation ist meist eben doch nur „Werbung“. 

Ob Bier oder Auto, Bank oder Keks, Mobile oder Fertiggericht – oft verkocht in einem kommunikativen Einheitsbrei. Hipster mit Bärten, wo man nur hinschaut. Der einer liberalen Gesellschaft geschuldete Quotenschwule darf auch mal durchs Bild huschen. Nur nicht auffallen. Nur keine Angriffsfläche bieten. Nur nicht zu weit aus dem „Markenfenster“ lehnen. Und ein mutiges Beispiel wie der Weihnachtsfilm von Edeka (Gold in Cannes 2016), dem es gelang, ein gesellschaftlich relevantes Thema aufzugreifen, gab es dieses Jahr leider nicht.

Und selbst wenn wir einfach nur ein Produkt bewerben – ganz ohne höhere Bedeutung, aber mit Witz und Unterhaltungswert – machen uns andere Nationen vor, wie man da richtig Gas gibt (Verena International „Capture“) und aus der Masse heraussticht. Aber auch hier könnte man ja anecken! Und das mag „der Deutsche“ offensichtlich nicht. Da wählen wir doch lieber weiter die große Koalition und ergeben uns dem Slogan „Sie kennen mich“. Keine Diskussionen. Keine Überraschungen. Eine vermeintliche Sicherheit auf Kosten von Lebendigkeit. Dabei bräuchte es nur zwei Zutaten, um sich vom Marken-Einheitsbrei abzugrenzen: Charakter und Mut.

  

Der Autor:

Andreas Pauli ist Chief Creative Officer der Kreativagentur Leo Burnett Deutschland. Als Juror beim diesjährigen „International Festival of Creativity“ hat er in der Film-Jury Arbeiten aus aller Welt gesichtet und bewertet.

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