Life & Style Maya Gabeira – Die verflixte Welle

Maya Gabeira – Die verflixte Welle

Im Oktober 2013 brachte eine Monsterwelle Maya Gabeira fast um. Zwei Jahre Reha und zwei Rückenoperationen später will die nun bestbezahlte Surferin der Welt zurück zu den Big Waves im portugiesischen Nazaré. Sie hat dort noch eine Rechnung offen

Nazaré im Oktober 2013,  Riesenwellensaison. Nach einem heftigen Sturm türmt sich das Wasser an der Atlantikküste Portugals. 20, 30 Meter hoch. Als die Monsterwelle sich aufbaut, ist niemand anders in Sicht, blitzschnell entscheidet die brasilianische Profisurferin Maya Gabeira, sich per Jetski auf das tosende Meer ziehen zu lassen. Dann lässt sie die Leine los. Sie erwischt die Monsterwelle, 24 Meter, rast mit 80 Stundenkilometern die scheinbar endlose Wasserwand hinunter.

Die ist so rau, dass Gabeira sich beim dritten Buckel den Knöchel bricht. Nach mehreren heftigen Schlägen verliert sie die Kontrolle und stürzt ins Wasser. Die Welle zieht sie in die Tiefe und wirbelt sie herum. „Vor meinen Augen wurde alles schwarz“, erinnert sich die 28-Jährige, in ihren Ohren tosen verrückte Geräusche. „Erst nach einer Ewigkeit gelang es mir, wieder hochzukommen.“ Dann ist alles nur weiß. Eine zweite Welle erfasst sie und reißt ihr die Rettungsweste weg, sie glaubt, es ist ihr Ende. Surfpartner Carlos Burle versucht, sie mit dem Jetski aus dem Inferno zu bergen. Aber sie erwischt seine Hand nicht. Er wirft ihr eine Leine zu, zieht sie einige Meter in Richtung Strand, doch sie ist zu schwach, um sich lange festzuhalten. Gabeira verliert das Bewusstsein, verschwindet wieder unter Wasser, treibt dann leblos mit dem Rücken nach oben an der Oberfläche. Burle springt ins Wasser und zieht sie heraus. Minutenlang reanimiert er sie am Strand.

Bis bald, Trauma

Wenn man Gabeira jetzt, zwei Jahre später, in Shorts und ärmelloser Bluse entspannt in einem Café am Strand von Rio de Janeiro sitzen sieht, vor sich einen frisch gepressten Orangensaft, scheint das Nahtoderlebnis endlos weit weg. Eben erst trainierte sie zwei Stunden im glitzernden Wasser. Aber der Weg dorthin war knochenhart – und nun rückt die Konfrontation mit dem Trauma täglich näher.

Maya Gabeira

Im Oktober, wenn die portugiesische Big-Wave-Saison startet, werden Gabeira und Burle sich wieder auf die Wellen von Nazaré stürzen. Diesmal sogar mit noch höheren Zielen: „Natürlich will ich dort den Weltrekord brechen“, sagt die Brasilianerin. Den hält derzeit Garrett McNamara – mit 30 Metern. Aber es geht Gabeira um mehr als Zahlen: „Der wichtigste Grund für die Rückkehr ist persönlich: Ich habe dort einen Job zu beenden.“

Nicht nur für sich selbst, obwohl der größte Druck von innen komme. Auch dem Rest der Welt will sie es beweisen. Denn während die einen Gabeira für ihren Mut bewundern, sparten andere nach ihrem Unfall nicht mit fast schon hämischer Kritik. Surflegende Laird Hamilton sagte in einem CNN-Interview, sie besitze einfach „nicht die Fähigkeiten“, um unter derartigen Bedingungen zu surfen. Weder die notwendige Kraft noch die Erfahrung. Und Ian Cairns, Ex-Profisurfer und Gründer der World Championship Tour, schrieb auf Facebook: „Vielleicht ist es für Maya Zeit, ein wenig zurückzutreten.“

Eine schlechte Schwimmerin

Das könnte ihnen so passen. Den Machos, die sie schon damals schief anschauten und Witze machten, als sie sich als eine von ganz wenigen Frauen an die Big Waves wagte. Bis sie sich die Anerkennung der Szene erkämpfte. „Ich habe mir so etwas mein Leben lang anhören müssen“, sagt Gabeira. „Mir ist klar, dass ich nicht so stark bin wie ein Mann. Soll ich aber deswegen aufhören, große Wellen zu surfen?“
Erst mit 14 hatte das tanzverrückte Mädchen aus Rio, das sich als schlechte Schwimmerin mit Asthma bezeichnet, die Leidenschaft fürs Surfen entdeckt. „Es sah so fremd und schwierig aus, und ich liebe Herausforderungen und Dinge zu tun, die komplett außerhalb meiner Reichweite sind“, sagt Gabeira. Sie redet schnell und mit wenigen Pausen, streut ironische Bemerkungen ein, lacht öfters laut auf. Bei einem ihrer ersten Interviews nach Nazaré saß sie breit lächelnd mit Gipsbein vor der Kamera. Da immerhin wurden, als sie von der Todesangst sprach, ihre Augen doch einmal feucht. Heute ist sie stets freundlich und offen, aber kontrolliert. Ein Medien-Vollprofi.

Maya Gabeira - Portrait

Zu Anfang, holt Gabeira aus, waren es jedenfalls die eigenen Geschlechtsgenossinnen, mit deren Geschicklichkeit sie es nicht aufnehmen konnte: Bei traditionellen Surfwettbewerben geht es um die kunstvollen Manöver während eines Ritts. „Viele Mädchen waren besser als ich. Ich merkte schnell, dass ich da nicht die Beste der Welt sein konnte“, sagt Gabeira. Und unter Weltniveau macht die Brasilianerin es nicht. Als sie dann Big Waves für sich entdeckte, war sie sofort dem Thrill verfallen. „Diese Wellen sind ein Naturspektakel, so schön und unberechenbar. Sie flößen jedem Respekt ein. Man vergisst sie nicht, jeder Ritt brennt sich tief ins Gedächtnis ein“, schwärmt sie.

Als Maya Gabeira mit 17 die Schule abbrach, um in Hawaii zu trainieren und ihren Lebensunterhalt mit Kellnern zu verdienen, waren Frauen noch selten auf den Riesenwellen zu sehen. 2007 gewann Gabeira ihren ersten XXL Global Big Wave Award in der weiblichen Kategorie – den Oscar der Szene. Es folgten vier weitere, 2009 gewann sie den ESPY als beste Action-Sportlerin. Damit kamen die ersten Sponsorenverträge, sie konnte professionell trainieren.

Ungezählte Fleischwunden

Seitdem reist Gabeira den Wellen hinterher. Von Mai bis September ist die Brandung in Rio gut genug, um in der Heimat zu trainieren. Von November bis Februar zieht es sie meist nach Hawaii, wo die Winterstürme für riesige Wellen sorgen – oder eben nach Portugal. „So etwas wie in Nazaré habe ich nirgends zuvor gesehen“, sagt Gabeira.

Warum manche Leute sie für leichtsinnig halten, versteht sie nicht. „Ich bin keine Draufgängerin“, sagt sie nachdenklich. „Manchmal würde ich mir wünschen, etwas kühner zu sein, mehr zu wagen, etwas näher an meine Grenzen zu gehen.“ Da ist aber die Angst. „Sie ist wie die Sicherung, die vor dem Übermut schützt.“
Während ihrer Reha sprach sie mit Psychologen über den Unfall. Nüchtern analysierte sie die Emotionen, die nach dem Missgeschick in ihr hochpoppten. Angesichts des Todes blieb sie damals erstaunlich ruhig und gelassen, sagt sie: „Wenn man lang genug dabei ist, lernt man, mit dem Risiko zu leben. Bei jedem Ritt kann etwas passieren. Man darf sich von solchen Gedanken nicht ablenken lassen, man muss immer nach vorn schauen und auf die eigenen Fähigkeiten vertrauen.“ Derlei Weisheiten klängen floskelhaft, kämen sie nicht von jemandem, der nicht nur fast draufgegangen ist, sondern im Anschluss auch noch zwei Rücken- und eine Nasenoperation über sich ergehen ließ. Die Gesamtzahl ihrer Nasen-OPs schätzt Gabeira mittlerweile auf etwa zehn, die tiefen Fleischwunden zählt sie nicht. Erst 2014 ging sie wieder auf Krücken, im gleichen Jahr noch stand sie wieder auf dem Brett. Anfang des Jahres wagte sie sich erstmals zusammen mit Burle wieder auf Big Waves.

Carlos Burle - Action

Ihr Talent im Einstecken führt Gabeira, Tochter des Grünen-Politikers Fernando Gabeira, der 1969 als Mitglied der sozialistischen Guerilla-Gruppe MR8 an der Entführung des amerikanischen Botschafters beteiligt war, auch auf ihr Aufwachsen zurück. „Als Kind habe ich in Rio Elend gesehen“, sagt sie. „Viele Kinder, die mit mir in Ipanema gesurft haben, kamen aus den nahe gelegenen Favelas, den Armenvierteln. Sie mussten jeden Tag ums Überleben kämpfen! Was sind schon ein paar Verletzungen dagegen.“

Natürlich habe sie Angst, an den Schauplatz ihres Beinahetodes zurückzukehren, sagt sie ehrlich. „Aber ich trainiere nun doppelt so hart wie zuvor, um diese Herausforderung zu bestehen. Ich werde viel besser vorbereitet sein als das erste Mal.“

Ihr tägliches Training: 1,5 bis drei Stunden im Wasser, bis zu zwei Stunden im Fitnessraum, dazu Fahrrad fahren und Strandläufe. Vor Saisonbeginn übt sie ein paar Tage intensiv freies Tauchen. „Im Pool kann ich drei bis vier Minuten die Luft anhalten“, sagt sie. „Das gibt mir Selbstvertrauen, ich weiß, dass ich es lang genug unter Wasser aushalten kann, wenn mich die Welle umwirft.“

Auch ihr Team hat Schlüsse aus dem Unfall gezogen. „Wir waren damals nicht optimal vorbereitet“, sagt Burle, der selbst zu den besten Big-Wave-Surfern der Welt gehört. Man brauche mehr Rettungspersonal, das bei einem Sturz schneller zur Stelle ist. Nazaré ist ein heikler Surfspot: Er hat keine Sicherheitszone, nur eine 100 Meter hohe Klippe und den Strand, auf den die Wellen direkt aufprallen.

Bei Sponsoren obenauf

Bei einer Disziplin hat Maya Gabeira die männlichen Kollegen schon locker abgehängt: Geld. Szenekenner schätzen ihr Einkommen auf 1 bis 1,5 Mio. Dollar pro Jahr, das würde sie mit Abstand zur bestbezahlten Big-Wave-Surferin der Welt machen. Im Actionsport gilt: Was dich nicht umbringt, macht dich nur härter – und reicher. Umso mehr, wenn man eine attraktive Frau ist.

Gabeira ist sich bewusst, wie sehr sie von ihrem Äußeren profitiert, und schlägt daraus maximal Kapital. „Ein Mann braucht nur den Erfolg, um Geld in der Werbung zu verdienen, eine Frau muss zudem schön und sexy sein“, räumt sie ein – und surft dann auch mal nackt für das berühmte Body Issue von „ESPN – The Magazine“ oder posiert für die brasilianische „GQ“. Im deutschen Fernsehen reitet sie im unschuldigeren weißen Bikini für den Hygieneartikelfirma Fa die Wellen. Natürlich wird Gabeira von den Surfmarken Billabong und Mormaii sowie von Red Bull gesponsert, dazu kommen Mitsubishi, die Sportartikelmarke Lululemon, das Telekomunternehmen Nextel, dazu Werbung für Uhren, Sonnenbrillen, Unterwäsche, Joghurts. Sie weiß, was sie den Sponsoren schuldig ist, steht Stunden in der prallen Sonne, übergießt sich mit Kokosmilch oder paddelt in den Wellen herum, als sei alles das reinste Vergnügen.

Maya Gabeira - Action

Irgendwie ist es das ja auch für Gabeira, die nicht müde wird zu betonen, mit wie viel Glück und Lebensinhalt Surfen sie erfüllt. Ans Aufhören hat sie noch nie gedacht. Warum auch? Fünf oder zehn Jahre würde sie gern noch surfen, wenn ihr Körper es mitmacht. Und wenn die Profikarriere sich einmal unweigerlich dem Ende zuneigt? „Es gibt viele interessante Sachen, die ich in Zukunft anpacken könnte“, sagt sie. Dokumentarfilme drehen, zum Beispiel.

Optimismus ist das eine, das ihr hilft. Ihr Glaube an Gott und an das Schicksal das andere – vor allem bei der Rückkehr nach Nazaré. „Im Leben gibt es keine Wiederholungen“, ist sie überzeugt. „So ein Unfall kann kein zweites Mal passieren.“ Ihr Job sei es, das Beste aus sich herauszuholen. Dann übernimmt ihr Schutzengel schon den Rest.

 

Text: Andrzej Rybak

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