Leadership & Karriere „Das Problem von linearen Fernsehsendern in der Zukunft ist nicht die Individualisierung der Werbung, sondern die Reichweite.“

„Das Problem von linearen Fernsehsendern in der Zukunft ist nicht die Individualisierung der Werbung, sondern die Reichweite.“

In der Titelgeschichte der aktuellen Ausgabe von Business Punk fragen wir Amorelie-Gründerin Lea-Sophie Cramer, wie sie ihr Startup nach der Komplettübernahme durch ProSiebenSat.1 weiter führen will. Denn ihre neuen Bosse haben großes mit Amorelie vor. Der Sextoy-Versand soll zum Beate Uhse des Digitalzeitalters werden – und zum Zugpferd der neuen Konzerneinheit NuCom, in der ProSiebenSat.1 vor Kurzem seine Digital-Unternehmen von Parship über Mydays und Flaconi bis eben Amorelie gebündelt hat. Wie sinnvoll diese Strategie ist, warum Medienkonzerne so versessen auf Online-Handel sind und  wie groß die Chancen sind, mit Nischen-Shops gegen Amazon zu bestehen – darüber hat unser Redakteur Daniel Erk im Zuge seiner Recherche auch mit dem Ecommerce-Experten Sven Schmidt gesprochen. Das Interview lest ihr hier in voller Länge.

Business Punk: Herr Schmidt, Sie kennen den deutschen E-Commerce-Markt und die deutsche VC-Szene. Welche Ziele verfolgt ProSiebenSat.1 Ihrer Meinung nach mit dem aktuellen Kauf von E-Commerce-Firmen wie Amorelie?

Sven Schmidt: Die deutschen Medienfirmen haben sich treiben lassen von der vermeintlichen Digitalisierung der Firma Burda. Der Verlag Burda hat bekannt gegeben, er würde die Hälfte des Umsatzes digital machen. Letztendlich waren das primär die Umsätze von Cyberport und von Zooplus. Das heißt die Firma Burda hat mit E-Commerce Umsatz behaupten können, sie wäre jetzt digital. Das ist natürlich aus vielen Gründen eine geschönte Aussage. Vor allem die Wertschätzungstiefe von E-Commerce Umsätze mit  einer verkaufen Anzeige zu vergleichen, macht überhaupt keinen Sinn.

Business Punk: Warum das?

Sven Schmidt: Wenn ich mit Laptops handle, habe ich eine Marge von circa 10 Prozent. Wenn ich eine weitere Anzeige in einem Magazin verkaufe, hab ich wahrscheinlich eine Marge von 90 Prozent. Das heißt: Man kann mit E-Commerce sehr schnell, sehr viele Umsätze generieren, aber man wird eigentlich nie Gewinn machen. Und dazu ist der „digitale“ E-Commerce-Umsatz primär offline. Die Geschäftsanbahnung und Kommunikation findet online statt. Die Logistik, die Lagerhaltung, die Warenbestellung, das ist alles klassischer Versandhandel.

Business Punk: Sie würden also sagen: Pro7Sat.1 hat sich, wie viele Medienhäuser in Deutschland, von den hohen Umsätzen blenden lassen?

Schmidt: Richtig. Es ging immer um Umsätze und die Frage: Wie digital bin ich schon? Statt sich die Frage zu stellen, was sind meine Assets, was kann ich mein Kerngeschäft digitalisieren? Nur weil ich Zooplus – ein sehr, sehr gutes Investment von Burda – und Cyberport habe, wird mein Bestandsgeschäft nicht besser.

Business Punk: Gleichzeitig sinken die Erlöse des TV-Werbemarkts. Und dass Pro7Sat1 in einer solche Situation darauf setzt, die Werbeplätze als eine Art Investment zu begreifen und darauf zu spekulieren, dass man E-Commerce-Anbieter wie Amorelie oder Flaconi groß machen und so Gewinne realisieren kann, die höher ausfallen, als das was man von zweit- oder drittklassigen Werbekunden genommen hätten. Was spricht dagegen?

Schmidt: Das Problem von linearen Fernsehsendern in der Zukunft ist nicht die Individualisierung der Werbung, sondern die Reichweite. Und die ist unabhängig davon, ob sie Eigenbestand oder Fremdfirmen bewerben. Wenn kaufkräftige Zielgruppen primär Streaming-Angebote nutzen , dann – und das hat der ehemalige Vorstandsvorsitzende von Pro7Sat.1 aus Versehen zugegeben – bedienen sie nur noch eine problematische sozio-ökonomische Zielgruppe.

Business Punk: Aber funktionieren die Werbeplätze als Investment dann trotzdem?

Schmidt ist VC-Experte, Investor und geschäftsführender Gesellschafter von Internet Consumer Services (ICS) und von Maschinensucher.de. Bekannt ist Schmidt als Stammgast des OMR-Podcasts, wo er durch intime Kenntnisse der E-Commerce-Branche und deutliche Urteile auffällt.

Schmidt: Pro7Sat1 hat geglaubt, dass sie die freien, unverkauften Werbeplätze genutzt werden können, um eigene Angebote zu bewerben. Im Falle von Verivox kann ich die Logik zum gewissen Teil nachvollziehen. Nach dem Motto: Wir haben hier einen Vergleichsdienst, der ist die Nummer zwei, wir versuchen den über Fernsehwerbung größer zu machen.
Aber im Falle von E-Commerce Nischenanbietern wie Amorelie und Flaconi macht das meines Erachtens nach keinen Sinn. Das ist E-Commerce, das heißt: Sie stehen im Wettbewerb mit Amazon und da hilft Fernsehwerbung alleine nicht. Und beide Firmen sind letztendlich kleinteilige Geschäfte. Sogar im besten Falle wird Amorelie nicht relevant zum EBIT des Konzerns beitragen. Und was Pro7Sat1 unterschätzt hat, ist: Wenn man die Werbeinseln mit Werbung überlädt, dann wird jeder einzelne TV Spot zum Schluss weniger wahrgenommen und damit weniger wert. Die Nutzung von unverkauften Werbeplätzen ist im Endeffekt somit nicht ohne Kosten für Pro7Sat1.

Business Punk: In den vergangenen Jahren gab es viel Werbung für Startups, gerade bei ProSieben.

Schmidt: Und das ist das Problem. Ich rede mit vielen Startups und die meisten sind momentan sehr unzufrieden mit der Werbung auf Pro7Sat.1, weil sie sagen, da ist so viel Werbung für Internetfirmen, da fällt meine Werbung gar nicht mehr auf. Ich glaube, wenn man diese Kosten mit reinrechnet, verliert Pro7Sat.1 mit TV Spots für Amorelie und Flaconi wahrscheinlich sogar Geld.

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