Leadership & Karriere Wie ein Tabakkonzern die Welt rauchfrei machen möchte

Wie ein Tabakkonzern die Welt rauchfrei machen möchte

Genug zu tun

Ob ein Konzern digital ist oder alt, Brands Aufgabe der Kommunikation ist ungefähr gleich geblieben – ob es sich nun um eine Zigarette handelt oder um ein neu entwickeltes Heating-Produkt, ist dabei vielleicht erst einmal nicht so wichtig. Aber um sie herum sind neue Stellen und neue Menschen in den Konzern getreten. Was sind deren Aufgaben? Welche Art von Mensch wird von einem solchen Prozess angezogen? Und wie treiben sie einen Wandel voran in einem Konzern, der viel weniger er selbst werden will?

Luca Hoffmann jedenfalls hatte sich diesen Prozess viel langsamer vorgestellt. „Für einen 80.000-Mitarbeiter*innen-Laden ist das alles sehr schnell und dynamisch.“ Hoffmann hat erst Soziologie und BWL studiert, war Startup-Gründer, dann ist er über einen Promo-Job zu PMI gekommen. Er hat damals die ganz neuen Iqos-Geräte in Clubs vorgestellt und die Leute ausprobieren lassen, er erinnert sich, dass dabei sehr wenig Druck herrschte. Nebenbei hatte er immer wieder die Augen auf der Stellenbörse von PMI, weil er wusste, dass ein Iqos-Digitalshop kommen wird. Jetzt arbeitet er in der deutschen Konzernniederlassung als Digital Specialist.

Luca Hoffmann ist als Trainee in den Konzern gekommen und bekommt die Welt um das Legacy-Produkt eigentlich schon nicht mehr mit

Ihm war anfangs gar nicht klar, dass PMI hinter dem Produkt Iqos stand. Egal, zur zentralen Marke Marlboro hatte er immer ein entspanntes Verhältnis, hat in der nachgelagerten Industrie gearbeitet, viel mit Promoter*innen und Events, keine schlechte Zeit. Und jetzt bekommt er auch gar nicht groß mit, was in der „alten Welt“ des Unternehmens los ist. „Nicht einmal beim Mittagessen, in meinem Scope findet das gar nicht statt. Gefühlt arbeitet jeder an Iqos.“ Zu tun gibt es auch genug. Hoffmann sagt, dass man wirklich am Anfang steht, „die Richtung ist klar, aber keiner weiß, wie du dahin kommst“.

Und wie es so ist, wenn etwas völlig Neues entsteht: Es gibt noch nicht so viele andere. Die Rollen sind noch nicht verteilt und besetzt, „man kann selber viel ausprobieren, selber Expert*in sein“. Hoffmann, 32, sagt, dass man viele Möglichkeiten hätte, verschiedene Aufgaben zu übernehmen, innerhalb der Bereiche zu rotieren. Neulich hatte er sich die Customer-Journey angesehen – wo kann man hier und da optimieren, wo fliegen die Leute aus dem Prozess, das war schon sehr „startup-like für ein großes Unternehmen“, sagt er. Moment: PMI, Traumarbeitgeber für Millennials?

Vielleicht liegt es daran, dass die Tabakbranche schon früh vor anderen Konzernen entdeckt hat, wie man Menschen entwickelt und bei Laune hält, wenn die sich schon mal nicht nur wegen des Geldes auf den Bereich Tabak eingelassen haben. Vielleicht auch daran, dass die Hürden und Vorbehalte fallen und PMI ein ganz normaler Konzern wird, der für viele als Jobmöglichkeit in einem Atemzug mit Pro Sieben oder BMW genannt wird.

Extremsport Change

Michael Vögele ist CTO bei PMI, sein Büro bietet einen prächtigen Blick über den See. Vögele ist vor einem Jahr von Adidas gekommen, und das ist natürlich schon eine Nachfrage wert: vom Sportartikelhersteller zum Tabakkonzern? Vögele sagt, dass ihn die Wette reize.

Michael Vögele ist CTO und war zuvor bei Adidas. Ihn reizt bei PMI die große Wette – und das Büro samt Terrasse mit Blick über den Genfer See

Womit klar ist, was ihn antreibt: Sieht Hoffmann einen normalen Digitaljob in einem Großkonzern, sieht Vögele eine Art Triathlon in seiner Aufgabe. Er befand sich nach acht Jahren bei Adidas an einem Punkt, wo er sich fragte, was er noch groß beitragen konnte. Über einen Headhunter wurde er aufmerksam: „Zunächst war von dem Unternehmen selber überhaupt keine Rede, nur von der Aufgabe.“ Vögele hörte „globales Unternehmen, globale Marktposition, komplette Veränderung des Businessmodells, Transformation des Unternehmens“. Man kann sich vorstellen, wie das für jemanden, der auf der Suche nach einer neuen Aufgabe war, geklungen haben mag. Hatte er eine Ahnung, wer dahintersteckte? Vögele googelte die Info-Snippets: Top 500, Sitz in der Schweiz … PMI erschien dabei nicht sehr hoch im Suchranking.

Vor seinem ersten Gespräch in Lausanne hatte er als Erwartung einen alten Bau und überall rauchende Mitarbeiter*innen im Kopf. Stattdessen sah er „junge, dynamische, motivierte Leute – das war ein komplett anderes Bild“. Für einen Tabakkonzern, der einen Adidas-Manager holt, ist das natürlich eine gute Story. Wie sieht es aber aus, wenn man selber der Held dieser Geschichte ist?

Vögele sagt, dass es ein Risiko war, anzuheuern. Geht das gut? Aber das macht für ihn die Challenge aus: „Da ist eigentlich kein Plan B. Ein Plan B lenkt immer von dem ab, was man eigentlich erwirken will.“ Vögele sieht ohnehin mehr in dem Job: Er sieht den Purpose, die gesellschaftliche Wirkung eines Unternehmens, das sich unangenehme Fragen stellt. Interessanter Effekt: Hat man ihm am Anfang im HR-Team noch gesagt, dass Hires nicht einfach seien, weil „wir eben Tabak sind“, wird Vögele jetzt selber um Jobs angehauen. Es gibt immer noch Leute, die kategorisch Nein sagen, aber viele sind offen für Gespräche geworden. Für Vögele ist es wichtig, dass man bewusst den Dialog sucht und der Kritik begegnet, anstatt nur darauf zu hoffen, dass erst gar keine kommt.

Noch schneller werden

Er sagt, dass er noch nicht diese Art von Transformation erlebt hat, wie sie gerade bei PMI stattfindet. Ein altes Geschäftsmodell abzuwickeln, das neue zeitgleich aufzubauen, „die Chance hast du auch nicht so oft“. Sein Ziel ist es, eine Launch Agility zu schaffen: neue Märkte angehen, neue Versionen des Iqos-Geräts rausbringen. Noch immer ist der aktuelle Aufwand der limitierende Faktor. Er sagt, dass er anfangs gar nicht so sehr daran gedacht hatte, wie aufwendig das Projekt von der Hardwareseite aus ist. „Da ist eine Batterie drin, dann gibt es in Deutschland ein Batterierücknahmegesetz, dann braucht man eine Reverse Supply Chain, das ist ein großer Aufgabenbereich.“

Vögele hat in den letzten Monaten vieles erst unterwegs gelernt, deswegen will er modularer bauen, in Minimum Viable Products denken, „sonst kommen wir erst gar nicht vom Fleck“. In Gesprächen mit Mitarbeiter*innen haben sie zusammen begonnen, die gelernte Herangehensweise infrage zu stellen. Er sagt: „Wenn man sich fragt: Was sind die erfolgreichen Veränderungen, die in einem Unternehmen stattfinden? Meiner Meinung nach sind das die Veränderungsprozesse, die die Menschen, die Mitarbeiter*innen im Mittelpunkt ihrer Veränderung sehen. Und nicht ihre Systeme und Prozesse.“

Als Charilaos Avrabos vor rund zweieinhalb Jahren zu PMI kam, war die Strategie hin zur Transformation bereits verkündet worden. Seine Aufgabe ist mit dem Titel Manager Scientific Medical & Affairs beschrieben, „eine exotische Rolle“, wie Avrabos selber sagt, die in der Kommunikation gegenüber Ärzt*innen und Instituten besteht. Er selber ist Mediziner, hat den Background Pharma, Neurobiologie und Hirnforschung. Wie kommt ein Mediziner zu Big Tobacco? Im Fall von Avrabos könnte man es mit dem Wort Pragmatismus erklären. Kurz und simpel: Es ist besser, wenn weniger Menschen rauchen. Punkt.

Mehr Pragmatismus

Avrabos sagt, dass er sich in den vergangenen Jahren immer wieder mit PMI beschäftigt hatte. Er war bei GlaxoSmithKline mit der Nikotin-Replacement-Therapie betraut, bei PMI sah er eine neue Vision, „und die war wissenschaftlich fundiert“.

Avrabos ist erst einmal einen Monat ins Research gegangen und hat sich angeschaut, was so durchgeführt wird. So ziemlich alles in der Wissenschaft wird publiziert, und jeder, der sich halbwegs auskennt, kann die angewandten Methoden beurteilen, das Journal, in dem es veröffentlicht wurde, die Statistik dahinter. Sind diese Sachen glaubwürdig? Wie Vögele auch war Avrabos in einer Phase, in der er eine neue Herausforderung suchte. „Okay, all-in“, entschied er am Ende.

Dr. Charilaos Avrabos sieht im Konzern die größere Chancen, eine Veränderung zu erwirken. Selbst wenn er dabei einer alten Industrie dient (Foto: Peter Rigaud)

Im Freundeskreis diskutiert er noch heute, immer wieder gibt es kritische Stimmen zu seiner Entscheidung. Auch Kolleg*innen waren schockiert. Und dazu die Vorbehalte all jener, mit denen er qua Job jeden Tag zusammenarbeitet. „Da kommt der Mann von der Tabakbranche, um über die gesundheitlichen Folgen des Rauchens zu reden“, wiederholt Avrabos den Klassiker aller Einwände. „Das macht es so ein bisschen spannend.“ Avrabos weiß aber eben auch aus seiner Erfahrung mit Nikotin-Replacement, dass es genug Angebote gibt für Menschen, die mit dem Rauchen aufhören wollen – aber eben fast keine Alternative für diejenigen, die weiterrauchen wollen. „Und das sind nicht wenige“, sagt Avrabos.

Seinen Zahlen nach haben 70 bis 80 Prozent der Raucher im vergangenen Jahr nicht einmal versucht aufzuhören. Wenn Avrabos also irgendwo die Möglichkeit zu mehr Impact sieht, dann an dieser Stelle. Natürlich wäre es schön, wenn keiner mehr rauchen würde, aber davon ist die Welt weit entfernt. Er will mehr Pragmatismus und sagt: „Ich bin überzeugt, wenn man durch technische Innovation neue Produkte anbieten kann, dann ist man verpflichtet, das auch zu machen.“ Aber er weiß auch, dass die Vergangenheit des Konzerns die Emotionen besetzt. Oft genug hört er, dass man ihm die wissenschaftliche Seite abnimmt, trotzdem aber nicht Philip Morris unterstützen will. „Wir kämpfen immer noch gegen die Fehler der Vergangenheit an, man muss da erst mal wieder Vertrauen generieren. Wir stehen ja mit allem unter strengster Beobachtung. Das Wichtige ist, zu zeigen, dass wir das ernst meinen und bewusst nicht solche Fehler machen, wie in der Vergangenheit gemacht wurden.“

Alle scheinen hier die Vergangenheit wegarbeiten zu wollen. Vögele diskutiert gerade mit dem Rest des Führungsteams, wie er noch mehr Coworking-Flächen in das Gebäude am Hang bauen kann. Hoffmann sagt, dass er Zigaretten eigentlich nur dann wahrnimmt, wenn auf der Versammlung die Zahlen vorgelesen werden. Brand sagt den schönen, für diese einst so selbstverliebte Branche geradezu demütigen Satz: „Man muss uns ja nicht lieben. Aber man sollte uns zuhören.“

Freunde, die neue Ausgabe von BUSINESS PUNK ist da! Oh yeah! Wir haben uns umgesehen und festgestellt: Mag in der kommenden Rezession der freundliche New-Work-Coach mit seinen Ideen aus dem Meeting gelacht werden, das Green Biz hingegen ist mittlerweile zu weit fortgeschritten, als dass sich Konzerne und Startups erlauben könnten, auch in schweren wirtschaftlichen Zeiten Begriffe wie Sustainability oder Corporate Social Responsibility nicht ernsthaft zu besetzen. JETZT AUSGABE SICHERN!

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