Leadership & Karriere Von der Wall Street in die Zahnarztpraxis: Wie der DrSmile-Gründer einfach mal machte

Von der Wall Street in die Zahnarztpraxis: Wie der DrSmile-Gründer einfach mal machte

Christopher von Wedemeyer hat seine vielversprechende Karriere als Investmentbanker in New York hinter sich gelassen, um in seinem Berliner Wohnzimmer ein Startup namens DrSmile aufzubauen und den Markt der Zahnmedizin zu digitalisieren.

Mithilfe von Online-Behandlungen und einem Netzwerk aus Ärzt*innen und Laboren schafften er und Mitgründer Jens Urbaniak es, Aligner-Schienen zur Begradigung von Zähnen zu einem Bruchteil des gängigen Preises anzubieten. Diese 3-D-gedruckten, transparenten Zahnschienen sollen herkömmliche Metall-Zahnspangen ersetzen.

In der Branche stieß dies auf ziemlich viel Gegenwehr. Die Kritik, es würden medizinische Standards fehlen, hielt sich hartnäckig und sorgte Anfang 2019 sogar für eine Stürmung des Büros durch das LKA.

Wir haben Christopher von Wedemeyer getroffen und ihn nach seinem Umgang mit dieser Kritik, seinem außergewöhnlichen Werdegang und den Herausforderungen in der Zeit des Gründens befragt.

Was hast du vor der Gründung gemacht?

Ich habe mich bereits ziemlich früh für den Finanzmarkt interessiert. Während meiner Schulzeit war ich für zwei Jahre in den USA – das war in der achten und neunten Klasse – und habe später zwei Monate lang ein Praktikum an der Wall Street gemacht. Noch während des Bachelors an der Frankfurt School of Finance fing ich an, als Full-Time-Analyst zu arbeiten. Danach ging es weiter nach London und später nach New York, ins Private Equity – das, wovon immer alle träumen, die im Investmentbanking sind.

Und was führte dann plötzlich zu der Entscheidung, ein Startup zu gründen?

Ich habe irgendwie realisiert, dass ich zwar jetzt einen tollen Namen im Lebenslauf habe, aber wirklich erfüllend war es nicht. So langsam kam die Frage in mir hoch, ob das wirklich das ist, was ich die nächsten fünf oder sechs Jahre machen möchte. Dann erzählte mir Jens, mein Mitgründer, den ich schon länger kannte, dass er eine Idee habe.

Anfangs war ich unsicher. Ein Startup zu gründen, das ist schon eine völlig andere Nummer. Ich war zwar nicht happy in meinem Job und wollte etwas ändern, aber da ist auch immer die Frage: Wie viel möchte ich ändern? Ist es eine leichte Korrektur oder eine komplette Wende?

In diesem Prozess habe ich oft an meine zweimonatige Reise mit dem Motorrad von Nepal nach Deutschland gedacht, die ich während meines Studiums gemacht habe. Während dieser Reise ist mir vor allem eines klar geworden: Die Leute waren happy – völlig losgelöst von irgendwelchen materiellen Gütern. Das war der Punkt, an dem ich dachte: „Hey, was soll’s, lass irgendwas anderes machen.“ Was konnte mir passieren? Und habe zu Jens gesagt: „Let’s do it.“

Christopher von Wedemeyer (r.) mit seinem Mitgründer Jens Urbaniak (l.)

Und wieso ausgerechnet in der Zahnmedizin, obwohl keiner von euch vorher in dem Bereich Erfahrungen sammeln konnte?

Dass wir keine Ahnung von Zahnmedizin hatten, war wohl einer unserer größten Vorteile. Wir maßen uns auch gar nicht an, zu sagen, dass wir das Wissen der Zahnärzt*innen haben. Wir sehen uns eher als den verbindenden Pol zwischen Patient*in, Labor und Ärzt*in.

Aber es gab nicht unbedingt diese klassische Leidensgeschichte. Wir haben auf Reddit einen Post von einem Studenten gesehen, der erzählt hat, wie er für 100 US-Dollar seine Zähne begradigt hat. Da haben wir uns gefragt, wie das geht und ob es noch konsumentenfreundlich ist, wenn man etwas für 100 US-Dollar herstellen kann, was normalerweise das 80-fache kostet.

Transparent und individuell angepasst: So sehen die Aligner-Schienen aus.

Wie lief danach eure Gründungsphase ab?

Ich kann auf Basic-Niveau coden, Jens, der vorher schon ein bisschen im Startup-Umfeld gearbeitet hat, war nebenbei fürs Marketing auf Facebook zuständig. Ziemlich schnell haben wir dann unsere erste Website gelaunched. Anschließend haben wir einen Zahnarzt gefunden, der mit uns kooperieren wollte – der war genauso verrückt wie wir – und sind einfach gestartet.

Wenn ich mir heute die Website und den Content angucke, waren da sicherlich zehn Rechtschreibfehler drin, aber es hat funktioniert. Wir haben Geld in die Hand genommen, losgelegt, geguckt, was passiert und sehr viel iteriert. Es war genau dieses Mindset, dass es am Ende auch nur Geld ist, was es uns ermöglicht hat, sehr schnell an Geschwindigkeit aufzunehmen. Wir haben bei mir in meinem Wohnzimmer angefangen und hatten am Anfang nur einen Scanner, den Zahnarzt und die Website, über die sich Patient*innen Termine gebucht haben.

Die Patient*innen sind in die Praxis gekommen, wir haben von neun bis 15 Uhr Zahnarzthelfer gespielt und die Zähne der Patient*innen gescannt, während der Zahnarzt den ärztlichen Teil übernommen hat. Danach, von vier Uhr bis Mitternacht, haben wir das Business aufgebaut.

Wie hat sich das Unternehmen seitdem entwickelt?

Der Dentalmarkt ist nicht unbedingt dafür bekannt, dass er auf Patient*innen eingeht. Wir haben die ersten vier Monate alles selbst gemacht und konnten mit dem Verständnis, was die Patient*innen eigentlich möchten, ziemlich schnell auf eine signifikante Größe wachsen. Mittlerweile beschäftigen wir ca. 160 Mitarbeiter*innen in drei Ländern.

Wenn ich zurückblicke, habe ich in dieser Zeit wahrscheinlich 200-mal so viel gelernt wie im Investmentbanking. Völlig egal, was mit der Firma passiert. Ich würde hier rausgehen und sagen: „Mega gut investierte Zeit.“

Es gab auch immer mal wieder Kritik an DrSmile. Wie bist du damit umgegangen?

Die Kritik geht immer in sehr viele verschiedene Richtungen. Es fing damit an, dass behauptet wurde, wir hätten keine Zahnärzt*innen. Das ging sogar so weit, dass die Zahnärztekammer das LKA zu uns geschickt hat. Mit der Anschuldigung, dass wir Zahnmedizin ohne Zahnärzt*innen machen, haben die unser Büro gestürmt. Das war natürlich sehr einfach zu widerlegen. Man muss nur in eine unserer Praxen gehen. Dann waren alle etwas beschämt und die Anklage wurde fallengelassen. Daran sieht man auch das Level, auf dem hier gekämpft wird.

Es ist ein sehr konservativer Markt, der auch Zeit braucht, bis er sich verändert. Und wenn man ein Modell entwickelt, das anfängt, alte Strukturen aufzuweichen, wehren diese Strukturen sich zwangsläufig. Ich will auch gar nicht sagen, dass wir alles perfekt machen, aber wir versuchen, ständig aus unseren Fehlern zu lernen. Was ich jetzt nicht unbedingt von der Branche der Zahnmedizin behaupten kann. Wir versuchen, auch intern sehr transparent mit Feedback umzugehen. Wir haben in unserem Aufenthaltsraum ein großes Dashboard, was uns Live-Kundenfeedback liefert. Damit setzen wir uns intensiv auseinander und genauso werden wir Dinge auch immer Schritt für Schritt besser machen.

Hast du abschließend noch Tipps, die fürs Gründen sinnvoll sind?

Die wenigsten hören es gerne, aber ohne Netzwerk ist es sehr, sehr schwer. Es ist immer leicht zu sagen: Mach es einfach, geh das Risiko ein und spring ins kalte Wasser. Aber welche Schritte sollen danach folgen? Wenn du es wirklich machen willst, dann bau dir zuerst ein Netzwerk auf – für Fundraising, das Team, usw. – und wage den Sprung.

Wir haben uns auch gesellschaftlich dahingehend entwickelt, dass es nicht mehr als etwas Negatives gesehen wird, mit einem Startup zu scheitern. Das war vor zehn, 20 Jahren etwas anderes.

Entweder es funktioniert oder es funktioniert nicht. Bei den meisten funktioniert es nicht, aber das ist auch okay, denn danach geht’s trotzdem weiter. Jedes andere Startup nimmt einen liebend gerne auf. Die besten Mitarbeiter*innen sind diejenigen, die vorher schon mal etwas gegründet haben – die würde ich blind immer wieder einstellen. Man kann sich sicher sein, dass diese Person bei dem Versuch, etwas aufzubauen, so viel gelernt hat wie andere Personen in zehn Jahren in einem normalen Job.

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