Life & Style Dr. Paul Schmidt-Hellinger erklärt, worauf man beim Joggen achten sollte

Dr. Paul Schmidt-Hellinger erklärt, worauf man beim Joggen achten sollte

Gerade in der Quarantäne-Zeit ist es einmal mehr wichtig, raus zu gehen und sich sportlich zu betätigen. Nach einem All-Day-Homeoffice schreien Kopf und Körper nach einem gesunden Ausgleich. Wir haben mit  Dr. Paul Schmidt-Hellinger, Sportmediziner an der Charité Berlin und selbst Profi-Läufer, gefragt, auf was man beim Laufen achten muss und welche Fehler man vermeiden sollte.

Paul, was ist für dich der Reiz am Laufen?

Es war schon als Kind für mich die schnellste Art, unkompliziert von A nach B zu kommen. Im Schulalter bis ins Studium standen dann der Wettkampfsport und das soziale Leben im Vereinsumfeld im Vordergrund. Mit der Arbeit als Arzt trat immer mehr der mentale Ausgleich und „Wellbeing“ in den Vordergrund. Das Laufen gab und gibt mir einfach immer schon den Extra-Boost im Leben. Fit bleiben kommt dann eher automatisch.

Du trainierst in Berlin zusammen mit den KRAFT Runners. Warum ist Trainieren im Team besser als allein?

Rein trainingsmethodisch gleicht es die eigenen Schwachpunkte im Training aus. Zwar komme ich aus dem Leistungssport, aber auch ich muss mich immer wieder motivieren, wenn ich allein bin, ein ordentliches Warm-up zu machen. Ist es Teil des Gruppentrainings, zieht man mit. Bei den KRAFT Runners motivieren wir uns alle immer mit lauten Zurufen während des Trainings, wir haben Musik und einfach gute Stimmung – eher wie auf einer Party als beim harten Training, auch wenn wir immer alle alles geben. Emotional ist mir dieses Training mittlerweile sehr wichtig geworden.

Wie motiviert man sich morgens/abends, laufen zu gehen?

Zu wissen, warum man laufen geht. Für mich gibt es zwei Szenarien: Ich bin Run Commuter, laufen ist für mich der schnellste Weg zur Arbeit. Ich werde ordentlich wach und tue etwas für meinen Körper und die Umwelt. Für diese Routine brauche ich das richtige Mindset – direkt beim Aufstehen. Also lege ich am Abend die Laufklamotten raus. Als ich meine Frau kennengelernt habe bin ich nachts manchmal nur in Laufklamotten zu ihr: Da muss man am kalten Morgen wieder laufend zurück.

Am Abend ist es eher mein Ziel, den Kopf frei zu bekommen, sich mit Freunden beim gemeinsamen Sport zu treffen und eine gute Zeit zu haben. Da ist der gefährlichste Gegner die Couch. Also packe ich die Sportklamotten ins Daypack, verabrede mich und gebe der Couch von Anfang an keine Chance.

Was sind die häufigsten Fehler im Training?

Oft werden das Laufpensum und die Laufgeschwindigkeit zu schnell gesteigert. Laufen ist eine Kontaktsportart. Bei jedem Schritt haben unsere Beine beim Aufprall auf den Boden die Kraft vom zwei-drei-fachen des Körpergewichtes abzufangen. Beim Laufpensum gilt die Zehn-Prozent-Regel: Die Wochenlaufkilometer sollten nur um zehn Prozent pro Woche gesteigert werden. Wer im Winter zwei x fünf Kilometer pro Woche läuft, sollte dann zum Frühjahr eben nur um einen Kilometer pro Woche steigern. Die Laufgeschwindigkeit kann man bis zu einem gewissen Grad alle sechs Wochen um zehn Prozent steigern, wobei die Steigerung nach einigen Zyklen immer geringer wird.

Ok, und was noch?

Des Weiteren wird oft ein adäquates Warm-up, insbesondere vor intensiven Trainings vernachlässigt. Ebenso wird oft zu wenig Krafttraining für Rumpf und Beine durchgeführt. Und wer gut Krafttraining macht, dehnt sich oft zu wenig. Jeder hat seine Schwächen – ich habe davon alle Fehler schon gemacht. Wenn dann noch mangelnde Regeneration, beispielsweise zu wenig Schlaf dazukommt, ist das Resultat eine Verletzung.

Und was ist mit den Schuhen? Kann man da was falsch machen?

Ja, auch bei der Schuhauswahl kann man Fehler machen und man sollte nicht nach dem günstigsten Angebot gehen. Der individuell beste Laufschuh muss vom ersten Moment wie angegossen passen und ein intuitiv perfektes Laufgefühl bieten. Wenn dann die Laufschuhverkäufer*innen noch einen stabilen Stand und Lauf im Schuh per Kamera bestätigt, ist man sehr gut beraten. Online würde ich aktuell nur das gleiche Modell nochmal kaufen, hier kann manchmal das Nachfolgemodell ganz anders ausfallen.

Aktuell geht die Schuhindustrie weg von Stabilitätsschuhen hin zu weichen Materialen und Sohlenkonstruktionen, die eine natürliches Abrollen ermöglichen. Nike konnte mit seinem neuen Nike React Infinity Run im Halbmarathontraining sogar in einer wissenschaftlichen Studie eine deutliche Verletzungsreduktion gegenüber seinem eigenem Stabilitätsmodell nachweisen. Diese Entwicklungen finde ich sehr interessant. Ich bin aber auch befangen. Nach fast 20 Jahren mit Blasen an den Fersen bin ich seit 2017 nur noch mit Nikes unterwegs, auch weil hier zunehmend die festen Plastikfersenkappen weggelassen wurden.

Wenn ich zum Beispiel für einen Halbmarathon trainieren will: Worauf muss man bei der Ernährung achten?

Ein Halbmarathon wird chemisch fast zum Großteil auf Kohlenhydratverbrennung gelaufen. Unsere Muskeln müssen dies trainieren. Wer sich zum Beispiel zum Gewicht abnehmen sonst kohlenhydratarm ernährt, sollte sich sechs bis acht Wochen vorher auf kohlenhydratreiche Kost umstellen. Das dürfen gerne komplexe Kohlehydrate aus Vollkornprodukten und Gemüse sein. Kurz vor dem Training (zwei bis vier Stunden) und in den 48 Stunden vor einem Wettkampf dürfen die sonst „leeren“ Kalorien aus Kohlenhydraten ran: geschälter Reis, zuckerhaltige Getränke, Gummibärchen. Da gilt es, Ballaststoffe zu vermeiden. Sie stellen nach der Dünndarmpassage ca. 24 bis 36 Stunden nach dem Essen wirklich Ballast im Enddarm dar und sorgen für ungewollte Darmaktivität während des Rennens. In den sozialen Medien poste ich deshalb vor dem Wettkampf gern den Hashtag #nofiber.

Hast du sonst noch Tipps für einen Halbmarathon? Du bist ja schon etliche selbst gelaufen.

Das Allerwichtigste: Nicht zu schnell loslaufen, nicht nur bei einem Halbmarathon. Ein Negativsplit in der zweiten Hälfte macht immer mehr Spaß. Bei einem Halbmarathon sollte man am Anfang noch mit etwas Anstrengung quatschen können. Ich habe auch immer ein Sportgel mit schnellen Zuckern mit in der Laufshort. Das gibt mir bei Kilometer 15 an der Wasserstelle den Extra-Boost bis ins Ziel.

Wie wichtig sind Gadgets?

Ich laufe insbesondere in der Stadt gerne mit Musik. Ich benutze ein nicht den Ohrkanal abschließendes Headset. In-Ear Kopfhörer finde ich unpassend, denn sie nehmen mir das Gefühl des Windes und wichtiger Umgebungsgeräusche im Ohr.  Den Rest übernimmt mittlerweile im besten Fall meine GPS-Uhr. Auch hier bin ich befangen und darf seit Jahren immer das neuste Garmin-Modell austesten. Neben GPS-Tracking des Trainings sind hier MP3-Player, Kreditkarte und Trainingsplaner vereint. Aber auch ich renne im Sommer gern mal nur in Shorts ohne Technik durch die Naturschutzgebiete in Nordberlin.

Deine Top3 Laufsongs? Deine Fav-Playlist?

–        „Breezeblocks“ von alt-J: Den Song hatte ich bei meinem deutschen 50-Kilometer-Rekord als Ohrwurm

–        „Feuer“ von Marteria: das perfekte Lied für drei, immer länger werdende, Intervallsprints

–        Jedes Zwei-Stunden-Set meines Lieblings-DJs Jan Oberländer, feinster Elektro für lange Läufe

Was hältst du vom Hype um Superfood und Special Diäten wie Paleo etc.? Ist der Hype begründet? Oder alles nur Quatsch?

In der ärztlichen Ernährungsberatung für Leistungssportler*innen appelliere ich eine kohlenhydratreiche Ernährung, aber im normalen Training setze ich auf Ernährung aus Vollkornprodukten und Gemüse. Gesättigte Fettsäuren sollten weniger aufgenommen werden. Dafür mehr ungesättigte Fettsäuren aus gesunden Ölen (bspw. Olivenöl) und Samen (bspw. Leinsamen). Zucker soll bestenfalls aus Obst kommen oder, wenn aus Süßigkeiten kommend, dem direkten Verbrennen beim Sport oder zum schnellen Wiederauffüllen dienen. Proteine sollen gut über den Tag verteilt aufgenommen werden. Pflanzliche Proteine haben sich bisher nicht als nachteilig herausgestellt, nur muss man bewusster danach suchen.

Ansonsten wechseln sich die Diäthypes so wie Modeerscheinungen in gewissen Zeitabständen ab, und mit jeder neuen Studie wird entweder der eine oder andere Hype bestätigt. Einen klaren Gewinner haben wir bisher nicht. Low-Carb-Diäten machen im Sport nur zum Abnehmen oder in Vorbereitung für Wettkämpfe über elf Stunden Dauer Sinn. Hier sollte aber auch auf eine maßvolle Zufuhr an gesättigten Fettsäuren geachtet werden.

Bei der Paleo-Ernährung kann bei übermäßigem Fleischkonsum die damit verbundene erhöhte Aufnahme an gesättigten Fettsäuren, Cholesterin und Harnsäurebildnern langfristig sehr ungesund sein. Wer aber auch hier auf einen hohen Anteil an Gemüse achtet, kann bei dieser Ernährungsform ernährungsmedizinisch Vorteile gegenüber der westlichen Ernährung erwarten. 

Exotische Superfoods bringen meiner Meinung nach keine Vorteile gegenüber unseren saisonalen lokalen Produkten. Meine Empfehlung für den nächsten Einkauf: Chinakohl, Leinsamen und gerade jetzt in der Erkältungszeit Ingwer. 

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