Leadership & Karriere Wie zwei Frauen auf Rollern Kairos Straßen erobern und dabei gegen Gender-Stereotype ankämpfen

Wie zwei Frauen auf Rollern Kairos Straßen erobern und dabei gegen Gender-Stereotype ankämpfen

Das ägyptische Start­up Dosy bringt Frauen das Rollerfahren bei – und die beiden Gründerinnen lösen nebenbei gleich mehrere Probleme einer ganzen Region.

Kairo zur Rushhour: In der ägyptischen Hauptstadt am Nil tummeln sich zwischen Hunderten Wolkenkratzern und Verkehrsschleifen unzählige Menschen auf den Straßen. Im Transporter, im Bus, zu Fuß, auf einem voll bepackten Fahrrad oder auf einem Motorrad. Und irgendwo zwischen verbeulten Kleintransportern und Fußgänger*innen sitzt hier und da eine junge Frau auf einem elektrischen Roller – oder Scooter, wie Menna Farouk sagt.

Gemeinsam mit ihrer Schwester Nouran hat Farouk im Herzen der Zehn-Millionen-Metropole ein Startup gegründet: Dosy. Das ist mit der Grund dafür, dass auf Kairos Straßen überhaupt Frauen auf Rollern zu sehen sind. Denn bei dem jungen Unternehmen der beiden Schwestern handelt es sich um eine Plattform, die Frauen die Möglichkeit bietet, Roller fahren zu lernen.

Klingt vielleicht erst mal banal – Fahrschulen gibt es auf der Welt ohne Ende. Aber eben nicht in Kairo, oder überhaupt im Nahen Osten. „In Ägypten ist es nicht üblich, Frauen eigenständig im Straßenverkehr zu sehen“, sagt Menna Farouk. „Wir haben Dosy gegründet, weil wir Frauen darin bestärken wollen, mehr Roller zu fahren.“

Hallo, Unabhängigkeit!

Im ersten Schritt lösen sie damit ein naheliegendes und nerviges Problem: Wenn Frauen in Ägypten ihren Rollerführerschein machen wollen, müssen sie den Test ohne vorheriges Training bestehen. Das bedeutet für die jungen Frauen: raus in Kairos Verkehrswahnsinn. Na ja, soweit das eben geht. Eine extrem gefährliche Angelegenheit.

Aber noch ein anderer Grund ist für Menna Farouk Antrieb für ihre Idee: „Wenn junge Frauen die öffentlichen Verkehrsmittel zur Schule nehmen oder zu Fuß durch die Straßen laufen, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass sie sexuelle Belästigung oder Gewalt erfahren“, sagt sie.

Ihr zufolge erleben 99,9 Prozent aller Frauen in Ägypten sexuelle Belästigung. Die meisten schon im ganz jungen Alter, oft auf dem Weg zur Schule. „Ich denke, das passiert heute aus drei Gründen: soziale Stereotype, Armut und Ignoranz“, sagt Farouk. „Rollerfahren ist das Privileg, schneller, freier und unabhängiger zu sein.“ Auch sie fährt gerne mit dem Roller oder Fahrrad durch die Stadt. Es ist ein Gefühl von Freiheit, das Farouk mit anderen Frauen in ihrer Heimatstadt teilen können will.

Anlass für Dosy war in diesem Fall eigene Erfahrung: Die Farouk-Schwestern haben gesehen, dass viele Frauen in Ägypten durchaus Interesse am Fahren haben, es aber schlicht kaum Fahrlehrerinnen gibt, die die Frauen trainieren könnten. Mit Dosy haben sie eine sichere Onlineplattform geschaffen, über die Frauen unkompliziert mit Fahrlehrerinnen in ihrer Nähe in Kontakt treten und direkt Fahrstunden buchen können.

Im April letzten Jahres ist Dosy dann gestartet. Damals nur mit einer Facebook-Page. Der erste Post war ein Aufruf, mit dem die Farouks Fahrlehrerinnen für Roller finden wollten. Fünf Frauen meldeten sich – genug, um Dosy wortwörtlich ins Rollen zu bringen. „Ich erinnere mich, dass sich in den ersten Monaten 300 Frauen anmeldeten, um Roller fahren zu lernen“, erzählt Menna Farouk.

Aller Zuversicht zum Trotz hatten die Schwestern mit einer solchen Resonanz dann doch nicht gerechnet. Dank des anfänglichen Erfolgs blieb es nicht lange nur bei einer Facebook-Page. Dosy launchte daraufhin die eigene Website – und kurz danach den zweiten Standort: in Alexandria, der zweitgrößten Stadt Ägyptens. Heute haben bereits 15 Fahrlehrerinnen über 1000 Frauen das Rollerfahren beigebracht.

Dabei haben die Farouk-Schwestern nicht gerade viel Zeit für ihr Startup. Beide arbeiten eigentlich in Vollzeit. Nouran ist Ärztin, Menna Journalistin und hauptsächlich für „The Egyptian Gazette“ tätig, der ältesten englischsprachigen Zeitung im Nahen Osten. Nebenbei macht sie gerade ihren Master in Fernseh- und Digitaljournalismus an der American University in Kairo. Ihre jüngere Schwester hat vor Kurzem ihr Medizinstudium beendet – und jede freie Minute wird in Dosy gesteckt.

Menna kümmert sich um alles Betriebliche und Organisatorische. Sie vernetzt Kundinnen und Fahrlehrerinnen, während ihre Partnerin für alles rund um Social Media und Marketing verantwortlich ist. Außer ihnen gibt es nur noch einen IT-Manager, der ab und zu die Homepage aktualisiert.

Wer so lean agiert, muss einen ebenfalls schlanken Prozess fahren. Deswegen ist die Anmeldung für die Kundinnen maximal niederschwellig gehalten: entweder auf die Homepage gehen oder auf Facebook und Instagram. Auf der Website findet sich ein Formular, das ausgefüllt werden muss. Daraufhin treten die Gründerinnen mit der Kundin in Kontakt, lokalisieren die nächste Fahrlehrerin in der Gegend und vernetzen beide miteinander. Wenn der erste Kontakt hingegen über Social Media stattfindet, wird sich per Chat ausgetauscht und so vernetzt.

Die Kundinnen können selbst entscheiden, wie viele Fahrstunden sie in Anspruch nehmen wollen. Sowohl für die Rollerstunden als auch für die ebenfalls angebotenen Fahrradstunden gibt es drei Pakete: Vier Stunden kosten 800 ägyptische Pfund, was ungefähr 42 Euro entspricht. Die werden folgendermaßen aufgeteilt: 70 Prozent bekommen die Fahrlehrerinnen, 30 Prozent die Gründerinnen.

Anschließend werden die Frauen dann auf die Prüfung vorbereitet, bei der sie den offiziellen Rollerführerschein erhalten können. Wie eingangs erwähnt: Grundsätzlich haben in Ägypten Frauen die gleichen Möglichkeiten wie Männer, den Test zu bestehen. Bloß ist so eine Prüfung ohne Übung für die Mehrheit eben kaum machbar. Dosy bietet ihnen die Möglichkeit, sich ohne Druck und Verpflichtungen Zeit zu nehmen, um sich unter Anleitung an das Fahren im Verkehrschaos zu gewöhnen.

Tschüss, Stereotype!

Interessant ist auch, dass die Farouk-Schwestern sich ihrer unternehmerischen Position von Anfang an bewusst waren. Denn Dosy heißt aus dem Arabischen übersetzt so viel wie „ein Risiko eingehen“. Der Name sollte das große Ziel deutlich machen, zudem zeigen, dass man sich als Frau nicht unterkriegen lässt, selbst wenn das Land von traditionellen Geschlechterrollen geprägt ist.

Die Schwestern merkten außerdem, dass sie für die größere Verbreitung ihrer Idee noch früher ansetzen müssen. Deswegen haben sie einen zweiten Service hinzugenommen, der zum Roller hinführt: eine Fahrradschule. „Wir haben das Fahrradtraining mit ins Programm genommen, weil wir glauben, dass es einfacher ist, erst Fahrrad und dann Roller fahren zu lernen“, sagt Menna Farouk. Für viele Schülerinnen gehe es erst einmal darum, die nötige Balance zu bekommen.

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