Innovation & Future German Bionic: Exoskelette aus Berlin

German Bionic: Exoskelette aus Berlin

Fernab der Torstraße, der Factory und all der anderen Hotspots der Berliner Startup-Szene, direkt neben dem Fünfsternehotel Waldorf Astoria und nur einen Steinwurf vom Ku’damm entfernt befindet sich das Büro von German Bionic.

Die Decken der Büroräume sind niedrig, aber der Ausblick aus dem 18. Stockwerk ist spektakulär. Es macht jedenfalls schnell die Ambitionen von German Bionic klar, das mit seinen Exoskeletten die Zukunft der körperlichen Berufe revolutionieren will. 

Drinnen im Büro gibt es Kaffee. Neben Norma Hoeft, Head of IoT, also Internet of Things, sitzen Armin Schmidt, der CEO, und Eric Eitel, verantwortlich für Marketing und Kommunikation bei German Bionic.

Auf einem vierten Stuhl steht ein Gerät, das aussieht wie ein Hightech-Backpacking-Rucksack mit fester, quietschoranger Rückenplatte, Brustgurt und zwei Schlaufen, durch die man mit den Beinen schlüpft und die das Device am Oberschenkel fixieren. Es handelt sich um das „Cray X“, ein Exoskelett der vierten und aktuellsten Generation des Unternehmens.

Das ist sie also, die Zukunft der körperlichen Arbeit. 

Exoskelette, die den Menschen nicht verbessern, aber optimieren, gelten seit einiger Zeit als das neue, große Ding der Robotik. Es gibt Exoskelette für die Industrie, für Sportler*innen, für Pflegekräfte und Soldat*innen, kurz: für alle Bereiche, die Menschen an den Rand ihrer körperlichen Belastbarkeit bringen.

Mitarbeiter*innen in Logostikbetrieben heben im Schnitt ein bis zwei Elefanten am Tag (Foto: German Bionic)

Das US-Unternehmen Roam Robotics beispielsweise hat ein Exoskelett für die Knie entwickelt, das die Leistung von Skifahrer*innen verbessern soll. Mit einer Kombination aus Sensoren, Software und aufblasbaren Kissen, die an Unter- und Oberschenkel geschnallt werden, soll längeres und sichereres Skifahren möglich werden.

Lockheed Martin dagegen hat Exoskelette für Soldat*innen und Feuerwehrleute im Angebot, mit denen sich Einsatzkräfte aller Art schneller und sicherer durch unwegsames Terrain bewegen können, auch wenn sie schwere Lasten schleppen.

Und ebenfalls für den Einsatz in Militär und Industrie baut das US-Unternehmen Sarcos Ganz­körper­-Exo­ske­lette und Roboter, die beispielsweise zum Bombenentschärfen eingesetzt werden und Iron Man erblassen lassen würden. 

Es geht um Manfred 

Bei German Bionic geht es in erster Linie um Manfred. Norma Hoeft verwendet den Namen stellvertretend für die Nutzer*innen ihrer Exoskelette. Denn Manfred, Klaus oder Gabi seien am Ende die Personen, denen ihre Exoskelette bei der Arbeit als Bauarbeiter*innen und Krankenpflegekräfte, Altenpfleger*innen und Gerüstbauer*innen den Rücken retten sollen.  

Seit 2017 produziert German Bionic diese Mensch-Maschine-Systeme in Augsburg. Ihre Modelle funktionieren „aktiv-assistiv“, wie es unter Fachleuten heißt: indem sie Bewegungen des menschlichen Körpers mittels kleiner Elektromotoren nachahmen und dadurch verstärken. Quasi ein aufschnallbarer Turbo für die Muskeln.

Früher war das nicht möglich, erklärt Eitel, denn man hätte Motoren, die für ausreichende Power notwendig sind, nicht auf diese geringe Größe bekommen.  

„Das Thema Exoskelette ist heiß“, sagt auch Armin Schmidt, der CEO. Für German Bionic sei es genau der richtige Zeitpunkt gewesen, in den Markt einzusteigen. „Drei Jahre früher wäre es zu früh, drei Jahre später zu spät gewesen.“

Das Exoskelett im Einsatz: Den ersten Kunden fand German Bionic im professionellen Reifenwechsel (Foto: German Bionic)

Schmidt ist Serienunternehmer, hat in den USA und Taiwan gelebt und sich zuletzt mit Fahrzeugsoftware beschäftigt. Seine Startups Advanced Telematic Systems und Aupeo hat er verkauft, letzteres an Panasonic Automotive.

Fragt man Schmidt danach, wiegelt er schnell ab – lieber nicht über vergangene Großtaten reden: „Ich habe ein paar Startups gemacht in der Vergangenheit, zwei davon in Berlin“, sagt er, das war’s. 

Zum Thema Exoskelette kam Schmidt vor rund fünf Jahren durch seinen Cousin Peter Heiligensetzer. Der German-Bionic-Gründer und heutige CTO bastelte damals für ein Forschungsprojekt zu dem Thema, wie Menschen und Maschinen sicher zusammenarbeiten können, an einem Exoskelettprototyp.

Mit seinem elektrischen Muskelverstärker traf Heiligensetzer den Nerv der Zeit: 70 Interessenten aus der Industrie hätte es damals direkt gegeben, die gesagt hätten: „Wenn das mal funktioniert, dann setzen wir es ein!“

Es funktionierte – die allerersten Kund*innen fand German Bionic prompt in Bereichen, die den menschlichen Körper so stark belasten wie wenige andere Branchen, im professionellen Reifenwechsel und im Logistikbereich. 

„Es ist unglaublich, was diese Mitarbeiter*innen leisten, teils im Akkord“

Hoeft, die vor zweieinhalb Jahren zum ersten Mal von „der Firma“ hörte, wie sie German Bionic nennt, erinnert sich an einen der ersten Prototypen. „Kabel hingen überall raus, Teile waren mit Kabelbindern befestigt – das war wirklich ein MVP. Aber die Jungs waren superstolz darauf.“

Heute gehört German Bionic mit zu den Vorreitern im Bereich Exoskelette, seit der Unternehmensgründung habe das Produkt einen Quantensprung in der Entwicklung gemacht. „Es ist schön, dass Deutschland im Bereich Robotik mal wieder die Nase vorn hat, im Vergleich zu Software. Hier haben wir noch immer die Chance, auch als Startups etwas zu leisten“, sagt Schmidt. 

Bei der Konstruktion des Cray X, sagt Schmidt, seien drei Punkte entscheidend gewesen: Leicht sollte der Rucksack sein, leistungsstark und intelligent. Um das Gewicht zu reduzieren, setzte German Bionic auf Karbonfasern wie im Rennsport und der Raumfahrt und konnte das Gewicht so von rund elf auf sieben Kilo verringern.

Zwei Hochleistungs-Servomotoren treiben das Skelett im Inneren an und ermöglichen einen Ausgleich von bis zu 28 Kilogramm Gewicht pro Hebebewegung und das acht Stunden am Stück – danach muss der Akku aufgeladen werden.

Die neueste Generation des Cray ist zudem mit Sensoren bestückt, die Produktivität, Gesundheit und Sicherheit der Mitarbeiter analysieren können – und sogar steigern. Alles anonymisiert selbstverständlich.  

Hoeft sagt: „Wir bedenken die ­DSGVO nicht nur. Wir nehmen erst gar keine personenbezogenen Daten auf, weil wir dann mit diesem Thema gar nichts zu tun haben.“ Der Schutz der Mitarbeiter*innen stehe im Vordergrund und zwar nicht nur körperlich, sondern auch arbeitspsychologisch.

Da sich die Nutzer*innen mit einem Code in das jeweilige Exoskelett einloggten, könnten die Teammanager*innen erst gar nicht sehen, wer welches Exoskelett getragen habe. „Wie bei der Corona-App“, sagt Hoeft. 

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