Productivity & New Work Agentur Boomer: „Wir sind die Gewerkschaft der Agenturwelt“

Agentur Boomer: „Wir sind die Gewerkschaft der Agenturwelt“

Seit Monaten langt im deutschen Insta-Game kein Meme-Account so zu wie Agentur Boomer – die Macher sehen darin sehr viel mehr als einen Spaß.

Zu den beiden Köpfen hinter Agentur Boomer: Galla ist Co-­Geschäftsführer von Brandneo, einer Dortmunder Agentur, die zur Unternehmerkraft Group gehört. Ehrenwerth ist dort ­Managing Creative Concepter.

Herr Galla, was war die Initialzündung, eine Instagram-Meme-Seite zu starten?

Galla: Ich wollte ein Ventil haben, wo ich das ablassen kann, was im Alltag passiert und was den Tag über mies läuft. Dann habe ich diese Seite aufgemacht. Gar nicht mit der Ambition, dass die groß oder erfolgreich wird, sondern um meinen Stress abzubauen. Relativ lange ist das vor sich hin gedümpelt, die Follower*innenzahlen sind nicht gewachsen.

Und dann ging es ab – an welchem Punkt ist Ihnen die Reichweite bewusst geworden?

Galla: Irgendwann ist Johannes mit dazugekommen, und wir haben die Schlagzahl der Memes erhöht. Es gab einen Augenblick, wo wir ein paar Hamburger Agenturgrößen aufs Korn genommen und ein paar Posts geteilt haben. Auf einmal ist das Ding abgegangen. Johannes, kannst du das an einem Meme festmachen?

Ehrenwerth: Nicht an einem, aber zur gleichen Zeit kam unser Filter raus. Das war alles innerhalb der gleichen Woche. Da ist das Ding explodiert. Ich weiß noch, es war später Frühling, und wir waren ungefähr bei 2000 Follower*innen. Zwei Wochen später waren es auf einmal 5000.

Was war das für ein Filter?

Galla: Wir haben einen AR-Filter gemacht, bei dem du selbst zum Meme wirst. Du hast eine Maske um dich herum, oben werden zufällig Texte eingeblendet, und irgendwann hält das an. Dann steht da beispielsweise „Wenn Marketing-Melanie XY macht“ über deinem Gesicht. Diesen Filter haben unheimlich viele genutzt. Wir wurden pro Tag in 20, 30 Storys verlinkt, und das Ganze wurde immer größer.

Welche Themen fanden besonderen Anklang?

Galla: Als wir anfingen, war auch ein riesiges Thema, Sexismus in der Werbebranche kritisch aufzugreifen. Es gibt in dieser Branche unheimlich viele Klischees, die von Creative-Direktor*innen bedient werden, beispielsweise auf der Weihnachtsfeier grapschen, schlechte Arbeitsbedingungen oder Sonstiges. Wir haben damals angefangen, den Leuten in einem Freitagabendformat Fragen zu stellen. Etwa, was die peinlichsten Aktionen in ihrer Agentur sind.

Und dieses Angebot wurde als Beichtplattform wahrgenommen?

Galla: Hunderte Leute haben uns Sachen gebeichtet oder anonym zukommen lassen. So wurden für uns die Zustände in der Agenturwelt sichtbar. Wir haben teilweise echt krasse Geschichten gelesen. Das war schon heftig. Wir haben gemerkt, dass uns die Leute ein hohes Vertrauen entgegenbringen. Sie haben Pain-Points, die nicht gehört und auch nicht großartig kommuniziert werden. Wir konnten ihnen ein Sprachrohr geben, das öffentlich zu machen.

Ehrenwerth: Wir haben gesehen, dass es einen Need gibt, dass wir eine Lücke ausfüllen, die vorher nicht da war. Das ging über den Standard-Meme-Content hinaus. Wir bekommen immer das größte Feedback, wenn wir den Leuten eine Plattform geben, wenn sie ihre Geschichten erzählen können. Dann wird’s richtig krass. Deswegen sehen wir uns intern auch ein bisschen als Gewerkschaft für Agenturen. Die gibt es ja nicht, es gibt keine Betriebsräte. Also sind wir der Ort, an dem du dich über Kolleg*innen, den*die Chef*in oder Kund*innen auskotzen kannst, die dir auf den Sack gehen.

Galla: Wir sind die Meme-Seite, die böse pikst, wir sind laut und machen aufmerksam. So ein bisschen der Böhmermann der Agenturszene. Andere müssen damit umgehen und etwas verändern. Das ist nicht unser Job. Wir können ja nicht sowohl Unterhalter als auch Veränderer sein.

Credits: Agentur Boomer

Nun arbeiten Sie selbst in einer Agentur. Herr Galla, Sie sind sogar einer der Geschäftsführer von Brandneo. Trotzdem machen Sie sich mit Agentur Boomer über den Agenturalltag lustig. Ist das nicht ein Widerspruch?

Galla: Es ist natürlich absurd, dass ein Agenturgründer Memes postet, wo über Chef*innen und Co gelästert wird. Ich habe Brandneo Anfang 2019 auf einer grünen Wiese gegründet, mit der Unternehmerkraft Group im Hintergrund. Ich konnte meine Agentur also so bauen, wie ich sie gerne hätte, nach den Regeln von New Work und Agilität. Eben so, wie ich mir Arbeitswelt vorstelle. Johannes und ich haben irrsinnig viel Agenturerfahrung. Seit wir aus den Schulen und Unis raus waren, sind wir in Agenturen unterwegs. Wir wissen um die Probleme. Letztendlich zeigt Agentur Boomer die alten Strukturen, die es da draußen noch immer gibt. Die sind genau das Gegenteil von dem, was wir leben. Die Seite ist ein bisschen das Versprechen an uns selbst und unsere Follower*innen, wie Agenturen eben nicht laufen sollten und was wir anders machen wollen.

Haben Sie sich im Team ausgetauscht, welche schlechten Erfahrungen in früheren Jobs gemacht wurden und was man besser machen muss?

Galla: Es gibt eben die Klischees, die wir alle kennen: vorgezogene Deadlines, Stress, der über alle Ebenen abgeladen wird, Unverständnis für Budgets oder Social Media auf eine hemdsärmelige Art machen, weil man „dabei sein muss“. Viele schreiben uns, dass sie gleichzeitig lachen und weinen müssen, weil sie unsere Memes zwar lustig finden, es aber leider ihr Alltag ist. Wie scheiße ist das denn, das muss doch anders gehen!

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